(...) Evelyn Axon ist eine betagte Frau, die mit ihrer scheinbar behinderten Tochter in den 1970er Jahren zusammenlebt. Beide haben nicht gerade viel Kontakt zur Außenwelt und vegetieren mehr oder weniger in ihrem Haus vor sich hin. Dabei zerfällt ihr Eigenheim immer mehr. In gewisser Weise gleichen
sich also Gebäude und Bewohner nach und nach an. Evelyns Mann ist schon vor langer Zeit verstorben,…mehr(...) Evelyn Axon ist eine betagte Frau, die mit ihrer scheinbar behinderten Tochter in den 1970er Jahren zusammenlebt. Beide haben nicht gerade viel Kontakt zur Außenwelt und vegetieren mehr oder weniger in ihrem Haus vor sich hin. Dabei zerfällt ihr Eigenheim immer mehr. In gewisser Weise gleichen sich also Gebäude und Bewohner nach und nach an. Evelyns Mann ist schon vor langer Zeit verstorben, scheint aber das Leben der beiden Frauen während seiner Anwesenheit nicht sonderlich positiv beeinflusst zu haben. Größeren Einfluss haben die heimlichen Mitbewohner des Hauses auf das alltägliche Leben. Zumindest geht Evelyn davon aus, dass es sich um spukende Gesellen handelt. Muriel hat diesbezüglich sicherlich eine andere Meinung. Aber wen interessiert das schon? Aus der Sicht ihrer Mutter ist sie eine nutzlose Last, die sie zwar geboren hat, aber bis heute nicht recht weiß wie es dazu kommen konnte. Und nun will ausgerechnet eine junge motivierte Sozialarbeiterin, dass man sich um dieses Mädchen kümmert? (...)Nein, Evelyn hat es schon mehrfach geschafft Menschen zu vertreiben. Auch dieses Mal wird keiner in ihre Privatsphäre eindringen.
Neben den Axons wohnt Florence Sidney, deren Bruder ein genervter Ehemann und dreifacher Vater ist. Seine Frau kann er eigentlich schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr ertragen und seine Kinder hören weder auf ihn, noch sind sie eine sonderliche Freude für den ausgelaugten Lehrer. Daher flüchtet er sich in diverse Kurse an der Abendschule, wo er die junge und attraktive Isabel kennenlernt. Sehr rasch entwickelt sich zwischen den beiden eine Affäre, die natürlich irgendwann in eine Entscheidung mündet, die das Leben der beiden verändern wird. Aber erst einmal muss ich Isabel um einen neuen Fall kümmern, der auf ihrem Tisch gelandet ist. Evelyn und Muriel Axon müssen dringend einmal von ihr besucht werden.
Auf den ersten Seiten des Buches musste ich zunächst einmal meine pädagogische Keule einpacken und den Mantel der politischen Korrektheit abstreifen. Denn nur so war es mir möglich mich mit der eigentlichen Geschichte auseinanderzusetzen. Andernfalls hätte ich wahrscheinlich stets und ständig gedacht, dass so etwas doch nicht geht. Aber doch, es gibt Menschen, die so handeln und sprechen wie die Protagonisten. Und dabei ist es egal, ob wir hier über die 70er oder das Jahr 2016 sprechen. Und das ist auch nicht etwas, was man verurteilen sollte. Das ist schlichtweg das Leben, in das uns Hilary Mantel einen schonungslosen Einblick gewährt. Die Perspektive ist völlig wertneutral und eine große Stärke des Buches. Der Leser erhält einen Einblick in die Gedanken der Protagonisten und fragt sich manchmal warum das jetzt so wirr ist. Kurze Zeit später lenkt man aber selbst ein und stellt fest, dass man in derselben Situation auch nicht völlig klar und gut strukturiert, wie manche Helden der Literatur, denken würde. Zudem stellt man in Gesprächen Bezüge her, die sich gedanklich nicht gleich dem Zuhörer erschließen, weil man nicht jeden Nebengedanken mitteilt und daher einiges wegfällt. Die Autorin lässt uns aber genau an solchen Gesprächen teilhaben und offenbart damit die skurrilen Momente des Alltags und lässt einen von Sarkasmus geprägten schwarzen Humor wie ein kleines Insekt los, welches langsam zu unserem Gehirn krabbelt. Man liest die Geschichte nicht und rennt lachend durch die Gegend. Nein, man feixt eher innerlich und erschreckt sich manchmal, dass man den ein oder anderen Gedanken verdammt gut nachempfinden kann.
Da es der Autorin sehr gut gelingt den Sprachduktus an die jeweiligen Figuren anzupassen, hat man das Gefühl, immer ein genauer Beobachter der Situation zu sein. Dabei bleibt der Text aber immer sprachlich verständlich und klar strukturiert. Ein Lesefluss stellt sich recht schnell ein und die entstehende Dramatik der Geschichte, die sich eher anhand von Kleinigkeiten entwickelt, führt zu einer Lesefreude.(...)