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Eine Psychoanalyse des Neuen Testaments strebt der Philosoph Christoph Türcke in seinem Buch "Jesu Traum" an. Er lässt den Logos nicht Fleisch, sondern Wort werden.
Entstanden sei das Christentum, so erklärt der psychoanalytisch verfahrende Philosoph Christoph Türcke, weil die Anhänger Jesu mit seinem furchtbaren Ende und ihrem Versagen nicht fertig wurden. Die Traumatisierten versuchten, den Kreuzestod durch die Behauptung, Jesus sei auferstanden, zu bewältigen. Das Kriterium für die Evangelien war damit vorgegeben: Sie mussten Begebenheiten aus dem Leben Jesu zusammenstellen und diese "auferstehungskonform" darstellen. Ein Gedanke, der in der ein oder anderen Form uns schon in der Religionskritik des neunzehnten Jahrhunderts begegnet.
Türckes Variante dieses kritischen Motivs lautet: Das Christentum hat den Mann Jesus um sich selbst gebracht, hat ihn vereinnahmt, umgebracht - hat ihn gefressen, so könnte man das mit den Freudschen Vokabeln sagen, deren sich Türcke vor allem aus der Traumdeutung bedient. Es gibt manifeste und latente Traumgedanken, und bis zu den latenten sei die neutestamentliche Wissenschaft noch kaum vorgedrungen.
Das Urchristentum hatte nach dieser psychoanalytischen Lesart sein Jesustrauma zu verarbeiten und konnte das nur tun, indem es in die Uraltform des Äquivalenzprinzips - so nennt Türcke in der Tradition der Frankfurter Schule das Prinzip "Es gibt nichts umsonst" - zurückfällt und Jesus zum stellvertretenden Opfer macht. "Äquivalenzprinzip" ist mit einem anderen Ausdruck die Allmachtsphantasie des ökonomischen Ausgleichs, auf der das archaische Opfer genauso wie der Kapitalismus beruht.
Jesus selbst hatte laut Türcke auch ein Trauma zu verarbeiten, und zwar das der Verstoßung durch Johannes den Täufer. Dank seiner "fast übermenschlichen Fähigkeit, über seine traumatische Erfahrung hinauszuwachsen", produziert er seine Utopie: Dein Reich komme, das Türcke als das theologisch fundamentale Wort für Jesus beansprucht. Durch das Feuer seines unbedingten Wünschens transformiert er die Verstoßung durch Johannes in eine Verheißung des Reichs.
Es gibt glänzende Passagen in diesem Buch - die philologische Erklärung des Lammes Gottes als Umkehrung beziehungsweise Idealisierung der Figur des Sündenbocks gehört dazu. Bei Türckes Art jedoch, die Reise Jesu nach Jerusalem zu deuten, dürften sich die meisten Neutestamentler bekreuzigen: Bei dieser Reise handele es sich um die Wanderung des Johannes im Gegensinn. Johannes wandert von Jerusalem zum Jordan, Jesus, der ihm nachgefolgt war, muss nun umgekehrt vom Jordan nach Jerusalem wandern. In einem Jesusroman hätte sich dieses Motiv gut gemacht. Aber in einer historischen Untersuchung sollte selbst für die spekulativen Einschübe kein noch so einleuchtendes Hypothesenkonstrukt als Faktum für weitere Hypothesen verwendet werden.
Natürlich kann man sich fragen: Wie weit ist Jesus eine in sich schlüssige Person gewesen? Türckes ganze Konstruktion ist zu konsequenzenlogisch durchgezogen, es geht alles auf. Wenn ihm etwas einen Streich spielt, dann sein "Tick", keine Mauselöcher zu dulden. Diese systematische Stringenz widerspricht der Unbedingtheit, mit der Jesus das Äquivalenzprinzip durchbricht, auf dem alle Alltagsmoral und -logik beruht.
Gravierender: Türcke lässt sich nicht auf das Theologumenon der Verkörperung des Fleisches ein. Er lässt den Logos nicht Fleisch, sondern Wort werden. Das aber ist eine Tautologie. Was das Christentum an umwälzender Neuerung gebracht hat, ist das Verkörperungsdenken. Verkörperung bedeutet, dass man den mystischen und östlichen und gnostischen Religionen etwas entgegensetzt: Nicht erst durch Entkörperung ist ein höherer Zustand zu erreichen, sondern der Körper spielt mit, und dieser höhere Zustand muss sich verkörpern können, also auch in den Institutionen.
Türckes Engführung auf die beiden Traumata hat den arbeitsökonomischen Vorzug, dass er vielleicht nicht gerade eine Kampfschrift, aber doch so etwas wie eine Rede über das Christentum an die Gebildeten unter seinen Verächtern schreiben konnte. Außerdem war es gewiss ein Befreiungsschlag für den Autor selbst und seine theologische Vergangenheit. Darum hat das Buch auch einen hellen Ton (einige Slangausdrücke wären entbehrlich), und der Autor kann sich am Ende gut fühlen: Er will zwar mit der "auferstehungskonformen" Kirche nichts zu tun haben, als "jesuskonform" aber hat er eine Möglichkeit, christlicher Theologe zu bleiben, und steht damit in einer langen Tradition von Mystikern, die vergleichbare Intentionen hatten. Schließlich hat, wie Albert Schweitzer sagte, jeder Autor eines Jesusbuches "seinen" je eigenen Jesus.
CAROLINE NEUBAUR
Christoph Türcke: "Jesu Traum". Psychoanalyse des Neuen Testaments. zu Klampen Verlag, Springe 2009. 157 S., geb., 14,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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