This intensely remembered, partly autobiographical novel, which was shortlisted for the Booker Prize in 1989, describes the childhood of Billi, a girl growing up in Europe between the wars. When her father dies, she swaps life in a run-down German château for an exhilarating existence with her beautiful, talented and unreliable mother on the French Riviera. Sent away to England for schooling, the gypsy-like Billi ricochets between short-lived tutors and a life of reading, friends and public lectures. Returning to the Mediterranean, her unorthodox education - intellectual, emotional and sexual - continues among the vibrant community of artists, exiles and intellectuals who have colonised the coast, coaxing her towards a life of literature.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2009Unter Freunden darf man alles - nur nicht moralisch werden
Lehrjahre einer Bettelprinzessin: Sybille Bedford erzählt von düsteren Tagen in Deutschland und trügerischen Sommern an der Côte d'Azur.
Von Martin Halter
Im Schlösschen von Feldkirch, einem Dorf bei Freiburg, scheint die Zeit stehengeblieben. Der Park mit den grasenden Pferden ist so verwildert wie damals, als Sybille Bedford hier mutterseelenallein mit ihren Eseln und mit sich selbst Tennis spielte, der Keller so dunkel wie damals, als sie mit namenloser Angst den Wein für ihren Vater holte. Als die kapriziöse Mutter Baron von Schoenebeck für einen ihrer zahllosen Liebhaber verließ, schenkte sie ihm zum Abschied das Herrenhaus und die lebhafte Tochter, aber kein Geld.
"Le beau Max", der Kunstsammler aus altem Geschlecht, ersetzte die Kutschpferde durch Esel, das vielköpfige Gesinde durch die eine Lina, den Bordeaux durch selbstgekelterten Most, aber er war ein gebrochener Mann. Seine kluge, eigenwillige Tochter arbeitete wie eine Dienstmagd in Küche, Garten und Feld, aber für ein Leben unter stumpfsinnigen, bigotten Bauern fühlte auch sie sich nicht geschaffen. Der glibberige Schwartenmagen, Linas Knöpfle und Kutteln waren für die spätere Gourmetkritikerin eine Zumutung, der Kommunionunterricht und die Tatzen in der Dorfschule eine Beleidigung ihrer frühkindlichen Freigeisterei.
Noch mitten im Weltkrieg hatte sie bei jüdischen Verwandten in der Berliner Voßstraße den Luxus und die Weltoffenheit eines großbürgerlichen Haushalts kennengelernt. Mit neun riss sie zum ersten Mal aus, nach Wiesbaden, zu ihrer Schwester, wo der Champagner und der Geist schon wieder schäumten. Aber selbst als Bettelprinzess auf dem Misthaufen bewies "Baronesse Billi" Anmut und Würde: Wenn sie schon nicht Ministrantin werden durfte, wollte sie wenigstens in der Kirche die Litanei vorbeten. Als Bedford 1989 ihre Autobiographie "Jigsaw" schrieb, die 1992 (unter dem Titel "Zeitschatten") zum ersten Mal und jetzt, sehr viel geschmeidiger, neu übersetzt wurde, war sie des Deutschen kaum noch mächtig; aber den Singsang des "Bitt f'r uuns" hatte sie noch deutlich im Ohr.
Bedford hat keine sehr guten Erinnerungen an das Spukschloss von Feldkirch und Deutschland. Es ist nicht nur Snobismus oder ihre Unfähigkeit zur Sentimentalität: Sie hatte einfach zu viel Ignoranz und Intoleranz erlebt, um im Rückblick nostalgisch zu werden. Dass man im Schloss französisch sprach, blieb im Dorf natürlich nicht unbemerkt: Einmal flog ein Stein über die Parkmauer; die Narbe an ihrem Auge begleitete Bedford ihr ganzes Leben. Die geborene Weltbürgerin kehrte nur noch einmal nach Deutschland zurück: 1961, als Reporterin im Auschwitzprozess. Alles, was sie schrieb, waren Bruchstücke einer Konfession. In ihren Romanen hat sie die Bruchstellen oft geglättet. In ihren Erinnerungen ist sie direkter, schärfer, spritziger, mit einem Wort: lebendiger. Der nonchalante Erzählton ist so provisorisch und sprunghaft wie ihr Leben, durchsetzt mit vielen Pünktchen und amüsierten Einsprengseln (hmm, aha, na gut); hinzu kommt ein erfrischendes Hin und Her zwischen der Intimität des Tagebuchs und der ironischen Distanz des Gesellschaftsromans, eine Art lauten Denkens, das sich dauernd skeptisch selbst befragt, und die kulinarische Raffinesse, mit der sie Wörter und Erinnerungen auf der Zunge vorkostet, ab- und im Gaumen nachschmeckt. "Bitte, lieber Gott, mach, dass ich Schriftstellerin werde . . . nur noch nicht gleich." Aha.
Ihre Mutter war viel zu launenhaft, geistreich und beschäftigt mit ihren komplizierten Liebschaften, um sich um ihre Tochter kümmern zu können. Früh auf sich allein gestellt, führte Bedford ein unstetes demimondänes Wanderleben zwischen London, Italien und Südfrankreich. In Romanen wie "Ein Liebling der Götter" und "Ein trügerischer Sommer" hat sie Glanz und Elend der Boheme zwischen den Weltkriegen beschrieben, in "Ein Vermächtnis" auch die Allenstein-Affäre ihres Onkels, jene cause célèbre des Kaiserreichs, die selbst Maximilian Harden und Karl Kraus entzweite.
Ihre Freunde, die Kislings, Huxleys und Desmirails, sind einer Vorbemerkung zufolge "weitgehend sie selbst", Mutter und Tochter "zu einem gewissen Prozentsatz wir selbst". Nichts ist erfunden, alles so unwirklich und unglaublich wie in einem Roman aus den wilden Zwanzigern. Bevor die Touristen und Emigranten kamen (Freunde wie Klaus und Erika Mann und leider auch der Vater mit Pudeln, Pomp und Ermahnungen), war Sanary-sur-Mer ein Paradies; jedenfalls für eine unkonventionelle junge Frau, die nach all den Kriegs-, Hunger- und Wanderjahren endlich das süße Leben genießen will.
Italien hatte ihre Sinne geschärft und ihr Herz erobert, aber "Musso" trieb sie ins Exil. In London genoss sie das intellektuelle Klima in der Bloomsbury-Boheme, das Essen und Trinken, das für sie immer mindestens so wichtig wie ein neuer Roman von Evelyn Waugh oder ein neues Automodell war, und bei den Falkenheim-Schwestern erstmals so etwas wie Freundschaft. Aber erst in Sanary-sur-Mer erlebte sie den ganzen Zauber des Südens: Bücher, Tennis und "intellektueller Klatsch" mit Freunden, Plaudereien am Hafen, Picknicks im Hinterland, abends Weißwein im Zypressenhain oder ein Ausflug mit Mutters 4CV nach Saint-Tropez, um "faire la bombe" zu machen. Mit von der Partie waren Künstler und Lebenskünstler wie Renée Kisling, das hemmungslose Vollweib, die Desmirails, ein Paar wie Scott und Zelda Fitzgerald, manchmal auch Aldous und Maria Huxley.
Es waren rauschhafte Sommer, aber das Leben "en fête" konnte nicht immer so weitergehen. Das Grollen der Zeitgeschichte überhören die Tanzenden auf dem Vulkan, aber die verheerenden Folgen der Kisling-Doktrin - "Unter Freunden darf man miteinander schlafen" - bekamen sie bald zu spüren. Rosies Geliebter, ein englischer Richter, begeht Selbstmord. Sybille verliebt sich in Oriane Desmirail und wird gedemütigt wie ihr Vorgänger, der sich gerade überstürzt in Richtung Tahiti eingeschifft hat. Alessandro, ihr Stiefvater, beginnt eine Affäre mit einem kommunistischen Flapper-Girl aus Berlin, ein Verrat, den die Mutter weder verzeihen noch verwinden kann.
Während sie immer tiefer in Selbstmitleid, Depressionen und Drogen versinkt, schwimmt die Tochter sich langsam frei. So schrecklich es ist, für die eigene Mutter Morphium bei zwielichtigen Ärzten zu beschaffen: Als angehende Schriftstellerin bleibt Bedford in ihrer Schuld. So wie ihre Mutter Geschichten erzählte, will (und wird) sie einmal schreiben: "selbstironisch und oft sehr, sehr witzig", nie monologisierend, immer geistesgegenwärtig und offen für "den einen Augenblick, die Zusammenhänge, die Perspektiven".
Was sie daneben noch nachts in den Bars von Bandol treibt, lässt sie im Dunkeln, wie Sybille Bedford überhaupt trotz einer wachen, scharfen Beobachtungsgabe immer auffällig diskret bleibt. Nicht nur in eigener Sache. Unter Freunden darf man streiten, klatschen, spotten, aber nie verletzend oder gar langweilig moralisch werden. Zärtliche Nähe und Wärme kann durchaus mit kaltblütiger Distanz zusammengehen, Erniedrigung und Verzweiflung mit schwereloser, manchmal fast naiver Heiterkeit, reizende Oberflächlichkeit mit Tiefsinn; das macht "Rückkehr nach Sanary" zu einer der charmantesten Autobiographien des zwanzigsten Jahrhunderts.
Sybille Bedford: "Rückkehr nach Sanary". Roman einer Jugend. Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. SchirmerGraf Verlag, München 2009. 479 S., geb., 22,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lehrjahre einer Bettelprinzessin: Sybille Bedford erzählt von düsteren Tagen in Deutschland und trügerischen Sommern an der Côte d'Azur.
Von Martin Halter
Im Schlösschen von Feldkirch, einem Dorf bei Freiburg, scheint die Zeit stehengeblieben. Der Park mit den grasenden Pferden ist so verwildert wie damals, als Sybille Bedford hier mutterseelenallein mit ihren Eseln und mit sich selbst Tennis spielte, der Keller so dunkel wie damals, als sie mit namenloser Angst den Wein für ihren Vater holte. Als die kapriziöse Mutter Baron von Schoenebeck für einen ihrer zahllosen Liebhaber verließ, schenkte sie ihm zum Abschied das Herrenhaus und die lebhafte Tochter, aber kein Geld.
"Le beau Max", der Kunstsammler aus altem Geschlecht, ersetzte die Kutschpferde durch Esel, das vielköpfige Gesinde durch die eine Lina, den Bordeaux durch selbstgekelterten Most, aber er war ein gebrochener Mann. Seine kluge, eigenwillige Tochter arbeitete wie eine Dienstmagd in Küche, Garten und Feld, aber für ein Leben unter stumpfsinnigen, bigotten Bauern fühlte auch sie sich nicht geschaffen. Der glibberige Schwartenmagen, Linas Knöpfle und Kutteln waren für die spätere Gourmetkritikerin eine Zumutung, der Kommunionunterricht und die Tatzen in der Dorfschule eine Beleidigung ihrer frühkindlichen Freigeisterei.
Noch mitten im Weltkrieg hatte sie bei jüdischen Verwandten in der Berliner Voßstraße den Luxus und die Weltoffenheit eines großbürgerlichen Haushalts kennengelernt. Mit neun riss sie zum ersten Mal aus, nach Wiesbaden, zu ihrer Schwester, wo der Champagner und der Geist schon wieder schäumten. Aber selbst als Bettelprinzess auf dem Misthaufen bewies "Baronesse Billi" Anmut und Würde: Wenn sie schon nicht Ministrantin werden durfte, wollte sie wenigstens in der Kirche die Litanei vorbeten. Als Bedford 1989 ihre Autobiographie "Jigsaw" schrieb, die 1992 (unter dem Titel "Zeitschatten") zum ersten Mal und jetzt, sehr viel geschmeidiger, neu übersetzt wurde, war sie des Deutschen kaum noch mächtig; aber den Singsang des "Bitt f'r uuns" hatte sie noch deutlich im Ohr.
Bedford hat keine sehr guten Erinnerungen an das Spukschloss von Feldkirch und Deutschland. Es ist nicht nur Snobismus oder ihre Unfähigkeit zur Sentimentalität: Sie hatte einfach zu viel Ignoranz und Intoleranz erlebt, um im Rückblick nostalgisch zu werden. Dass man im Schloss französisch sprach, blieb im Dorf natürlich nicht unbemerkt: Einmal flog ein Stein über die Parkmauer; die Narbe an ihrem Auge begleitete Bedford ihr ganzes Leben. Die geborene Weltbürgerin kehrte nur noch einmal nach Deutschland zurück: 1961, als Reporterin im Auschwitzprozess. Alles, was sie schrieb, waren Bruchstücke einer Konfession. In ihren Romanen hat sie die Bruchstellen oft geglättet. In ihren Erinnerungen ist sie direkter, schärfer, spritziger, mit einem Wort: lebendiger. Der nonchalante Erzählton ist so provisorisch und sprunghaft wie ihr Leben, durchsetzt mit vielen Pünktchen und amüsierten Einsprengseln (hmm, aha, na gut); hinzu kommt ein erfrischendes Hin und Her zwischen der Intimität des Tagebuchs und der ironischen Distanz des Gesellschaftsromans, eine Art lauten Denkens, das sich dauernd skeptisch selbst befragt, und die kulinarische Raffinesse, mit der sie Wörter und Erinnerungen auf der Zunge vorkostet, ab- und im Gaumen nachschmeckt. "Bitte, lieber Gott, mach, dass ich Schriftstellerin werde . . . nur noch nicht gleich." Aha.
Ihre Mutter war viel zu launenhaft, geistreich und beschäftigt mit ihren komplizierten Liebschaften, um sich um ihre Tochter kümmern zu können. Früh auf sich allein gestellt, führte Bedford ein unstetes demimondänes Wanderleben zwischen London, Italien und Südfrankreich. In Romanen wie "Ein Liebling der Götter" und "Ein trügerischer Sommer" hat sie Glanz und Elend der Boheme zwischen den Weltkriegen beschrieben, in "Ein Vermächtnis" auch die Allenstein-Affäre ihres Onkels, jene cause célèbre des Kaiserreichs, die selbst Maximilian Harden und Karl Kraus entzweite.
Ihre Freunde, die Kislings, Huxleys und Desmirails, sind einer Vorbemerkung zufolge "weitgehend sie selbst", Mutter und Tochter "zu einem gewissen Prozentsatz wir selbst". Nichts ist erfunden, alles so unwirklich und unglaublich wie in einem Roman aus den wilden Zwanzigern. Bevor die Touristen und Emigranten kamen (Freunde wie Klaus und Erika Mann und leider auch der Vater mit Pudeln, Pomp und Ermahnungen), war Sanary-sur-Mer ein Paradies; jedenfalls für eine unkonventionelle junge Frau, die nach all den Kriegs-, Hunger- und Wanderjahren endlich das süße Leben genießen will.
Italien hatte ihre Sinne geschärft und ihr Herz erobert, aber "Musso" trieb sie ins Exil. In London genoss sie das intellektuelle Klima in der Bloomsbury-Boheme, das Essen und Trinken, das für sie immer mindestens so wichtig wie ein neuer Roman von Evelyn Waugh oder ein neues Automodell war, und bei den Falkenheim-Schwestern erstmals so etwas wie Freundschaft. Aber erst in Sanary-sur-Mer erlebte sie den ganzen Zauber des Südens: Bücher, Tennis und "intellektueller Klatsch" mit Freunden, Plaudereien am Hafen, Picknicks im Hinterland, abends Weißwein im Zypressenhain oder ein Ausflug mit Mutters 4CV nach Saint-Tropez, um "faire la bombe" zu machen. Mit von der Partie waren Künstler und Lebenskünstler wie Renée Kisling, das hemmungslose Vollweib, die Desmirails, ein Paar wie Scott und Zelda Fitzgerald, manchmal auch Aldous und Maria Huxley.
Es waren rauschhafte Sommer, aber das Leben "en fête" konnte nicht immer so weitergehen. Das Grollen der Zeitgeschichte überhören die Tanzenden auf dem Vulkan, aber die verheerenden Folgen der Kisling-Doktrin - "Unter Freunden darf man miteinander schlafen" - bekamen sie bald zu spüren. Rosies Geliebter, ein englischer Richter, begeht Selbstmord. Sybille verliebt sich in Oriane Desmirail und wird gedemütigt wie ihr Vorgänger, der sich gerade überstürzt in Richtung Tahiti eingeschifft hat. Alessandro, ihr Stiefvater, beginnt eine Affäre mit einem kommunistischen Flapper-Girl aus Berlin, ein Verrat, den die Mutter weder verzeihen noch verwinden kann.
Während sie immer tiefer in Selbstmitleid, Depressionen und Drogen versinkt, schwimmt die Tochter sich langsam frei. So schrecklich es ist, für die eigene Mutter Morphium bei zwielichtigen Ärzten zu beschaffen: Als angehende Schriftstellerin bleibt Bedford in ihrer Schuld. So wie ihre Mutter Geschichten erzählte, will (und wird) sie einmal schreiben: "selbstironisch und oft sehr, sehr witzig", nie monologisierend, immer geistesgegenwärtig und offen für "den einen Augenblick, die Zusammenhänge, die Perspektiven".
Was sie daneben noch nachts in den Bars von Bandol treibt, lässt sie im Dunkeln, wie Sybille Bedford überhaupt trotz einer wachen, scharfen Beobachtungsgabe immer auffällig diskret bleibt. Nicht nur in eigener Sache. Unter Freunden darf man streiten, klatschen, spotten, aber nie verletzend oder gar langweilig moralisch werden. Zärtliche Nähe und Wärme kann durchaus mit kaltblütiger Distanz zusammengehen, Erniedrigung und Verzweiflung mit schwereloser, manchmal fast naiver Heiterkeit, reizende Oberflächlichkeit mit Tiefsinn; das macht "Rückkehr nach Sanary" zu einer der charmantesten Autobiographien des zwanzigsten Jahrhunderts.
Sybille Bedford: "Rückkehr nach Sanary". Roman einer Jugend. Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. SchirmerGraf Verlag, München 2009. 479 S., geb., 22,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main