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Johann Gottlieb Fichte gehört zu den interessantesten Figuren der deutschen Geistesgeschichte. Er beeindruckt durch die Kühnheit seiner Gedanken und die Wucht seines philosophischen Entwurfs. Die Welt ist für ihn kein statisches System, sondern dynamischer Ausdruck eines Handelns. Manfred Kühn stellt Fichtes Leben und Denken in engem Zusammenhang dar, bringt uns den komplexen Charakter Fichtes nahe und führt durch sein Werk, das zu den Höhepunkten des "Deutschen Idealismus" gehört.

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Produktbeschreibung
Johann Gottlieb Fichte gehört zu den interessantesten Figuren der deutschen Geistesgeschichte. Er beeindruckt durch die Kühnheit seiner Gedanken und die Wucht seines philosophischen Entwurfs. Die Welt ist für ihn kein statisches System, sondern dynamischer Ausdruck eines Handelns. Manfred Kühn stellt Fichtes Leben und Denken in engem Zusammenhang dar, bringt uns den komplexen Charakter Fichtes nahe und führt durch sein Werk, das zu den Höhepunkten des "Deutschen Idealismus" gehört.

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Autorenporträt
Manfred Kühn, geb.1947, war Professor für Philosophie an der Purdue University in den USA und in Marburg. Er lehrt jetzt an der Boston University. Neben vielen Arbeiten über Kant hat er Bücher und Aufsätze über David Hume, Thomas Reid und die Aufklärung in Schottland, Frankreich und Deutschland veröffentlicht. Einem breiten Publikum ist er durch seine Kant-Biographie (2003) bekannt geworden, die in mehreren Ausgaben und in zahlreichen Auflagen verfügbar ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2012

Du kannst, wenn du sollst

Vor 250 Jahren wurde Johann Gottlieb Fichte geboren, einer der merkwürdigsten Philosophen überhaupt. Zwei Biographien stellen sich der unmöglichen Aufgabe, sein Leben und sein Werk zu erzählen.

Zu Geburts- oder Todestagen berühmter Menschen werden gerne Biographien geschrieben, die mit Vorurteilen, Missverständnissen und Fehlinterpretationen aufräumen, eine neue Seite am Jubilar entdecken wollen. Im Fall des deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte, dessen 250. Geburtstag am 19. Mai dieses Jahres gefeiert wird, ist dieser Anspruch sehr gerechtfertigt: Nicht nur wurden Teile seines Denkens von Neufichteanismus und Nationalsozialisten instrumentalisiert, wurde Fichte, der Redner an die Deutsche Nation wider die napoleonische Besatzung, zu einem Vordenker nationalistischen Gedankenguts stilisiert.

Auch auf den ersten Blick weniger gravierende Vereinfachungen seiner Philosophie und seiner Biographie verstellen nach wie vor den Blick auf diesen Denker, der zusammen mit Schelling und Hegel das ausmacht, was man "Deutscher Idealismus" nennt und häufig in der Benennung auch schon musealisiert hat. Dabei ist Fichte - und dies erahnbar zu machen, ist ein Verdienst der Biographien von Wilhelm G. Jacobs und Manfred Kühn - ein merkwürdiger Denker, dessen Philosophie auf beinahe unheimliche Weise beseelt ist vom Wunsch, eine Totalität zu denken und dessen Konzepte sehr modern wirken (Wilhelm G. Jacobs: "Johann Gottlieb Fichte". Eine Biographie. Insel Verlag, Berlin 2012. 300 S., geb., 24,95 [Euro]; Manfred Kühn: "Johann Gottlieb Fichte". Ein deutscher Philosoph. C.H.Beck, 682 S., geb., 29,95 [Euro]).

Die Legendenbildung um Fichtes Leben, gegen die beide Biographen anschreiben, hing auch von den vielen Zufällen ab, von denen der Bildungsweg des Philosophen geprägt war und die zur Anekdotisierung verleiten: 1762 kommt Fichte als erster Sohn eines Bandwirkers im sächsischen Rammenau zur Welt; nach ihm werden noch acht Geschwister geboren. Als Neunjähriger kann er die Predigt des Dorfpfarrers vollständig, mit "Sinn, Verstand und Anteilnahme" rezitieren und ein Adliger, der Freiherr von Miltitz, ist so angetan, dass er den Jungen mit auf sein Schloss nimmt, um ihm eine seiner Begabung entsprechende Ausbildung zu sichern - es folgen die Stadtschule von Meißen und später Schulpforta.

Fichte studiert halbherzig Theologie an der Jenaer Universität, deren Rektor er später werden soll, hört aber auch Jura, hat vor allem in den Fremdsprachen erhebliche Defizite und bricht schließlich sein Studium ab. Er schlägt sich als Hauslehrer durch, gibt seine Stellen immer wieder auf, weil er sich mit den Familien verkracht. Fichte, das wird an vielen Stellen deutlich, war ein schwieriger, ein narzisstischer, hochfahrender und leicht kränkbarer Charakter. Man muss fast sagen: Er war ein grundunsympathischer Zeitgenosse, ein unfröhlicher Trinker, nie heiter, ständig hinter Röcken her, aber nicht gewinnend.

Lange Zeit dominiert in seinem Leben die Rhetorik, er war ein glänzender Prediger, was später noch an seinen Vorlesungen beobachtet wird. Als er jedoch im Alter von 28 Jahren Kants "Kritik der praktischen Vernunft" liest, hat er eine Art intellektuelles Erweckungserlebnis: War Fichte bisher Determinist, so ist ihm nun durch Kant die reine, willensbestimmende praktische Vernunft des Menschen bewiesen, und die Idee der Freiheit wird ihm zum Lebensthema. Seine ersten Erfolge hat er dabei erst, als er um die Dreißig ist; und auch wie diese sich einstellen, klingt, so schrieb es Jacobs in seiner Fichte-Monographie von 1984, "märchenhaft": Nach einigen ersten Begegnungen mit Kant schreibt der junge Mann selbst einen "Versuch der Kritik aller Offenbarung". Kant verhilft ihm zu einem Verleger, und in der Folge wird die religionsphilosophische Schrift Fichtes zunächst für ein Werk Kants gehalten. Fichte wird berühmt.

Wenig später entwickelt er die Wissenschaftslehre und sein Konzept von Ich und Nicht-Ich - Begriffe, auf die er oft schlagwortartig heruntergebrochen wird und die Goethe hin und wieder zu mildem Spott veranlassten. Der nannte Fichte, auf dessen Selbstbild anspielend, "das absolute Ich".

Aber wie radikal dieser subjektive Idealismus ist, wie neu! Fichtes Ich, von dem aus alles gedacht wird, ist kein individuelles Selbst. Es ist ein allesbegründendes, letztes Prinzip, es weiß sich unmittelbar und geht in seiner Selbstgewissheit der Trennung in Subjekt und Objekt voraus. Und somit auch der Frage danach, wie das Subjekt sich wissen kann, ohne sich immer weiter in Erkennendes und Erkanntes aufzuspalten. Das Ich ist vorgängig, und es "setzt" sich im Vollzug seines Wissens von den Gegenständen selber. In diesem Vollzug kann es dann auch zu einem Wissen davon gelangen, was "Nicht-Ich", also Objekt, anderes Subjekt, Welt ist. Ein allesbegründendes, vorgängiges Ich-Konzept, das aber keine Substanz ist, sondern "reine Tätigkeit", das muss man sich um 1794 einmal vorstellen. Das klingt wie ein metaphysischer Sartre der reinen Vernunft, und wenn Jacobs erläutert: "Da das Ich Subjekt und Objekt zugleich ist, kann niemand das Ich wissen, der es nicht ist", klingt schon fast Heideggers Jemeinigkeit an.

Man muss sich diese Einsichten aber erkämpfen, denn weder Jacobs' ruppig-wissenschaftlicher Stil noch Kühns etwas geschmeidigerer, mitunter jedoch auch sehr Fichte über Fichte belehrende Art vermögen zu transportieren, was Fichte für seine Zeitgenossen so interessant machte. So erfährt der Leser zwar einiges über Fichtes Korrespondenzen, etwa dass Fichtes erste Ausformulierung der grundlegenden Züge seiner Wissenschaftslehre aus seiner Tätigkeit als Literaturrezensent hervorgegangen ist: Er stieß auf eine Kritik Schulzes am Kantianer Reinhold, die ihn so in seinen philosophischen Grundannahmen erschütterte, dass er versuchte, eine eigene Lösung zu finden. Man vergisst immer wieder, dass die großen Systeme der Philosophie auf dem Nährboden der halben Zufallssaat von epochalen Konstellationen entstehen. Leider aber erfährt man von Jacobs weder etwas vom präexistenzialistischen Habitus des frühen Fichtes, noch von der begründungswütigen Philosophie vom Absoluten, mit einer von Religiosität durchzogenen Sprache und mit wenigen Zeitgenossen, die sein Denken wirklich mitdenken können. Fichtes Philosophie ist auch ein Ringen um Sprache.

Das Hauptproblem einer Biographie Fichtes liegt darin, dass sie sich entscheiden müsste, was sie sein will - Einführung in den aktuellen Forschungsstand zu Werk und Leben Fichtes oder plaudernde Biographie eines der Großen des 18. und 19. Jahrhunderts. Das kann und will Jacobs aber gar nicht leisten. Er legt die wichtigen großen Entwicklungen des fichteschen Denkens mit großer Nüchternheit dar und führt sie mit den Fakten seines Lebens zusammen, wobei er sich größtenteils auf Korrespondenzen, Gesamtausgabe und seine kritische Exegese der Biographie von Fichtes Sohn Immanuel Hermann stützt. Gleichzeitig aber schreibt er gegen die Tradition der Fehlinterpretation Fichtes und der Verklärung beziehungsweise Dämonisierung seines Charakters an. Dies tut er jedoch, ohne diese Tradition zu benennen, ohne beispielsweise auf Texte hinzuweisen, die Fichte als Antisemiten bezeichnen. Auch hätte Jacobs der aktuellen kritischen Auseinandersetzung mit seinem Philosophen wahrscheinlich besser zugearbeitet, wäre er ihm gegenüber kritischer gewesen: Beispielsweise wenn er, statt sich sechs Seiten lang über den Ablauf des Streits zwischen einem jüdischen und nichtjüdischen Studenten und Fichtes durchaus reflektierter Haltung als Rektor der Berliner Universität dazu zu äußern, Fichtes tatsächlichen Antisemitismus in seinem "Beitrag zu Berichtigung des Publikums über die Französische Revolution" ernst genommen und kontextualisiert hätte.

Kühn wiederum nimmt sich mehr Platz, erzählt ausführlich von Fichtes Leben vor seiner Selbstsetzung als Philosoph, koloriert den Kontext der Schul- und Universitätsgeschichte - Fichte liefen die Hörer nur so zu - ebenso aus wie die Zeitgenossenschaft der Klassiker und Romantiker. Doch auch er trifft dann eben auf eine philosophische Konstellation von Argumenten, die kompliziert zu nennen eine Untertreibung wäre. Was damals in den Bann der Frage zog, ob sich die ganze Welt aus dem "Ich" begründen lässt, bleibt ein Rätsel. "Der Mensch kann, was er soll; und wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht" - Sprüche wie diese, enthalten sie nun die arme Substanz des Denkens Fichtes, oder war die Lebenseinstellung mit der Pflichtpeitsche und der intellektuellen Hybris nur der gewissermaßen private Antrieb für ein Denken, das darüber hinaus Bedeutung hat?

Jacobs ist unangefochten führender Kopf und Kenner der Fichte- und Schellingexegese; man kann ihm kaum vorwerfen, dass er seinen Kenntnisreichtum nicht anbiedernd durch psychologische Überwürfe oder anekdotische Einschübe zu verkaufen trachtet. Aber an manchen Stellen ist dies doch schade, weil die wohldosierten Bosheiten, die Fichte und seine Zeitgenossen in der deutschen Geisteslandschaft des anbrechenden 19. Jahrhunderts verteilten, so viel Anlass böten, ein wenig zu plaudern. Etwa, wenn Fichte brieflich bei einem Jenaer Professor über den ihn langsam überholenden Naturphilosophen Schelling lästert und dieser Brief dann in Jena herumgezeigt wird, bis er bei Schelling landet. Auch bleibt rätselhaft, wie Fichtes Frau, Marie Johanne, von der glühend Geliebten zur schlecht gekleideten Vogelscheuche werden konnte, über deren Geiz und Stillosigkeit ganz Jena lästert.

"Es ist nicht unsere Sache", schreibt Jacobs, "Fichte zu be- oder gar zu verurteilen; wir haben ihn zu verstehen, eben auch in seinen Ängsten und Schwächen. Er ist bei aller Größe ein Mensch wie alle." Nun das, einer wie alle, war er eben nicht. Bei Kühn erfährt man viel davon, muss dafür allerdings eine recht weite Strecke gehen.

HANNAH LÜHMANN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Einen zwiespältigen Eindruck hat Manfred Kühns umfangreiche Biographie Fichtes bei Rezensent Uwe Justus Wenzel hinterlassen. Ihm ist nicht ganz klar, was den Autor eigentlich an dem Philosophen fasziniert. Nicht nur, dass Kühn Fichte nicht gegen die Vorwürfe der Zeitgenossen in Schutz nimmt, er attestiert ihm auch selber eine Art Größenwahn, erklärt der Rezensent. Fichtes philosophiegeschichtliche Bedeutung scheine Kühn gering, er charakterisiere ihn vor allem als Übergangsfigur. Dass Kühn immer wieder den Kopf schüttelt über Fichte und den Zeigefinger erhebt, missfällt Wenzel. Doch aller Rechthaberei zum Trotz hält der Rezensent das detaillierte und profunde, wenn auch manchmal langatmige Werk auf jeden Fall für "lesenswert".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.05.2012

Niemand konnte ihm gegen sich selbst helfen
Vor 250 Jahren wurde Johann Gottlieb Fichte geboren. Zwei Biografien nähern sich dem Philosophen, der als „Vater des deutschen Idealismus“ gilt
Eine Verwechslung hat den raschen philosophischen Ruhm Johann Gottlieb Fichtes wesentlich befördert, eine Verwechslung, die der Verlag der Hartungschen Buchhandlung provoziert hatte, indem er für den „Versuch einer Critik aller Offenbarung“ 1792 zwei Titelblätter drucken ließ: für Königsberg und Umgebung eines mit dem Namen des Verfassers, für das restliche gelehrte Deutschland aber eines ohne Namensnennung.
Die Rechnung ging auf. Das Zentralorgan der Kantianer, die in Jena erscheinende Allgemeine Literatur-Zeitung , verkündete ihren Lesern Ende Juni die frohe Botschaft, dass ohne allen Zweifel der „Philosoph von Königsberg“, also Immanuel Kant höchstselbst, der Verfasser der religionsphilosophischen Schrift sein müsse. Kant korrigierte den Irrtum und ließ eine Erklärung einrücken, dass der „aus der Lausitz gebürtige, jetzt als Hauslehrer bei dem Herrn Grafen von Krockow in Krockow in Westpreußen stehende Kandidat der Theologie Herr Fichte“ der alleinige Verfasser sei. Ihm gebühre die Ehre.
Plötzlich stand der damals Dreißigjährige, der sich bislang nur notdürftig über Wasser gehalten hatte, im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zwei Jahre später rief man ihn als Lehrer der Philosophie an die Universität Jena, wo ihn Studenten und Kollegen wie einen Star behandelten, bewundernd, eifersüchtig und spöttelnd. Es gab Tusch und Beifall, Steine flogen ebenso wie Verse, Sottisen über menschliche Schwächen, nicht zuletzt über die Neigung zum Alkohol, kursierten. Dennoch hätte Fichte an dieser Universität, die damals die deutsche Universität schlechthin war, seiner Bestimmung gemäß leben können, hätte ihm seine Vernunft nicht den Vorwurf der Gottlosigkeit eingetragen und hätte er nicht durch heftiges Eifern, allzu forsches Beharren die im Grunde wohlwollende Obrigkeit gegen sich aufgebracht. Sie beendete 1799 den „Atheismusstreit“ ganz unphilosophisch durch Fichtes Entlassung. Er wurde später wieder Professor, erst in Erlangen, dann in Berlin, war aber von nun an politischen Wechselfällen viel stärker ausgesetzt.
Das Bedauern über das Ungeschick des Philosophen, sich wirklichkeitsklug zu verhalten, soll Goethe so zusammengefasst haben: „Fichte ist nicht davon abzubringen, daß er sich sein Nicht-Ich so vorstellt, wie es nicht ist. Wer kann Ihm wider Ihn selbst helfen?“ Die Frage könnte als Motto über jeder Fichte-Biografie stehen, es wäre dann zu zeigen, dass seine Schwächen zugleich seine Stärken waren. Auf seinen Wegen wie seinen Irrwegen zeigte er Mannesmut, Streitlust, Stolz und Starrsinn. Heinrich Heine glaubte, dass Fichte damit auf die Jugend einen „heilsamen Einfluss“ ausgeübt habe, und schon ihm schien der Charakter des Mannes wenigstens so interessant wie seine „Wissenschaftslehre“.
Ist etwas davon noch aktuell? Die Frage hat einen philiströsen Unterton, als müsse sich Vergangenes dadurch beweisen, dass es eine Mitteilung ausgerechnet an uns enthielte. Sie liegt dennoch nahe. Auf Fichte haben sich bis weit ins 20. Jahrhundert bornierte Nationalisten berufen, aber auch der Münchner Philosophieprofessor Kurt Huber, Mitglied der „Weißen Rose“ 1943 vor dem Volksgerichtshof. Friedrich Engels bezeichnete es als einen besonderen Stolz der deutschen Sozialisten, dass sie auch von „Kant, Fichte und Hegel“ abstammen.
Ist etwas davon noch aktuell? Kaum, möchte man meinen, nimmt man die Biografien zur Hand, die zu Fichtes 250. Geburtstag erschienen sind: Wilhelm G. Jacobs, Schelling-Herausgeber und Kenner des deutschen Idealismus, nutzt seine Lebensbeschreibung, um Fichtes Bild von „Übermalungen und Entstellungen“ zu befreien. Manfred Kühn dagegen, dessen Kant-Biografie (2003) erfreulich viele Leser fand, veranstaltet eine Materialschlacht, deren vornehmstes Ziel es zu sein scheint, den Fall Fichte abzuschließen und ihn als einst inspirierende Übergangsfigur zwischen Größeren, zwischen Kant und Hegel, den Philosophiehistorikern zu übergeben.
Wer nicht täglich am Frühstückstisch in der „Kritik der reinen Vernunft“ schmökert, dem sei das Buch von Wilhelm G. Jacobs nachdrücklich empfohlen. Er versteht es, Konstellationen zu skizzieren und dem Leser eine Vorstellung von der intellektuellen Entwicklung Fichtes zu vermitteln. In Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ fand er die Überzeugung, „daß der menschliche Wille frei sei, und daß Glückseligkeit nicht der Zweck unseres Daseins sei, sondern nur Glückswürdigkeit “. Er blieb dabei nicht stehen. 1793 übernimmt er die Rezension eines Buches von Gottlob Ernst Schulze: „Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie.“ Darin wird bestritten, dass Carl Leonhard Reinhold, Fichtes Vorgänger in Jena, einen elementaren Grundsatz der Philosophie gefunden habe. Reinholds Satz – „Im Bewußtsein wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen“ – habe Voraussetzungen und könne somit kein Grundsatz sein.
Fichte liest das, zweifelt und findet schließlich im „unmittelbaren Bewußtsein des Wissens von sich selbst“ ein neues Fundament der Philosophie. Von der intellektuellen Anschauung ausgehend, vom „unmittelbaren Bewußtsein, daß ich handle und was ich handle“, wird er seine „Wissenschaftslehre“ entwickeln. Sehr schön zeigt Jacobs, ohne den Leser mit allzuviel „Ich“ und „Nicht-Ich“ zu verwirren, wie Fichte neue Fragen aufwirft, etwa die, woran ich unter allen Objekten jene erkenne, die „zugleich Subjekte, freie Wesen sind“. Da Freiheit sei, indem sie sich vollziehe, kommen wir in der Aufforderung zum Bewusstsein der Freiheit. „Tritt uns also“, fasst Jacobs zusammen, „ein Wesen entgegen, das uns auffordert oder das auf unsere Aufforderung reagiert, so verstehen wir es als frei.“ Eine neue Frage und eine originelle Antwort – man beginnt zu ahnen, was Zeitgenossen an Fichte bewunderten.
Warum ihr Interesse an Philosophie überhaupt so groß war, erfährt man bei Jacobs leider nicht. Ihm ist Fichte so selbstverständliches Bildungsgut, dass er keine weiterführenden Überlegungen anstellt, die historisch scharfe Einordnung scheut. Dabei dürfte doch zu zeigen sein, wie in der Entwicklung des deutschen Idealismus und gerade durch Fichte der Grund dafür gelegt wird, dass nach 1831 die interessanten Philosophen akademische Außenseiter sind, Kierkegaard, Marx, Nietzsche.
Und wenn er meint, dass Fichte bei aller Größe ein Mensch „wie alle“ sei, klingt das zwar sympathisch, überzeugt aber nicht. Wie auch bei Manfred Kühn werden die charakterlichen Besonderheiten Fichtes bloß registriert, statt in ihnen auch eine Signatur der Umbruchszeit um 1800 zu erkennen. Goethe sprach von der „Epoche der forcierten Talente“. Wie ein schwieriger Charakter entsteht, lässt sich in den ersten Kapiteln von Kühns Buch trefflich nachvollziehen: Die Eltern heiraten, weil sie müssen, gegen den Willen der sozial etwas höherstehenden Familie der Mutter. Der fehlt Heiterkeit wie Herzlichkeit, die materiellen Verhältnisse sind nicht danach, das zu ändern. Der Knabe zeigt früh große Begabung wie die Unfähigkeit, sich zu erklären. Das strenge Regiment in Schulpforte fördert Vereinzelung, Abkapselung und Trotz. Es folgen planlos scheinende Jahre bis zur Kant-Lektüre.
Sympathisch, ein umgänglicher Mitmensch wird, wie Kühn zeigt, Fichte dadurch nicht. Immer wieder wird er von seinem Biografen gerüffelt und zurechtgewiesen, bis der Leser die Geduld verliert. Dies umso mehr, als Kühn die Marotte pflegt, zwar möglichst viele Zitate zu bringen, aber Figuren nicht einzuführen. Wenn es heißt, dass die „Appellation“, Fichtes Rechtfertigung im „Atheismusstreit“, auch an Teller und Biester geschickt wurde, dann wüsste man doch gern, um wen es sich handelt und warum die beiden Berliner Aufklärer in diesem Fall wichtig sind. Das Material findet der Interessierte auch in der Gesamtausgabe und in den von Erich Fuchs herausgegebenen Bänden „Fichte im Gespräch“. Deutung, Analyse aber werden bei Kühn von Kapitel zu Kapitel schwächer. War Fichte Antisemit? Das Thema klingt an, eine historisch informierte Behandlung des Problems fehlt.
Ärgerlich ist dann die Behauptung, eine Passage in den „Reden an die deutsche Nation“ klinge „tatsächlich wie ein Vorbote des ,Generalplans Ost‘“. Das heißt, Insinuation an die Stelle historischen Verstehens zu setzen. Kühn spricht von einem Eindruck, dessen man sich nicht erwehren könne. So ein Nicht-Argument hätte er Fichte nicht durchgehen lassen. Der rhetorisch starke Effekt ersetzt den Vergleich mit zeitgenössischen Patrioten und lässt manches Verhängnisvolle der „Reden“, 1807/08 unter französischer Besatzung gehalten, verblassen. Dazu gehört, dass Fichte statt konkreter politischer Analyse pompös klingende Kulturkritik liefert, dass er die Nation in ihre „Deutschheit“ einsperrt, dass Pathos und Spekulation eine genaue Beschreibung der Wirklichkeit verhindern.
Johann Gottlieb Fichte sei, schließt Kühn, weit hinter dem Möglichen zurückgeblieben. Leider gilt das auch für diese Biografie.
JENS BISKY
WILHELM G. JACOBS: Johann Gottlieb Fichte. Eine Biographie. Insel Verlag, Berlin 2012. 251 Seiten, 24,95 Euro.
MANFRED KÜHN: Johann Gottlieb Fichte. Ein deutscher Philosoph. Verlag C. H. Beck, München 2012. 682 Seiten, 29,95 Euro.
Goethe sprach einmal von der
„Epoche der forcierten Talente“ –
dieser Epoche entstammt Fichte
In seinen Reden an die Nation
hat Fichte 1807/08 die Deutschen
in ihre „Deutschheit“ eingesperrt
Johann Gottlieb Fichte am Katheder.
Fotos: SZ Photo/Scherl
Der Philosoph als Landsturm-Freiwilliger 1813.
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