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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Stefan Kutzenberger lässt Trump und Dylan aufeinander los
Trump und kein Ende. Und wenn das jetzt alles noch mal von vorne losgeht? Unterhält man sich mit älteren oder alten Amerikanern von der Ostküste, von denen man annimmt, sie wüssten, welche Vergleiche sie anstellen, über deren Präsidenten, dann bekommt man vielleicht gar zu hören: "Schlimmer als Hitler!" Hitler hatte in Ermangelung einer durchschlagskräftigen innenpolitischen Konkurrenz "nur" eine kulturelle: Thomas Mann war, wie Marcel Reich-Ranicki einmal sagte, die "einzige und weithin sichtbare Gegenfigur" zum nationalsozialistischen Deutschland, mithin zu Hitler. Und Trump? Solange sich die politische Gegenfigur zu ihm noch nicht durchgesetzt hat, wird man sich mit einer kulturellen begnügen müssen. Und wer, außer den Schriftstellern, deren Meinung man ja nun langsam kennt, käme dafür in Frage, wenn nicht Bob Dylan? Nobelpreisträger gegen "Tyrann" - das kommt einem jedenfalls bekannt vor.
Stefan Kutzenberger macht aus einer solchen, eigentlich auf der Hand liegenden Konstellation literarisch das Beste; und zwar gerade, indem er das Offensichtliche, aber von Anfang an Falsche - Bob Dylan als "Stimme" einer Generation, Pazifist, Anwalt der Unterdrückten und so weiter - elegant umgeht und stattdessen die Tatsache, dass Dylan schon aufgrund seiner Schweigsamkeit politisch-moralisch bis heute schwer zu fassen und deshalb für nichts und niemanden zu vereinnahmen ist, produktiv nutzt. Sein Roman "Jokerman" ist gewissermaßen das Buch zum Wahlkampf, aus mehreren Gründen, inklusive sogar Corona-Aktualität.
Der Titel bezieht sich auf das gleichnamige Hauptlied des Albums "Infidels", mit dem Dylan 1983 seine berüchtigte religiöse Phase, die ihn zum Christen werden ließ, beendete. Der Ich-Erzähler Kutzenberger selbst ist dieser Jokerman, als sympathisch linkischer Romanschriftsteller und tiefsinniger Dylanologe dazu auserkoren von einem im Hintergrund bleibenden Isländer namens Gudjonsson, der sich von Dylans Werk einst irrtümlich dazu inspirieren ließ, in einer Art Weltverschwörung Donald Trump zur Präsidentschaft zu verhelfen, und dessen Wiederwahl nun mit allen Mitteln verhindern will, notfalls mit Mord, zu dem ihm Jokerman als, wie sich herausstellt, unwilliger Vollstrecker dienen soll.
Das klingt, um Johann Karl Wezels Menschenhasser-Roman "Belphegor" zu zitieren, nicht gerade nach der "wahrscheinlichsten Geschichte unter der Sonne". Tatsächlich setzt sich Kutzenberger voller Leidensbereitschaft und mit gewissen Nehmerqualitäten ins Zentrum eines Geschehens, dessen Kolportagehaftigkeit man als Zumutung empfinden müsste - es geht um die halbe Welt, am Ende kommt sogar die vor vier Jahren von Trump schmählich besiegte Hillary Clinton als James-Bond-artige Strippenzieherin ins Spiel -; wäre sie nicht so dermaßen rasant, charmant und selbstironisch berichtet und fielen dabei nicht auch noch Einsichten ab, die über das glimpfliche Romanende und wohl auch über die Präsidentenwahl hinaus Gültigkeit beanspruchen dürfen.
Denn Kutzenberger/Jokerman verfährt nicht platt moralisch im Sinne von gut oder böse, sondern macht die prinzipielle Vieldeutigkeit von Liedern und die eigenmächtige Faktenauslegung eines Präsidenten zur poetologischen Grundlage seiner Erzählung, führt Dylan und Trump also gewissermaßen eng und lässt auf diese Weise Wahrheit und Lüge als eher außermoralisches Problem dastehen. Wenn Bob Dylan den Song "Jokerman" so singt, dass er genauso gut auch "Jokanaan", also Johannes der Täufer, lauten könnte, dann ist quasi alles möglich, dann kann in der Politik auch die Fiktion wahr werden, wie sie es in der Literatur immer schon ist. Es ist schließlich an Salman Rushdie, diese Erkenntnis zu verbreiten. Kutzenberger gönnt auch diesem Großschriftsteller, der weiß Gott befugt ist, über die Macht des (verdrehten) Wortes zu dozieren, noch einen fabelhaften leibhaftigen Auftritt, der, wie der ganze Roman, ohne jede Prätention auskommt. Denn, wie es schon lange nichts mehr bringt, Dylan als Heilsbringer zu verehren, so sagt Rushdie: "Es ergibt nämlich keinen Sinn, Trump lächerlich oder dämonisch darzustellen, beides ist zu offensichtlich, das wäre ein Anfängerfehler." Stefan Kutzenberger hat mit diesem großartigen Roman, seinem zweiten, jedenfalls keinen begangen.
EDO REENTS
Stefan Kutzenberger: "Jokerman". Roman.
Berlin Verlag,
Berlin 2020. 352 S., geb., 22,- [Euro].
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