Wenn Joseph in den Stall kommt und den Geruch der Tiere einatmet, fühlt er sich zu Hause. Joseph ist Landarbeiter in der Auvergne. Hier im Cantal war er auf fast allen Höfen angestellt, und er kennt auch die unguten Geschichten. Bald wird er sechzig. Seine wenigen Habseligkeiten passen in einen Koffer, er hat sich im Altersheim angemeldet. Joseph liebt seine Arbeit, die Tiere, besonders die Kälber, den Hund. Er ist schweigsam, beobachtet lieber die anderen. Als er dreißig war, liebte er Sylvie, einen Sommer lang. Aber die ging mit einem anderen weg, und Joseph begann zu trinken – zwölf Jahre wie in Watte, an die er sich kaum erinnert. Sein Bruder hat sich anderswo ein Leben aufgebaut. »Joseph«, heißt es, »hat kein Heim gegründet, Leute wie er gründen kein Heim.« In knapper, rhythmischer Sprache porträtiert Marie-Hélène Lafon nicht nur einen Mann, der sich nie über sein Schicksal beklagt, sondern auch ein unbekanntes Frankreich, weit, sehr weit von Paris entfernt. Es ist eine Welt, die im Untergang begriffen ist, wo die Jungen weggehen und die, die bleiben, wissen, dass es nach ihnen aufhört. »Joseph«, angelehnt an Flauberts berühmte Novelle »Ein schlichtes Herz«, ist ein berührender Roman über das Glück des Anspruchslosen.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Man könnte von einer ruhigen Begeisterung sprechen, die dieser Roman im Rezensenten Enno Stahl ausgelöst hat. Es ist ja wahrlich nicht spektakulär, was Lafon hier erzählt, das Leben eines Landarbeiters knapp vor der Altersrente, der endlich mit sich ins Reine gekommen ist. Aber das tut sie ungeheuer eindringlich und mit großer sprachlicher Virtuosität, erläutert der Rezensent. Er bewundert ganz besonders, wie es der Erzählerin, die die Welt, die sie hier schildert, sehr genau kennt, sich in die Personen hineinversetzt, ihren Sprach- und Denkduktus annimmt, und wie leicht und elegant sie zwischen den verschiedenen Personalperspektiven wechseln kann. "Ein perfektes Stück Literatur", schließt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein perfektes Stück Literatur, das in sich selbst ruht, genau wie sein Protagonist aus dem Cantal.« Enno Stahl / Deutschlandfunk