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Das Leben als Abenteuer und die Zwänge der Routine: Manuel Chaves Nogales' Biographie des Toreros Juan Belmonte erstmals auf Deutsch
Spanien und Stierkampf: Gibt es ein ärgeres Klischee? Man nähert sich dem 1935 im Original erschienenen Buch "Juan Belmonte - Stiertöter" also vielleicht mit einer gewissen Skepsis, zumal die legendenhafte Berühmtheit des Protagonisten, dem aus Sevilla und aus ärmlichen Verhältnissen stammendem Torero (1892 bis 1962), heute ebenso historisch entfernt ist wie die goldenen Zeiten des spanischen Stierkampfsports. Die hier erstmals in deutscher Übersetzung vorgelegte Lebensgeschichte von Juan Belmonte ist eine Autobiographie nur in dem Sinne, dass Belmonte sein Leben dem Journalisten Manuel Chaves Nogales (1897 bis 1944) erzählt und ihn mit dem Schreiben beauftragt hat. In gewisser Weise haben sie das Buch gemeinsam geschrieben: Es ist schwer zu sagen, wie sich die in der ersten Person erzählende Stimme Belmontes vom Stil des Verfassers trennen ließe.
Das Buch war zunächst von Juni 1935 an in wöchentlichen Feuilletons der Zeitschrift "Estampa" erschienen, Ende jenes Jahres dann in Buchform. Hatte es einst vor allem die Funktion, das "wahre Leben" des gefeierten Toreros zu bezeugen - der Name des eigentlichen Autors wurde zunächst unterdrückt -, ist es für heutige Leser gerade diese Autorschaft von Chaves Nogales, die das primäre Interesse am Buch ausmacht.
Der lange vergessene Manuel Chaves Nogales gilt in Spanien seit rund drei Jahrzehnten als eine der spektakulärsten literarischen Wiederentdeckungen, inzwischen weithin anerkannt als einer der bedeutendsten literarischen Reporter Europas seiner Zeit, gerühmt von zeitgenössischen spanischen Schriftstellern von Javier Marías bis Andrés Barba. Der deutsche Übersetzer und Verleger Frank Henseleit hat sich mit großer Verve und langem Atem vorgenommen, diesen Autor auch hierzulande bekannt zu machen. In seinem Kupido-Verlag (F.A.Z. vom 24. September 2020) ist eine großzügige Werkausgabe mit sechzehn Einzelbänden angekündigt; der Belmonte-Band erschien nun in Henseleits geschmeidiger Übersetzung zunächst gesondert auch in der Friedenauer Presse.
Interessant an Nogales' Buch sind also seine romanhaften Züge, die Anklänge an die spanische Tradition des Schelmenromans, die tragikomischen Elemente, die Skizzen von Personen und Orten, die skurrilen Anekdoten, die Schilderung etwa von Belmontes Rivalität und Freundschaft zu Joselito (José Gómez Ortega), einem anderen großen Stierkämpfer jener Jahre. Die (fingierte) Stimme Belmontes betont dabei immer wieder sein Verständnis von Stierkampf als einer Kunst, als "geistiges Exerzitium". Er zeigt sich dabei auch als ein manisch Lesender, der zu einer Tournee in Südamerika zur Verwunderung des Zollbeamten nicht nur das übliche Zubehör eines Toreros, sondern auch einen Koffer voller Bücher mit sich führt. Schon in jungen Jahren zeigt Belmonte eine Neigung zur literarischen Phantasie, zeitweilig verkehrt er sehr eng mit bedeutenden spanischen Literaten seiner Epoche, darunter Ramon del Valle-Inclán und Pérez de Ayala; auch mit Ernest Hemingway war er befreundet.
In der Erzählung dieses Stierkämpferlebens spannt das Buch einen Bogen von den jugendlichen Abenteuern mit einer Gruppe von "anarchistischen" Freunden, die zusammen mit Belmonte ihr heimliches nächtliches Spiel auf den mondbeschienenen Wiesen außerhalb von Sevilla treiben, bis zu dem vierzigjährigen Weltstar, der als Besitzer einer stattlichen Finca den revolutionären Bauernaufständen zur Zeit der Republik skeptisch gegenübersteht. Dazwischen liegen eine Unzahl von Stierkämpfen, Hunderte von getöteten Stieren, immer wieder lebensbedrohliche Verletzungen.
Für heutige Leser, die nicht mehr unter dem Bann des "berühmtesten Toreros aller Zeiten" stehen, hat das mitunter auch etwas Ermüdendes. Der melancholische letzte Teil des Buches führt aber eindringlich vor Augen, wie Belmonte hin- und hergerissen ist zwischen der Unfähigkeit, von seiner Berufung zu lassen, und der schleichenden Angst, in den Zwängen der Routine gefangen zu sein: "Ich war in ein Labyrinth der Zweifel geraten, die ihre Ursprünge in meiner ungeregelten Lektüre hatten." Belmonte ist sich zugleich bewusst, Vertreter einer Kunst zu sein, die kurz nach ihrer Glanzepoche schon ihren Niedergang ankündigt: "Die lidia der Zukunft wird ein einziges substanzloses Zirkusspektakel sein."
Dieses künstlerische Selbstbewusstsein des Toreros erzählerisch so überzeugend herausgearbeitet zu haben, das ist wiederum die Kunst von Chaves Nogales, der selbst gar kein Aficionado war. Unter seinen vielen Reportagen sind heute wohl diejenigen besonders interessant, die die politischen Umwälzungen seiner Zeit aus ungewohnter Perspektive einfangen, wie etwa seine Flugzeugberichte über die Städte und Landstriche des bolschewistischen Russlands. Davon fließt gelegentlich natürlich auch etwas in das Belmonte-Buch ein, etwa wenn der Torero und seine Entourage während einer Mexikoreise unversehens in die Wirren der Revolution geraten. Die besondere erzählerische Kraft des Stierkämpfer-Buches entsteht aber aus der kongenialen Verbindung der Stimmen von Torero und Reporter, der Gestaltung des Lebens als Abenteuer, der Zusammenführung der Anekdoten in eine abgerundete Form. JOBST WELGE
Manuel Chaves Nogales: "Juan Belmonte -
Stiertöter".
Aus dem Spanischen
von Frank Henseleit.
Friedenauer Presse, Berlin 2022. 410 S., geb., 26,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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