Juden und Worte bilden von jeher eine enge Verbindung. Amos Oz und seine Tochter Fania Oz-Salzberger, die als Historikerin lehrt, erkunden jüdische Wortwelten, Wörter, ihre alten wie neuen Bedeutungen, Auslegungen und Wandlungen, die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets. Kontinuität im Judentum war immer ans mündlich geäußerte und geschriebene Wort geknüpft, an ein ausuferndes Geflecht von Interpretationen, Debatten, Streitigkeiten. In der Synagoge wie in der Schule, vor allem aber zu Hause umspannte es zwei oder drei ins Gespräch vertiefte Generationen. Was Juden untereinander verbindet, sind Texte. Es ist mit Händen zu greifen, in welchem Sinne Abraham und Sara, Rabban Gamiel, Glückel von Hameln und zeitgenössische jüdische Autoren demselben Stammbaum angehören. Vater und Tochter zeigen anhand verschiedener Themen wie Kontinuität, Frauen, Zeitlosigkeit, Individualität quer durch die Zeiten, von der namenlosen, möglicherweise weiblichen Verfasserin des Hohenliedes bis zu den Talmudisten, Gelehrten und Künstlern die Verbindung von Juden und Wörtern. Sie zeigen, dass jüdische Tradition, auch jüdische Einzigartigkeit nicht von zentralen Orten, Erinnerungsstätten, heroischen Figuren oder Ritualen abhängt, sondern vielmehr von geschriebenen Worten, deren Auslegungen und Debatten zwischen den Generationen. Gelehrt, behände und humorvoll bietet »Juden und Worte« einen einzigartigen Streifzug durch die jüdische Geschichte und Kultur und lädt jeden Leser, jede Leserin zum Gespräch ein, zu Fragen, Einwänden, Entdeckungen in einem Buch.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2013Im wahrsten Sinne des Wortes
Geistige Ahnen: Der israelische Schriftsteller Amos Oz hat zusammen mit seiner Tochter, der Historikerin Fania Oz-Salzberger, "Juden und Worte" geschrieben - ein Buch über das jüdische Erbe.
In seinem neuen Buch tritt Amos Oz nicht als ein einzelner Autor auf, sondern im "Duo", wie es mit zärtlicher Ironie heißt. Er hat es mit Fania Oz-Salzberger geschrieben, einer Professorin für europäische Geistesgeschichte an der Universität Haifa, und die Zusammenarbeit ist fruchtbar. In ihrem Buch geht es um Juden und Worte, ein Thema, das Jahrtausende umfasst und neben der sprachlichen auch eine historische Perspektive verlangt.
Was in dem fertigen Text vom Romancier oder von der Historikerin stammt, ist selten zu unterscheiden und auch nicht so wichtig. Denn in erster Linie sind sie Vater und Tochter, und ihr zum Text gestaltetes Gespräch belegt die zentrale These des Buchs: Das Judentum verdankt seine Kontinuität nicht der Biologie, wie es Rassisten und auch orthodoxe Juden behaupten, sondern einer langen Reihe von Texten, die es seit seinen Ursprüngen begleiten und von denen es sich im wahrsten Sinne des Wortes herschreibt. Seine Ahnenkette ist nicht genetisch, sie ist geistig, und den Leser erinnert das an Nathan den Weisen - auch er war nicht der biologische, sondern der geistige Vater seiner Ziehtochter Recha.
Die Affinität ist nicht zufällig. Wie Lessing kommen auch Amos und Fania Oz von der Aufklärung, sie reden keinem Partikularismus das Wort, sie sind Universalisten. Aus der Mischna, dem ersten Teil des Talmud, zitieren sie den Satz, "wer eine einzige Seele zerstört, hat eine ganze Welt zerstört; wer eine einzige Seele rettet, hat eine ganze Welt gerettet"; und dann polemisieren sie gegen den Babylonischen Talmud, der dieser Maxime zwei Worte hinzufügt: "Eine einzige Seele - aus Israel". Dieser talmudischen Ergänzung, so schreiben sie, "schenken wir keine Beachtung. Wir schaffen sie in den Keller, wo sie unter anderen ungeliebten Erbstücken zustauben soll. Der Satz aus der Mischna dagegen gehört zum Mobiliar unseres Wohnzimmers."
Ihr Buch ist eine Einführung in die Posen Library of Jewish Culture and Civilization der Yale University Press, ein zehnbändiges Kompendium jüdischer Kunst und Literatur von der Bibel bis zur Gegenwart. Es wendet sich an eine internationale Leserschaft, daher haben sie es auf Englisch geschrieben. Die Gespräche aber, die dem gedruckten Text zugrunde liegen, haben Vater und Tochter auf Hebräisch geführt, und so muss das Buch auch verstanden werden: als Teil eines israelischen Diskurses, in dem sich die Geister scheiden.
Die Aussage ist nicht nur kulturgeschichtlich, sie ist auch politisch. Deutlich setzt sie sich gegen die Ultraorthodoxie ab, die in Israel an den Schaltern der Macht sitzt und eine Deutungshoheit der Tradition behauptet, die sie in den pluralistischen Gemeinden der Diaspora nicht hat. Zu den Konstanten des israelischen Kulturkampfs gehört es, dass ultraorthodoxe Rabbiner Frauen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen suchen, und ein langes Kapitel des Buchs ist den bedeutenden Frauen gewidmet, die von der Bibel bis in die Gegenwart ein Teil der jüdischen Geschichte sind.
Die Ausgrenzung der Frauen, so die beiden Autoren, begann mit der Zerstörung des Zweiten Tempels und den Lehrhäusern des Exils, die keine politische Freiheit mehr kannten und eine exklusive Gelehrten- und Männerwelt bildeten. "Frauen teilten das jüdische Schicksal, aber sie waren nicht länger am Ausformen jüdischer Weisheit beteiligt", schreiben Vater und Tochter. "Im Gegensatz dazu lebten die Männer und Frauen der Bibel nur in der Geschichte, in der rauhen, irdischen, blutigen Geschichte."
Sie deuten das jüdische Erbe von ihrem zionistischen Standpunkt aus, der sein Anrecht auf das Land der Väter von der Bibel ableitet und dazu neigt, den Talmud zu überspringen, weil er das Leben im Exil regelte. Aus traditioneller Sicht ist der klassische Zionismus immer ketzerisch gewesen, er wartete weder auf die Rabbiner noch auf den Messias, um das Exil zu beenden, und so sehen es auch Amos und Fania Oz. Für sie ist das Buch der Bücher eine Reihe von Texten, die von Menschen für Menschen geschrieben wurden.
"Wir sind die Atheisten der Bibel", sagen sie über sich, und das ist schön formuliert, aber es führt sie zugleich in den ideologischen Streit in Israel, der sich intellektuell nicht entscheiden lässt. Denn das Verhältnis der Juden zu den Worten ist durch und durch dialektisch, und wer es verstehen will, darf den Talmud nicht überspringen.
Das tun Amos und Fania Oz auch gar nicht. Im Gegenteil: Sie lesen ihn nicht anders, als es die Rabbiner tun - sie nehmen sich, was ihnen gefällt, sie schmücken ihr Haus nach eigenem Geschmack, sie tragen in den Keller, was ihnen veraltet erscheint -, doch ihr Geschmack ist entschieden säkular. Sie zitieren die hübsche Geschichte vom Streit zwischen Rabbi Elieser und Rabbi Joschua, in dem Gott selbst Partei ergreift: "Da ließ sich eine Himmelsstimme mit den Worten vernehmen: ,Was streitet ihr mit Rabbi Elieser, es ist doch offenbar, dass die Halacha in allem so ist, wie er gelehrt hat.' Da erhob sich Rabbi Joschua und sprach: ,Sie ist nicht im Himmel.'"
Die Halacha, das jüdische Gesetz, ist nicht im Himmel, sondern auf Erden, und selbst von Gott lässt sich Rabbi Joschua nicht in seinen gesunden Menschenverstand hineinreden. "Rabbi Joschua ist unser Prometheus", applaudieren die beiden Autoren, und das ist nicht ohne Ironie: Sie sind die Atheisten der Bibel, doch ihren gottlosen Standpunkt lassen sie sich von den Rabbinern bestätigen.
Der Humor der Juden speist sich auch aus dem Talmud. In der Machtlosigkeit des Exils hatte er ihre geistige Autonomie gesichert, für die Zionisten aber ist das Exil zu Ende. Die Juden haben ihre politische Entscheidungsfreiheit zurückgewonnen, und jetzt, wo den Worten Taten folgen, kann der Humor gefährlich werden. Niemand weiß das besser als Amos und Fania Oz.
JAKOB HESSING
Amos Oz und Fania Oz-Salzberger: "Juden und Worte".
Aus dem Englischen von Eva-Maria Thimme. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 286 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geistige Ahnen: Der israelische Schriftsteller Amos Oz hat zusammen mit seiner Tochter, der Historikerin Fania Oz-Salzberger, "Juden und Worte" geschrieben - ein Buch über das jüdische Erbe.
In seinem neuen Buch tritt Amos Oz nicht als ein einzelner Autor auf, sondern im "Duo", wie es mit zärtlicher Ironie heißt. Er hat es mit Fania Oz-Salzberger geschrieben, einer Professorin für europäische Geistesgeschichte an der Universität Haifa, und die Zusammenarbeit ist fruchtbar. In ihrem Buch geht es um Juden und Worte, ein Thema, das Jahrtausende umfasst und neben der sprachlichen auch eine historische Perspektive verlangt.
Was in dem fertigen Text vom Romancier oder von der Historikerin stammt, ist selten zu unterscheiden und auch nicht so wichtig. Denn in erster Linie sind sie Vater und Tochter, und ihr zum Text gestaltetes Gespräch belegt die zentrale These des Buchs: Das Judentum verdankt seine Kontinuität nicht der Biologie, wie es Rassisten und auch orthodoxe Juden behaupten, sondern einer langen Reihe von Texten, die es seit seinen Ursprüngen begleiten und von denen es sich im wahrsten Sinne des Wortes herschreibt. Seine Ahnenkette ist nicht genetisch, sie ist geistig, und den Leser erinnert das an Nathan den Weisen - auch er war nicht der biologische, sondern der geistige Vater seiner Ziehtochter Recha.
Die Affinität ist nicht zufällig. Wie Lessing kommen auch Amos und Fania Oz von der Aufklärung, sie reden keinem Partikularismus das Wort, sie sind Universalisten. Aus der Mischna, dem ersten Teil des Talmud, zitieren sie den Satz, "wer eine einzige Seele zerstört, hat eine ganze Welt zerstört; wer eine einzige Seele rettet, hat eine ganze Welt gerettet"; und dann polemisieren sie gegen den Babylonischen Talmud, der dieser Maxime zwei Worte hinzufügt: "Eine einzige Seele - aus Israel". Dieser talmudischen Ergänzung, so schreiben sie, "schenken wir keine Beachtung. Wir schaffen sie in den Keller, wo sie unter anderen ungeliebten Erbstücken zustauben soll. Der Satz aus der Mischna dagegen gehört zum Mobiliar unseres Wohnzimmers."
Ihr Buch ist eine Einführung in die Posen Library of Jewish Culture and Civilization der Yale University Press, ein zehnbändiges Kompendium jüdischer Kunst und Literatur von der Bibel bis zur Gegenwart. Es wendet sich an eine internationale Leserschaft, daher haben sie es auf Englisch geschrieben. Die Gespräche aber, die dem gedruckten Text zugrunde liegen, haben Vater und Tochter auf Hebräisch geführt, und so muss das Buch auch verstanden werden: als Teil eines israelischen Diskurses, in dem sich die Geister scheiden.
Die Aussage ist nicht nur kulturgeschichtlich, sie ist auch politisch. Deutlich setzt sie sich gegen die Ultraorthodoxie ab, die in Israel an den Schaltern der Macht sitzt und eine Deutungshoheit der Tradition behauptet, die sie in den pluralistischen Gemeinden der Diaspora nicht hat. Zu den Konstanten des israelischen Kulturkampfs gehört es, dass ultraorthodoxe Rabbiner Frauen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen suchen, und ein langes Kapitel des Buchs ist den bedeutenden Frauen gewidmet, die von der Bibel bis in die Gegenwart ein Teil der jüdischen Geschichte sind.
Die Ausgrenzung der Frauen, so die beiden Autoren, begann mit der Zerstörung des Zweiten Tempels und den Lehrhäusern des Exils, die keine politische Freiheit mehr kannten und eine exklusive Gelehrten- und Männerwelt bildeten. "Frauen teilten das jüdische Schicksal, aber sie waren nicht länger am Ausformen jüdischer Weisheit beteiligt", schreiben Vater und Tochter. "Im Gegensatz dazu lebten die Männer und Frauen der Bibel nur in der Geschichte, in der rauhen, irdischen, blutigen Geschichte."
Sie deuten das jüdische Erbe von ihrem zionistischen Standpunkt aus, der sein Anrecht auf das Land der Väter von der Bibel ableitet und dazu neigt, den Talmud zu überspringen, weil er das Leben im Exil regelte. Aus traditioneller Sicht ist der klassische Zionismus immer ketzerisch gewesen, er wartete weder auf die Rabbiner noch auf den Messias, um das Exil zu beenden, und so sehen es auch Amos und Fania Oz. Für sie ist das Buch der Bücher eine Reihe von Texten, die von Menschen für Menschen geschrieben wurden.
"Wir sind die Atheisten der Bibel", sagen sie über sich, und das ist schön formuliert, aber es führt sie zugleich in den ideologischen Streit in Israel, der sich intellektuell nicht entscheiden lässt. Denn das Verhältnis der Juden zu den Worten ist durch und durch dialektisch, und wer es verstehen will, darf den Talmud nicht überspringen.
Das tun Amos und Fania Oz auch gar nicht. Im Gegenteil: Sie lesen ihn nicht anders, als es die Rabbiner tun - sie nehmen sich, was ihnen gefällt, sie schmücken ihr Haus nach eigenem Geschmack, sie tragen in den Keller, was ihnen veraltet erscheint -, doch ihr Geschmack ist entschieden säkular. Sie zitieren die hübsche Geschichte vom Streit zwischen Rabbi Elieser und Rabbi Joschua, in dem Gott selbst Partei ergreift: "Da ließ sich eine Himmelsstimme mit den Worten vernehmen: ,Was streitet ihr mit Rabbi Elieser, es ist doch offenbar, dass die Halacha in allem so ist, wie er gelehrt hat.' Da erhob sich Rabbi Joschua und sprach: ,Sie ist nicht im Himmel.'"
Die Halacha, das jüdische Gesetz, ist nicht im Himmel, sondern auf Erden, und selbst von Gott lässt sich Rabbi Joschua nicht in seinen gesunden Menschenverstand hineinreden. "Rabbi Joschua ist unser Prometheus", applaudieren die beiden Autoren, und das ist nicht ohne Ironie: Sie sind die Atheisten der Bibel, doch ihren gottlosen Standpunkt lassen sie sich von den Rabbinern bestätigen.
Der Humor der Juden speist sich auch aus dem Talmud. In der Machtlosigkeit des Exils hatte er ihre geistige Autonomie gesichert, für die Zionisten aber ist das Exil zu Ende. Die Juden haben ihre politische Entscheidungsfreiheit zurückgewonnen, und jetzt, wo den Worten Taten folgen, kann der Humor gefährlich werden. Niemand weiß das besser als Amos und Fania Oz.
JAKOB HESSING
Amos Oz und Fania Oz-Salzberger: "Juden und Worte".
Aus dem Englischen von Eva-Maria Thimme. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 286 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Jede Menge fruchtbare Ironie entdeckt Jakob Hessing in diesem von Amos Oz und seiner Tochter Fania Oz-Salzberger verfassten Band, der sich mit der geistigen Kontinuität im Judentum beschäftigt. In die lange Reihe von Texten der Posen Library of Jewish Cultur and Civilization, die laut Autorenduo die jüdische Gemeinschaft begründen, wird der Rezensent eingeführt und findet sich bald inmitten des ideologischen israelischen Diskurses. Insofern ist die Anlage des Buches für Hessing kulturhistorisch säkular, aber auch immens politisch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eine Liebeserklärung an die biblische Sprache und zugleich ein politisches Manifest ... Dass die Autoren scheinbar leichtfüßig jede Menge amüsanter Anekdoten aneinanderreihen, etwa über den wortreichen jüdischen Humor ... und die lebhafte jüdische Streitkultur, mindert den Anspruch ihrer Botschaft nicht. Er geht tiefer.« Gisela Dachs DIE ZEIT 20131002
»Geistreich und spannend gelingt es in Juden und Worte, mehr als fünftausend Jahre mit Gebeten, Gesängen, Geschichten, Beweisen, Lobeshymnen, Verfluchungen und Witzen in den Koffer eines schmalen Pageturners zu packen. Ein wundervolles Buch.«