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Die eigene Geschichte und die Erfahrungen der Vergangenheit im Gedächtnis zu bewahren, ist für die jüdische Kultur seit jeher zentral. Mit der Aufklärung und dem Beginn der Emanzipation sowie dem Wunsch, sich in die Zivilgesellschaft zu integrieren, wurde jüdische Geschichtsschreibung zu einer Wissenschaft. Der Band untersucht diesen Wandel erstmals nicht begrenzt auf Deutschland, sondern für mehrere Länder Europas. Unveränderter Nachdruck

Produktbeschreibung
Die eigene Geschichte und die Erfahrungen der Vergangenheit im Gedächtnis zu bewahren, ist für die jüdische Kultur seit jeher zentral. Mit der Aufklärung und dem Beginn der Emanzipation sowie dem Wunsch, sich in die Zivilgesellschaft zu integrieren, wurde jüdische Geschichtsschreibung zu einer Wissenschaft. Der Band untersucht diesen Wandel erstmals nicht begrenzt auf Deutschland, sondern für mehrere Länder Europas. Unveränderter Nachdruck
Autorenporträt
Ulrich Wyrwa ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und Projektleiter am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.02.2004

Der Glaube der Ungläubigen
Hohepriester der Säkularisierung und der Emanzipation: Ein Band über jüdische Geschichtswissenschaft
Historiker haben in der über drei Jahrtausende und fünf Kontinente umfassenden jüdischen Geschichte, abhängig von ihrem jeweiligen Standpunkt, immer wieder Argumente für die Rückkehr nach Israel, aber auch für den Verbleib in der Zerstreuung, für die nationale wie auch für die religiöse Identität der Juden, für eine Leidens- und für eine Erfolgsgeschichte gesucht. Begonnen hat das moderne Studium der jüdischen Geschichte mit einem kleinen Kreis jüdischer Studenten an der Berliner Universität, die sich seit 1819 der „Cultur und Wissenschaft der Juden” annahmen.
Aus diesem Verein ging ein neues Selbstverständnis hervor. Texte, die bis dahin als religiöse Quellen benutzt wurden, studierte man nun als historische Dokumente. „Dabei fällt dann der Geschichte eine völlig neue Rolle zu – sie wird zum Glauben ungläubiger Juden”, argumentiert der Historiker Yosef Hayim Yerushalmi. Die Methoden des Historismus wurden auch von der neuen Disziplin der Wissenschaft des Judentums übernommen. Mit Beiträgen über die Verbürgerlichung der jüdischen Vergangenheit, die Historisierung der jüdischen Theologie, die Identitätssuche im historischen Roman und der Umformung des Familiengedächtnisses durch das Abfassen von Memoiren dokumentiert dies ein Band über „Judentum und Historismus” in vielfältiger Form.
Die Zielsetzungen waren allerdings nicht immer dieselben wie im nichtjüdischen Kontext. Waren die Historiker des 19. Jahrhunderts die Hohepriester der Nation, so wirkten die Vertreter der Wissenschaft des Judentums als Hohepriester der Säkularisierung und vor allem der Emanzipation. Wie der israelische Historiker Jacques Ehrenfreund anschaulich darstellt, konnten die Juden als Minderheit sich zwar die Prinzipien des Historismus aneignen, nicht aber dessen Botschaft der Nationalisierung der eigenen Vergangenheit. „Zentrales Thema der Geschichtsschreibung war die Frage des Bürgerrechts der Juden, und die Historiker hatten sich zum Ziel gesetzt, den Juden aus der Geschichte die Werkzeuge an die Hand zu geben, um das Bürgerrecht zu erlangen.”
Dies galt während des 19. Jahrhunderts nicht nur in Deutschland. Ein Verdienst dieses Bandes ist es, die jüdische Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert erstmals vergleichend zu beleuchten. In den Beiträgen zu Frankreich, England, Italien und Polen zeigen sich vor allem zwei Gemeinsamkeiten: jüdische Historiker benutzten Geschichtsschreibung als Waffe im Kampf um rechtliche und soziale Gleichstellung, und sie verklärten dabei jeweils ihre eigene Teilgeschichte.
Um das erste Ziel zu erreichen, musste man all jene Elemente entfernen, die nicht in das aktuelle Bild deutscher oder französischer oder britische Staatsbürger jüdischen Glaubens passten. Die zweite Aufgabe bestand darin, den eigenen Patriotismus so auszudrücken, dass man, jeweils nach Kontext, in der deutschen, französischen oder britischen Geschichte das zentrale Element der jüdischen Moderne erblickte: für die deutsch-jüdischen Historiker war es die Aufklärung und hier vor allem Moses Mendelssohn, für ihre französischen Kollegen selbstverständlich die Revolution mit ihrer Errungenschaft der Emanzipation. Der Britin Grace Aguilar zufolge war England „das gesegnete Land, wo der Schleier von Heimlichkeit abgelegt werden konnte.” Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts sollten jüdische Historiker dann eine nationale Sicht ihrer eigenen Vergangenheit ausbilden, mit der nun andere politische Ziele verbunden waren: entweder die nationale Autonomie in Osteuropa oder der eigene Staat in Palästina.
MICHAEL BRENNER
ULRICH WYRWA (Hrsg.): Judentum und Historismus. Zur Entstehung der jüdischen Geschichtswissenschaft in Europa. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2003. 256 Seiten, 34,90 Euro.
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09.02.2004, Süddeutsche Zeitung, Der Glaube der Ungläubigen: "Die Methoden des Historismus wurden auch von der neuen Disziplin der Wissenschaft des Judentums übernommen. Dies dokumentiert der Band in vielfältiger Form."

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine vielfältige Dokumentation über die jüdische Geschichtswissenschaft und ihre spezifische Rolle bei der Säkularisierung der jüdischen Vergangenheit las Michael Brenner in dem von Ulrich Wyrwa herausgegebenen Band "Judentum und Historismus". Ihre Besonderheit bestand darin, wie beispielsweise der israelische Historiker Jacques Ehrenfreund "anschaulich" zeigt, dass sie sich wesentlich an der Frage nach dem Bürgerrecht der Juden ausrichtete und nicht zuletzt ein Werkzeug sein wollte, um dieses zu erlangen. Als besonders verdienstvoll lobt der Rezensent den Vergleich der Historiographie verschiedener Nationalitäten, der einerseits ihre Verwendung als "Waffe im Kampf um rechtliche und soziale Gleichstellung" zeige, andererseits aber auch die Verklärung der je nationalen jüdischen Teilgeschichte zum "zentralen Element der jüdischen Moderne".

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Der Glaube der Ungläubigen "Die Methoden des Historismus wurden auch von der neuen Disziplin der Wissenschaft des Judentums übernommen. Dies dokumentiert der Band in vielfältiger Form." (Süddeutsche Zeitung, 09.02.2004)