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Tim Krohns Roman "Julia Sommer sät aus"
Für viele Literaturliebende zählt zu den Höhepunkten von Lesungen das Signieren des eigenen Buchexemplars durch den Schriftsteller oder die Schriftstellerin. Der Schweizer Autor Tim Krohn geht mit seinem Projekt "Menschliche Regungen", aus dem mit "Julia Sommer sät aus" nun der dritte Roman hervorgegangen ist, einen Schritt weiter. Nicht er verewigt sich in den Exemplaren seiner Leserinnen und Leser, vielmehr können die sich in die Texte einschreiben - laut Krohns Homepage ist für 250 Schweizer Franken eine seiner Geschichten, die sich um je eine menschliche Regung drehen, zu erwerben. Wer zahlt, darf zudem ein wenig mitkonzipieren. Drei beliebige Wörter dürfen beigesteuert werden. Für fünftausend Schweizer Franken gibt es zu der Geschichte noch eine einwöchige Schreibwerkstatt samt Unterkunft im Hause Krohn für zwei Personen.
Was treibt einen Autor zu einem solchen Projekt? Die Aussicht auf ein Auskommen? Oder ein Mitbestimmungsgedanke? Nicht von ungefähr spielt auch "Julia Sommer sät aus" in einem Zürcher Genossenschaftswohnhaus. Derlei Erwägungen treten bei der Lektüre rasch in den Hintergrund, ebenso die Frage, ob in Sachen Kategorien, den "menschlichen Regungen", nicht etwas durcheinandergeraten ist. "Bescheidenheit", "Einfühlungsvermögen"? Gut. Aber zu "Grenzüberschreitung" kann man höchstens einen Zug haben.
Das Buch hat ganz andere Probleme: Die nach dem "Lindenstraßen"-Prinzip verknüpften Episoden - mal wird in die eine Wohnung des Mehrfamilienhauses geschaut, mal in eine andere, mal treffen die Bewohner im Treppenhaus aufeinander - sind sprachlich belanglos bis missraten und zudem, was die Psychologie der Figuren betrifft, immer wieder hanebüchen, was gerade bei einem Projekt, das sich als Enzyklopädie menschlicher Verfasstheiten versteht, ungünstig ist.
Da wäre etwa die alleinerziehende Julia, die sich für Hofbegrünung einsetzt und am Ende den sprichwörtlichen Prinzen samt Gartenparadies und eigener Insel ergattert. Da wäre das Paar, das sich in das Testament einer reichen Dame einzuschleichen versucht, bei der er als Gärtner angestellt ist. Oder der Ehemann, der seine Geliebte den Eltern und den noch nicht einmal pubertierenden Söhnen vorstellt, obgleich er keine Absicht hegt, das Verhältnis auf Dauer zu stellen, sondern auf die Versöhnung mit seiner Gattin wartet. Man kann darüber streiten, ob es plausibel ist, wenn die Jungen der Geliebten ohne weitere sichtbare Emotionen tatsächlich Löcher in den Bauch fragen, aber kaum darüber, dass es literarisch heikel wird, wenn so ein Zusammentreffen ohne Witz oder einen Schlag ins Groteske erzählt wird.
Solche Feinheiten scheinen Krohn beim Illustrieren seiner Auftragsarbeit entgangen zu sein. Unter der Überschrift "Subtilität" reagiert die reiche Dame gelassen auf die Testamentsfrage und fragt stattdessen ihren Gärtner, was er täte, würde sie sich ihm als Sklavin anbieten. "Ich würde Sie pflegen wie eine Blume, meine ganz eigene, seltene Blume. Und ich würde Sie ansehen." Worauf sie erwidert: "Nur ansehen? Keine Bestäubung?" Ob er denn noch mit seiner Frau schlafe, will sie gleich darauf wissen. "Ja, oft", sagte er. ,Das hat allerdings nichts mit Bestäuben zu tun, eher mit Pflügen."
Man würde es gern für Satire halten, versteht es aber wohl lieber als ein kommerzielles Schreibprojekt. Ganz sicher aber nicht als Literatur.
WIEBKE POROMBKA
Tim Krohn: "Julia Sommer sät aus". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2018. 480 S., geb., 24,- [Euro].
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