Im Mai des Vorjahres starb Sarah Kirsch (1935 in Limlingerode im Harz geboren). „Ihr Rhythmus und ihr Streben nach Autonomie werden fehlen“, schrieb damals der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt in der „Zeit“. Bereits in den 60er und 70er Jahren war sie eine vielbeachtete Lyrikerin in der DDR und wurde
nach ihrer Übersiedlung 1977 nach Westdeutschland zu einer der wichtigsten lyrischen Stimmen in…mehrIm Mai des Vorjahres starb Sarah Kirsch (1935 in Limlingerode im Harz geboren). „Ihr Rhythmus und ihr Streben nach Autonomie werden fehlen“, schrieb damals der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt in der „Zeit“. Bereits in den 60er und 70er Jahren war sie eine vielbeachtete Lyrikerin in der DDR und wurde nach ihrer Übersiedlung 1977 nach Westdeutschland zu einer der wichtigsten lyrischen Stimmen in Deutschland. In den letzten Jahren trat die Schriftstellerin auch mit zahlreichen Prosatexten an die Öffentlichkeit.
Sarah Kirsch hat ein umfangreiches und vielfach ausgezeichnetes Werk hinterlassen, das vorwiegend von der Deutschen Verlags-Anstalt gepflegt und herausgegeben wurde. 2012, also ein Jahr vor ihrem Tod, erschien dort der Prosaband „Märzveilchen“, der Tagebucheintragungen vom Dezember 2001 bis zum September 2002 versammelte. Nun liegt mit „Juninovember“ die Fortsetzung vor (September 2002 bis März 2003), wobei die Monate meist eigentümliche Namen (Octopus, Novembrius, Dezembrius, Jaguar, Zebra oder Nerz) tragen. Schon das verrät, dass es sich um Tagebuchnotizen in einer lyrischen Sprache handelt.
Aufmerksam beobachtet Kirsch die Natur in diesem Winterhalbjahr - „Es geht doch nichts über solch einen tristen Novembermorgen in dieser Gegend, triefender Nebel und Pfützen ringsum, herrliche Krähen schweben vorüber. Wie ich das liebe!“ Ob wunderbares Himbeermorgenrot oder bester Rauhreif … die meisten Tageseintragungen beginnen mit einer morgendlichen Feststellung des Wetters.
Dann wieder die Banalitäten des Alltags: da müssen die Mülltonnen rausgestellt werden, da wird Katzenfutter eingekauft oder das Auto wird von der Werkstatt abgeholt. Außerdem wird bei ihr viel ferngesehen. Manche Tage lesen sich wie eine Programmzeitschrift. Immer wieder reflektiert Kirsch auch tagespolitische Themen, die sie aus den Fernsehnachrichten entnimmt, wie die damaligen Ereignisse im Irak und im Nahen Osten oder einfach nur den Streik der Verkehrsbetriebe. Ihren poetischen Ton verlässt sie, wenn sie über die DDR-Vergangenheit und ehemalige Schriftstellerkollegen spricht, dann wird sie mitunter bissig, ja verletzend. Über ihr eigenes Schreiben reflektiert sie dagegen kaum, nur ihre gelegentlichen Lesungen und die damit verbundenen Begegnungen erwähnt sie kurz.
Die Tagebuchaufzeichnungen zeugen vom alltäglichen Eintauchen in die Natur und in die Welt der Poesie. Die mitunter „lyrischen Notizen“ verraten aber neben den Natur- und Alltagsbeobachtungen nur wenig über das Innenleben der Schriftstellerin. Selten werden Zweifel oder Fragen laut. Vielleicht eine Folge um das Wissen einer späteren Veröffentlichung. Persönliches gibt sie nur sporadisch preis („Was schert mich der Weltuntergang …“) und schon enden die Aufzeichnungen am 28. Nerz 2003 mit „Der Huflattich hatte sich aufgetan, golden sah er mir an.“