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Jura für Nichtjuristen - das Metier hat Tradition. Christian Fahl bringt dem Laien schonend nahe, dass die Logik des Rechts sich nicht mit der Logik der Lebenswelt decken muss.
Jede Geschichte klingt bekanntlich anders, je nachdem, von wem sie erzählt wird. Aber gilt der Satz von der Variation auch, je nachdem, für wen sie erzählt wird? Christian Fahl, Strafrechtler an der Universität Rostock, erklärt "Jura für Nichtjuristen". Das hat eine große Tradition, und große Bücher sind daraus entstanden. 1968 schrieb Rudolf Wiethölter unter dem einfachen Titel "Rechtswissenschaft", in den achtziger Jahren veröffentlichte Uwe Wesel seine "Juristische Weltkunde", später folgte "Fast alles, was Recht ist - Jura für Nicht-Juristen".
Das waren, wenn man so will und das Wort nicht zu hoch gegriffen findet, populäre Rechtsenzyklopädien: der Stoff des Rechts zwischen zwei Buchdeckeln verdichtet. Wie nun bei Fahl waren auch sie an die Adresse von Laien gerichtet, die Verbreitung war erstaunlich. Der Fachmann als populärer Autor wagt eine Gesamtdarstellung, bei Wiethölter ging sie aus einem Funkkolleg des Hessischen Rundfunks hervor. Von solchen Vorlagen hat sich das Medium Radio nun weit entfernt.
Wiethölter und Wesel, streitbare Figuren ihres Fachs, wollten die Gesellschaft von links über das Recht aufklären. Fahl will auch aufklären, anders freilich, dabei nicht weniger ernsthaft; die "sieben unterhaltsamen Lektionen" des Untertitels sollten nicht als Ankündigung von Comedy missverstanden werden. Fahl nimmt Gegenstand und Leser zu ernst, um seichte Scherze über juristische Stilblüten vorzuschieben, wo es doch um mehr geht. Dass der Schwerpunkt nicht auf Unterhaltung liegt, merkt man schon nach wenigen Seiten und ist durchaus erleichtert.
Im Zentrum steht das sachliche Anliegen, Laien einen Eindruck von der Arbeitsweise des Rechts zu geben. Genauer: von der juristischen Dogmatik, den Vorgängen der Subsumtion des Lebenssachverhalts unter die Voraussetzungen der Norm und der Auslegung des Gesetzeswortlauts. Das gelingt Fahl rundum, weil er die Latte hoch legt. Die Fälle sind in wenigen Worten erzählt, die Lösungswege haben es aber dogmatisch in sich, und Fahl gibt seinen Laien-Lesern keinen Komplexitätsrabatt. Was unter Juristen umstritten ist, muss auch der Laie - unter fachmännischer Anleitung - in seiner Parallelsphäre nachvollziehen können.
Gleich der erste Fall liefert das perlende Umschlagsmotiv des Bandes und stellt ein kniffliges Rätsel: Ein Paar geht essen, er gibt im Restaurant die Bestellung auf, sie findet in ihrer Auster den unerwarteten perlmutternen Fremdkörper. Anders als bei der notorischen Schnecke im Salat (auch sie kommt im Buch vor) geht es nicht um Fragen des Ekels, des Rücktritts vom Bewirtungsvertrag und seine schuldrechtlichen Folgen. Fahl entfaltet vielmehr genüsslich die dingliche Frage des Eigentums: Wem gehört die Perle?
Fahl läuft hier zu großer Form auf und ist dabei didaktisch geschickt: Er referiert erst den mehr als hundertjährigen juristischen Klassiker, bei dem unklar ist, ob er sich je wirklich zugetragen hat. Dann folgt ein anschauliches Referat der juristischen Diskussionen, die sich damals, also bereits nach BGB-Rechtslage, abgespielt haben. Gehört die Perle dem Besteller, der Begleiterin, beiden zusammen, dem Gastwirt oder womöglich noch dem Fischer?
Um zu verstehen, warum alle diese Lösungen von zumeist hochrangigen Juristen vertreten wurden, der Restaurateur in der Praxis aber die besten Chancen hat, nimmt Fahl seine Leser auf Spaziergänge durchs BGB mit. Die Systematik wird erläutert, Wortlaute der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen und weiterer Vorschriften werden konsequent abgedruckt, jeder Schritt wird erläutert. Im Zentrum stehen dann folgenreiche Unterscheidungen, deren Darstellung durch den Versuch einfacher, klarer Sprache besticht. Wie sich freilich ein wahrer juristischer Laie nach 25 dichtbedruckten Seiten Austern-Fall fühlt, kann der Autor und in diesem Fall auch der Rezensent letztlich nicht nachempfinden.
Das Recht erscheint damit bei Fahl im Grundsatz als hochkomplexes System, das nach eigenen methodischen Gesetzen operiert. Es bildet einen Typus normgestützter Argumentation, mit dem Fälle entschieden werden. Zivilrecht, Strafrecht und öffentliches Recht werden dem Leser damit nahegebracht. Wer sich jetzt als Jura-Student an laufende Semester erinnert fühlt, liegt richtig: Das Buch ginge auch als universitäre Propädeutik durch: harte juristische Dogmatik im Zentrum, Grundlagenfächer und -fragen an der Peripherie, alles schön lehrbuchmäßig anhand von Fällen. So weit, so gut aufgeklärt.
Aber ist Recht nicht mehr, etwa ein Instrument der gesellschaftlichen Konfliktlösung? Hat es nicht soziale, ökonomische und politische Implikationen? Hier ist Fahl wortkarg oder schlägt einen anderen Ton an. Politik kommt erst gegen Ende, im Völkerrecht, vor, nicht aber etwa beim Privatrecht. Hier klingt er in seinen wenigen nichtdogmatischen Bemerkungen süffisant, etwa wenn die sozialen Hintergründe von Streitereien zur Sprache kommen, mit dem Wirt, mit dem Nachbarn, sie sind nicht seine Welt, und für das Recht scheinen sie auch ohne Belang.
Diese Beschränkung auf Technik ist konsequent, aber nicht überzeugend. Fahls Bild des Rechts gleicht am Ende dem einer Maschine, bei dem man weder den Maschinisten noch ihr Produkt zu Gesicht bekommt. Es kommt aus einer universitären Praxis, die den am Ball perfekten Rechtstechniker ausbilden möchte, Außenansichten aufs Recht scheinen da eher unpassend. Bei Wiethölter und bei Wesel war das noch anders, ihre Erzählungen übers Recht waren aufklärerische Weltkunden in politischer Absicht.
Freilich, Zeiten und Erzählmuster haben sich geändert, eine politische Kritik des Rechts war und ist ohnehin nicht jedermanns Anliegen, und sie muss es auch nicht sein. Aber Herausforderungen, durch Globalisierung, Privatisierung, durch neue Techniken und veränderte Werte, auch die gibt es, und sie wären erzählenswert gewesen. Etwas mehr grundlegende Reflexion hätte als ein geradezu perlendes Extra in der harten äußeren Schale der Dogmatik durchaus Abnehmer gefunden.
MILOS VEC
Christian Fahl: "Jura für Nichtjuristen". Sieben unterhaltsame Lektionen. Verlag C.H. Beck, München 2010. 267 S., br., 12,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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