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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wie Menschen vor Gericht die Welt verbessern wollen
Recht sei das Resultat des "Aushandelns zwischen Akteuren, die unterschiedliche Interessen haben und unterschiedlich stark, ehrlich und klug sind", sagen Nora Markard und Ronen Steinke in ihrem gemeinsam verfassten Buch "Jura not alone". Die Münsteraner Juraprofessorin und der Münchner Journalist und studierte Jurist definieren Recht als "Abbild eines momentanen Diskussionsstands" und deshalb "veränderbar, verbesserbar", auch weil es "nicht per se richtig und nicht immer gerecht" sei. Recht werde schließlich von Menschen gemacht, und wenn Veränderungsdruck spürbar sei, lasse sich etwas ändern. Dazu brauche es aber jemand, der aktiv wird.
Wie es funktionieren kann, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern, schildern die beiden Autoren in zwölf Kapiteln. Für jedes haben sie ein zentrales Rechtsgebiet gewählt, wo sie beispielhaft an Konfliktfeldern beschreiben, wie sich Einzelne dort gegen inhärente Interessen, Machtgefüge und unterschiedliche Wertvorstellungen erfolgreich zur Wehr gesetzt haben. Unter der Überschrift "Strafrecht" werden unter anderem Sexualdelikte verhandelt, beim "Polizeirecht" die Grenzen gegenüber der Staatsmacht, beim "Sozialrecht" die Probleme von Menschen mit Behinderungen, beim "Arbeitsrecht" der Kampf gegen Ausbeutung in prekären Jobs. In anderen Kapiteln geht es um Grund- und Menschenrechte, Demokratie und Völkerrecht, Umwelt, Asyl und Eigentum, Arbeit und Familie.
Das Strickmuster ist dabei stets ähnlich: Leicht verständlich und anschaulich wird die jeweilige Rechtslage geschildert, die zu neuen Fragen allerdings oft keine Antworten parat zu haben scheint und offenbar in hartnäckigem Bemühen an gesetzliche Veränderungen herangeführt werden muss. Fortschritte etwa im Klima- und Arbeitsschutz sowie im Umgang der Geschlechter miteinander zeigen jedoch, dass sich zeitgemäße Entwicklungen erkämpfen lassen, wenn es Einzelnen gelingt, sich mit anderen zu solidarisieren. Nicht umsonst stellen Markard und Steinke dem ersten Kapitel ein universell gültiges Zitat der kürzlich verstorbenen langjährigen Richterin am Obersten US-Gerichtshof Ruth Bader Ginsburg voran, in dem es heißt: "Kämpfe für Dinge, die dir wichtig sind. Aber tue es auf eine Weise, die andere dazu bringt, sich dir anzuschließen." Der Buchtitel "Jura not alone" klingt deshalb wohl auch absichtsvoll ganz nach "You're not alone". Er lässt sich so als bewusstes Wortspiel und Appell zur Tat verstehen: Bleib mit deinem Problem nicht allein, es ist nicht nur deines!
Für die globale Bedrohung durch den Klimawandel gilt das allemal. Nicht von ungefähr starten Markard und Steinke ihre bunte Gesetzes-Durchmusterung mit dem Klimaschutz und der Frage: Können wir mit Jura den Planeten retten? Beschrieben werden auf den folgenden zwanzig Seiten die sattsam bekannten Aktionen von zivilem Ungehorsam, etwa Sitzblockaden oder Kunstattacken. Und die Frage, wie Gerichte und Öffentlichkeit darauf reagieren. Offenbar wächst die Tendenz zur Nachsicht, solange die Aktionen "unangenehm, aber nicht gefährlich sind und zudem das verfassungsmäßig anerkannte Ziel Klimaschutz verfolgen".
Thematisiert wird auch der "Klima-Beschluss" des Bundesverfassungsgerichts von 2021. Es ging dort um den steigenden Meeresspiegel der Nordsee und die künftige Bewohnbarkeit von Inseln wie Pellworm und Langeoog. Im Anschluss an die Klage ortsansässiger Jugendlicher zwang das Gericht den Bundestag, sein Klimaschutzgesetz von 2019 zu verschärfen. Markard und Steinke sehen den Gang der jungen Kläger nach Karlsruhe als großen Erfolg, "weil er der Politik Beine machte". Sie verweisen darauf, dass auch anderswo Klimaklagen "strukturell perfekte Fragen für Verfassungsgerichte liefern können". Denn diese seien reaktive Institutionen, die nur zu Antworten in der Lage seien, wenn Menschen die richtigen Fragen stellen.
Einen richtungsweisenden Fall sehen die Verfasser auch in dem noch nicht entschiedenen, irgendwie irritierenden Prozess eines peruanischen Bergbauern, der 2015 mithilfe von NGOs und einer Hamburger Klimaschutzanwältin gegen den Energieriesen RWE vor das Oberlandesgericht Hamm zog. Mit Verweis auf Paragraph 1004 BGB prangerte der Südamerikaner in einer Art globaler Nachbarschaftsklage an, dass sein Haus, 10.000 Kilometer Luftlinie entfernt in einem Andendorf, durch das Überlaufen eines nahen Gletschersees unbewohnbar zu werden droht. Er argumentierte, dass Deutschland zu den 20 größten Wirtschaftsnationen gehört, die mehr als 80 Prozent aller CO2-Emissionen produzieren, wodurch Klimaschäden am anderen Ende der Welt zu erwarten seien. Dort, wo Menschen leben, die kaum zum Klimawandel beigetragen haben. Solche Klagen können offenbar Wirkung zeigen. In den Niederlanden habe Shell seine Emissionen nach einem ähnlichen Prozess um 45 Prozent senken müssen, sagen die Autoren.
"Lernende Gesetzgebung" lautet ein beliebtes Schlagwort für modernes, effizientes Regieren. Auch die Bundesregierung lässt Gesetze regelmäßig überprüfen, ob sie bewirken, was sie beabsichtigen. Der Wunsch nach nötiger Veränderung im Recht sollte allerdings schon früher kommen - und das auf Initiative von unten. Markard und Steinke machen Mut dazu. ULLA FÖLSING
Nora Markard, Ronen Steinke: Jura not alone. 12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern, Campus- Verlag, Frankfurt 2024, 282 Seiten, 25 Euro.
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