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Mit den hier versammelten Texten zielt Ingeborg Maus auf ein Paradox der Demokratie: Einerseits setzen die Bürger großes Vertrauen in die Justiz, insbesondere das Verfassungsgericht, während das Parlament am unteren Ende der Vertrauensskala rangiert. Wenn aber Verfassungsnormen in unbestimmte »Werte« aufgelöst werden, die es erlauben, auch verfassungskonforme Gesetze auszuhebeln, erscheint das Gericht andererseits als Kontrahent der Volkssouveränität. Die Kritik dieser juristischen Praxis, die heute auch auf EU-Ebene zu beobachten ist, wird ergänzt durch einen Rückblick auf Methoden der NS-Justiz.…mehr

Produktbeschreibung
Mit den hier versammelten Texten zielt Ingeborg Maus auf ein Paradox der Demokratie: Einerseits setzen die Bürger großes Vertrauen in die Justiz, insbesondere das Verfassungsgericht, während das Parlament am unteren Ende der Vertrauensskala rangiert. Wenn aber Verfassungsnormen in unbestimmte »Werte« aufgelöst werden, die es erlauben, auch verfassungskonforme Gesetze auszuhebeln, erscheint das Gericht andererseits als Kontrahent der Volkssouveränität. Die Kritik dieser juristischen Praxis, die heute auch auf EU-Ebene zu beobachten ist, wird ergänzt durch einen Rückblick auf Methoden der NS-Justiz.


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Autorenporträt
Ingeborg Maus ist emeritierte Professorin für politische Theorie und Ideengeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.2018

Alle Macht der allzeit das Gute wollenden Basis
Im geträumten Rechtsidyll: Die politische Philosophin Ingeborg Maus bläst zum Angriff auf das Verfassungsgericht

Ebenso wie in Deutschland wurde auch in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg ein Verfassungsgericht geschaffen. Während aber die deutschen Sozialdemokraten die Möglichkeit einer richterlichen Kontrolle des Parlaments begrüßten, sah die italienische Linke darin eine inakzeptable Einschränkung von dessen Entscheidungsgewalt. Die Volksvertretung sollte die volle gesetzgeberische Freiheit zur Umgestaltung der Gesellschaft behalten. Der Siegeszug der Verfassungsgerichtsbarkeit hat diese demokratietheoretische Radikalkritik weitgehend zum Verstummen gebracht. Zwar ist es für eine Parlamentsmehrheit immer ärgerlich, wenn Karlsruhe ihrem Gestaltungsehrgeiz Grenzen setzt - entsprechend gereizt fallen die Äußerungen der Unterlegenen dann regelmäßig aus -, aber die grundsätzliche Weisheit des bestehenden insti-tutionellen Arrangements wird praktisch von niemandem in Zweifel gezogen.

Für die Frankfurter politische Philosophin Ingeborg Maus ist dies eine halbherzige Haltung. Im Namen eines radikalen Verständnisses von Volkssouveränität bläst sie zum Generalangriff auf den "Infantilismus der Justizgläubigkeit", wie er sich in Deutschland vor allem in der hohen Wertschätzung des Verfassungsgerichts äußere. Verfassungsgerichtsbarkeit sei nichts anderes als "Demokratieverhinderung". Demokratie als Selbstgesetzgebung der Regierten werde nur dort verwirklicht, wo "alle Souveränität ungeteilt bei der gesellschaftlichen Basis monopo-lisiert" sei.

Das Parlament dürfe deshalb nicht durch die ihm übergeordnete staatliche Instanz Verfassungsgericht, sondern "nur von unten, durch die gesellschaftliche Basis" kontrolliert werden. "Kritische Öffentlichkeit und gegebenenfalls direktdemokratische Gesetzgebungsverfahren fungieren hier als letzte und höchste Instanzen." Dass diese "demokratische Selbstverständlichkeit" in Deutschland einem "kollektiven Verdrängungsprozess" zum Opfer gefallen sei, habe die beklagenswerte Folge, dass "von der gesellschaftlichen Basis geforderte Innovationsschübe zu Gesetzänderungen oder Konkretisierungen von Freiheitsrechten" unter der Anforderung der Treue zu einer Verfassung ständen, deren Inhalte die Staatsapparate mit Hilfe freizügiger Interpretationsmethoden von Fall zu Fall neu definierten.

Schon in empirischer Hinsicht zeichnet sich diese Argumentation durch den Mut zur kühnen Verkürzung aus, lässt sie doch den gewichtigen Beitrag unter den Tisch fallen, den das Bundesverfassungsgericht seit dem Beginn seiner Tätigkeit zur Liberalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland geleistet hat. Alles andere als selbstverständlich ist aber zu-vorderst das ihr zugrundeliegende Demokratieverständnis.

"Alle Macht der gesellschaftlichen Basis", das klingt zunächst einmal attraktiv, weil es in der Nachfolge Rousseaus die Formel von der Selbstgesetzgebung der Regierten wörtlich zu nehmen scheint. Allerdings würde die praktische Umsetzung dieser Maxime zu noch weitaus gravierenderen Folgen führen als nur zur Abschaffung von Verfassungsgerichten. Auch die Parlamente könnten danach nur insoweit beanspruchen, den Willen der Basis zum Ausdruck zu bringen, wie diese sie nicht eines Besseren belehrt, sei es durch ihre leibhaftige Präsenz vor dem Reichstag, sei es im Internet. Mehr noch: Da, wie Maus schreibt, jeder Einsatz der Staatsgewalt durch die gesellschaftliche Basis vollständig kontrolliert und dirigiert werden müsse, stünde auch die Tätigkeit der Verwaltung und der Instanzgerichte unter dem grundsätzlichen Vorbehalt ihrer Billigung von Seiten dieser Basis.

Die darin liegende Verflüssigung der demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen zugunsten eines wiederum wörtlich verstandenen plébiscite de tous les jours kann man selbstverständlich für begrüßenswert halten. Dann darf man sich aber nicht vor der Tatsache drücken, dass die Basis, der Maus die "Endkontrolle" staatlicher Tätigkeit zutraut, in der realen politischen Praxis in aller Regel durch verhältnismäßig kleine, medial überproportional durchsetzungsfähige Gruppen repräsentiert wird, deren Unterstützer sich eine durch Dauererregungsbereitschaft gekennzeichnete Lebensform leisten können. So gesehen, läuft Maus' Kritik darauf hinaus, dass eine Richterelite, die immerhin vom Parlament gewählt wird und in ihrer Entscheidungstätigkeit unter anspruchsvollen Konsistenzanforderungen steht, gegen eine andere Elite ausgetauscht wird, deren Legitimation im Hinblick auf Qualifikation, Finanzierung und Ziele weitaus dubioser ist als die der ersteren.

Mit dieser Feststellung soll weder die Bedeutung einer kritischen Öffentlichkeit klein- noch die Machtfülle heutiger Verfassungsgerichte schöngeredet, sondern lediglich daran erinnert werden, dass die politische Philosophie der Wirklichkeit ihrer Zeit Rechnung tragen muss. Den Hintergrund von Maus' Kritik bildet dagegen ein buchstäblich aus der Zeit gefallenes Rechtsidyll mit glasklaren Gesetzesnormen, die den Gerichten nur geringe Auslegungsanstrengungen abverlangen und so eine eindeutige Zuordnung von politischer Verantwortung und deren effektive Kontrolle durch die Bürgerschaft ermöglichen, sowie mit einer unvermachteten, immerwachen und stets auf das Gute gerichteten kritischen Öffentlichkeit.

Maus selbst sieht, wie wirklichkeitsfern ihr Bild eines "stehenden" Rechts in einer Zeit ist, in der "die polykratische Aufsplitterung des Staatshandelns der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Problembereiche und deren immer speziellerem Regelungsbedarf folgt" und in der deshalb der Justiz "die neue Funktion zukommt, den fließenden Ansprüchen des jeweiligen Ausgleichs zwischen gesellschaftlicher Partikularisierung und Integration gerecht zu werden", indem sie das Recht mit Hilfe einer generösen Methodik flexibilisiert und situativ aufbereitet.

Dennoch hält Maus an ihrem Traum vom richtigen Recht fest, weil ihre Demokratietheorie ihr nichts anderes zu sagen erlaubt. Aber eine Theorie, die die Komplexität ihres Gegenstands derart drastisch unterbietet, diskreditiert sich selbst. Sie ist nicht kritisch-aufklärerisch, sondern in einem schlechten Sinne utopisch, und insofern - gerade im Marx-Jahr darf daran erinnert werden - ist sie nicht einmal wahrhaft links.

MICHAEL PAWLIK

Ingeborg Maus: "Justiz als gesellschaftliches Über-Ich". Zur Position der Rechtsprechung in der Demokratie.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 266 S., br., 18,- [Euro].

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»Das Buch möchte ich ... allen Justizorganan in Deutschland, auch den Gerichtsvollziehern als ein mit Hoheitsrechten ausgestattetes Eingriffsorgan in Grundrechte der Bürger zur Selbstreflexion dringend empfehlen.« Stefan Mroß DGVZ - Deutsche Gerichtsvollzieher Zeitung