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  • Format: PDF

Produktdetails
  • Verlag: De Gruyter Oldenbourg
  • Seitenzahl: 658
  • Erscheinungstermin: 1. Januar 2009
  • Deutsch
  • ISBN-13: 9783486596144
  • Artikelnr.: 44415294

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Autorenporträt
Hermann Wentker, geboren 1959, ist Leiter der Abteilung Berlin des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Leipzig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2001

Verschleierte Bekämpfung des Klassenfeindes
Herausragendes Instrument der Machterhaltung: Die Justiz in SBZ und DDR bis zum Aufstand von 1953

Hermann Wentker: Justiz in der SBZ/DDR 1945-1953. Transformation und Rolle ihrer zentralen Institutionen. R. Oldenbourg Verlag, München 2001. XI und 647 Seiten, 148,- Mark.

Nach dem Zusammenbruch der DDR hat sich die historische Forschung ausgiebig deren Justiz zugewendet. Der Grund dafür dürfte vor allem in der einigermaßen übersichtlichen Struktur und der guten Quellenlage liegen. Immerhin war die Justiz in der DDR auch ein herausragendes Instrument der Machterhaltung. Das Institut für Zeitgeschichte in München, hier die Außenstelle in Berlin, hat sein diesbezügliches Forschungsprojekt unter das Thema "Die Errichtung der Klassenjustiz nach 1945 in der SBZ/DDR in diktaturvergleichender Perspektive" gestellt. Nach einer Dokumentation über die Volksrichter (F.A.Z. vom 16. Februar 1998) und zwei umfangreichen Regionalstudien über Sachsen (Petra Weber, F.A.Z. vom 13. März 2001) und Brandenburg (Dieter Pohl, F.A.Z. vom 17. August 2001) wird nunmehr eine umfangreiche Untersuchung der Leitungsebene vorgelegt.

Dies waren bis zur Gründung der DDR 1949 die Deutsche Zentralverwaltung für Justiz, danach das Ministerium der Justiz der DDR. Hermann Wentker gliedert seine Untersuchung aber nicht nach diesen beiden Institutionen, sondern nach einer ersten Phase bis 1947/48 und der darauf folgenden Etappe bis 1953. Statt der "Errichtung der Klassenjustiz" bevorzugt er den neutralen Begriff der "Transformation". In der ersten Zeit sei vom Transformationswillen der Besatzungsmacht im Justizwesen nur wenig zu spüren gewesen; damals sei es noch primär um die Wiederaufnahme der Justiztätigkeit gegangen.

Wentker muß sich zunächst mit dem Problem auseinandersetzen, daß es zur Justizgeschichte der DDR schon eine ganze Reihe umfangreicher Darstellungen gibt. Er sieht deren Defizite vor allem darin, daß die Wandlungen zuwenig berücksichtigt und die Entscheidungsprozesse und ihre politischen Hintergründe nicht hinreichend ausgeleuchtet worden seien. Dieses Vorhaben führt zu einer sehr viel detaillierteren Darstellung als in den bisher vorliegenden Werken. Wentker schildert zuerst die Rahmenbedingungen und die innere Struktur der Zentralverwaltung für Justiz, dann den Streit um die Kompetenzen mit den Justizverwaltungen der Länder, die Entnazifizierung des Justizpersonals, die Rekrutierung von Nachwuchskräften, insbesondere die Ausbildung der "Volksrichter", die Funktion der Justizverwaltung bei sowjetischen Eingriffen in das deutsche Normensystem und die Versuche zur Reform des Strafvollzugs.

Brutale Verfolgung.

Ob neben den bekannten Ergebnissen die dazu führenden Entscheidungsprozesse in allen Fällen relevant sind, erscheint allerdings fraglich. So werden zu dem Befehl Nr. 160 der Sowjetischen Militäradministration für Deutschland (SMAD), der die "Diversion" und "Sabotage" unter brutale Strafdrohungen stellte, eingehend die Unklarheit dieser Begriffe und die verschiedenen diesbezüglichen Anfragen, die Diskussionen über die Zulässigkeit konkurrierender Landesgesetze, die Kontroverse zwischen der SMAD und der Zentralen Justizverwaltung über die Formulierung einer Durchführungsinstruktion und einer Verordnung über die Untersuchungshaft und schließlich Bedenken gegen diese auf seiten der Länder dargestellt, wobei zahllose Stellungnahmen und Sitzungsprotokolle zitiert werden. Wentker räsoniert darüber, warum eine bestimmte sowjetische Weisung ausgeblieben sei, und kommt zu dem Ergebnis, daß dies unverständlich sei.

Wenig griffig erscheint die Quintessenz, daß der Befehl Nr. 160 angesichts der strengen Bestrafung von Wirtschaftsstraftaten auch in den Westzonen nicht Ausdruck einer spezifisch sowjetischen Transformationstendenz sei, aber deutlich die Tendenz zur Einführung sowjetischer Rechtsbegriffe und Justizpraktiken erkennen lasse. Eine stärkere Hypothesenbildung hätte den umfangreichen Stoff leichter verdaulich gemacht. Ungewöhnlich ist die Begründung der brutalen Verfolgung vermeintlicher politischer Gegner damit, daß "das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion ein sehr weitgehendes" gewesen sei; die Enteignungen und die Entnazifizierung seien einer "prinzipiell defensiven Strategie geschuldet" gewesen. Auch erschwert es die Fülle der Details, eine einheitliche Linie durchzuhalten. Einerseits betont Wentker mehrfach, daß sich die SMAD "eher zurückgehalten" habe, andererseits betont er die Abhängigkeit der Zentralen Justizverwaltung von der SMAD; sie sei der maßgebliche justizpolitische Akteur gewesen.

Die zweite Phase läßt Wentker mit dem von der Zentralverwaltung für Justiz herausgegebenen Sammelband "Beiträge zur Demokratisierung der Justiz" von 1948 beginnen. Mit ihm habe die SED öffentlich ihren Führungsanspruch bei der Transformation des Justizwesens deutlich gemacht. Es folgt eine Darstellung des organisatorischen und personellen Umbaus der Zentralverwaltung, der Zentralisierung der Justizverwaltung, des Wandels der Juristenausbildung, der Übertragung des Strafvollzugs auf das Innenministerium, des SMAD-Befehls 201 mit der Übertragung der Aburteilung von nationalsozialistischen Gewalttaten auf deutsche Gerichte, der Schaffung des Obersten Gerichts und der Obersten Staatsanwaltschaft der DDR und der Errichtung der Justizsteuerung. Den Abschluß bilden der Neue Kurs, der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und die Übernahme des Justizministeriums durch Hilde Benjamin; hier seien die wesentlichen Ziele der Transformation erreicht gewesen.

Radikaler Umbruch.

In einer Schlußbetrachtung unternimmt Wentker entsprechend den Vorgaben des Projekts "diktaturvergleichende Überlegungen". Unterschiede sieht er vor allem in der großen strukturellen und personellen Kontinuität der Justiz über das Jahr 1933 hinaus gegenüber dem radikalen Umbruch in der Sowjetischen Besatzungszone. Ob die DDR mit der Deprofessionalisierung der Juristenschaft einen "hohen Preis entrichtet" hat, ist allerdings zweifelhaft, da für ein Feindbekämpfungsrecht eine Professionalisierung eher hinderlich erscheint. Die "Verreichlichung" der Justiz 1934 sei nicht so weit gegangen wie die Zentralisierung der Justiz in der SBZ/DDR. Auch die Justizsteuerung sei unter dem Nationalsozialismus - wenigstens bis zum Beginn des Krieges 1939 - sehr viel weniger intensiv gewesen als in der DDR.

Als immer wiederkehrenden Unterschied sieht Wentker die Tatsache an, daß die SBZ/DDR den Unrechtscharakter ihrer Gesetze und Gerichtsurteile verschleiern mußte, während das "Dritte Reich" nicht habe befürchten müssen, durch offene Eingriffe in die Gesetzgebung und die Justiz die Zustimmung unter der Bevölkerung zu verlieren. Dieser verdeckte Hieb gegen die vorige Generation erscheint angesichts der geschickten Begründung und Terminierung der nationalsozialistischen Terrorgesetze - man denke nur an die Lex van der Lubbe nach dem Reichstagsbrand - nicht gerechtfertigt.

FRIEDRICH-CHRISTIAN SCHROEDER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Friedrich-Christian Schroeder präsentiert diese Einzeluntersuchung, die aus einem Forschungsprojekt des Münchener Instituts für Zeitgeschichte über "Die Errichtung der Klassenjustiz nach 1945 in der SBZ/ DDR in diktaturvergleichender Perspektive" hervorgegangen ist, mit gemischten Gefühlen. Der Stoff sei zu umfangreich und deshalb nur schwer verdaulich, klagt der Rezensent, der Autor argumentiere zu zaghaft, zumal in der Fülle der Details ein inhaltliche Linie kaum auszumachen sei. Vor allem mit der Schlussbetrachtung des Autors, in der dieser seine "diktaturvergleichenden Überlegungen" ausbreitet, zeigt sich Schroeder nicht einverstanden. So mokiert er sich über die Formulierung, die DDR habe mit der Deprofessionalisierung der Juristenschaft "einen hohen Preis" bezahlt - schließlich ließ sich der innere oder Klassenfeind auf diese Weise besser bekämpfen, schreibt Schroeder. Und auch der Behauptung Wentkers, die DDR habe den Unrechtscharakter ihrer Gesetze und Urteile mehr verschleiern müssen als die NS-Justiz, steht der Rezensent höchst kritisch gegenüber.

© Perlentaucher Medien GmbH