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"Dieser Roman ist aus dem leuchtenden Stoff, aus dem Weltliteratur entsteht: Faszinierendes Gedankenspiel, Wissenschaft, Poesie, Philosophie, Magie." MARION BRASCH Los Angeles, Mitte der 1980er Jahre. Der deutsche Auswanderer H.G. Kachelbad friert für das kryonische Unternehmen Exit U.S. Menschen ein, die in ihrer Gegenwart nicht mehr leben können. Bald scharen sich ein abgehalftertes Schriftstellergenie, eine ukrainische Wissenschaftlerin, ein vietnamesischer Auftragskiller und andere skurrile Gestalten um Kachelbad. So unterschiedlich ihre Motivationen auch sind, alle »kalten Mieter« hegen…mehr

Produktbeschreibung
"Dieser Roman ist aus dem leuchtenden Stoff, aus dem Weltliteratur entsteht: Faszinierendes Gedankenspiel, Wissenschaft, Poesie, Philosophie, Magie." MARION BRASCH Los Angeles, Mitte der 1980er Jahre. Der deutsche Auswanderer H.G. Kachelbad friert für das kryonische Unternehmen Exit U.S. Menschen ein, die in ihrer Gegenwart nicht mehr leben können. Bald scharen sich ein abgehalftertes Schriftstellergenie, eine ukrainische Wissenschaftlerin, ein vietnamesischer Auftragskiller und andere skurrile Gestalten um Kachelbad. So unterschiedlich ihre Motivationen auch sind, alle »kalten Mieter« hegen die Hoffnung, eines Tages wieder auf getaut werden zu können. Vom jüdischen Wien der Jahrhundertwende bis ins schwule New York der frühen 1980er Jahre nimmt uns Hendrik Otrembas zweiter Roman mit auf eine Reise in die Vergangenheit, um über die Zukunft nachzudenken. Kachelbads Erbe ist ein mitreißendes Gedankenspiel, ein Experiment mit Erzählinstanzen, ein sorgenvoller Blick in die Zukunft der menschlichen Zivilisation – und reflektiert zugleich die Möglichkeiten der Literatur, ins Jenseits zu reichen. Vor allem aber erzählt der Roman eine große Liebesgeschichte.
Autorenporträt
Hendrik Otremba wurde 1984 im Ruhrgebiet geboren und lebt heute in Berlin. Er ist Schriftsteller, bildender Künstler und Sänger der Gruppe Messer, außerdem arbeitet er als Dozent für kreatives Schreiben. 2017 erschien sein Debütroman Über uns der Schaum. Für die Arbeit an Kachelbads Erbe wurde Henrik Otremba 2018 durch das Arbeitsstipendium für Literatur des Berliner Senats gefördert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensent Gerrit Bartels ist das Erzählen des Musikers Hendrik Otremba sympathisch. Wenn der Frontmann der Band Messer in "Kachelbads Erben" von Menschen erzählt, die sich nach dem Tod einfrieren lassen, dann geht es Otremba nicht um die Zukunft, betont Bartels, sondern um die Vergangenheit. Was waren das für Leben, die hier kryonisch konserviert werden? Der Rezensent macht klar, dass er hier keine große Literatur gelesen hat, aber er mochte die Figuren, deren Gedanken vor allem um die Liebe kreisen und um das Schreiben über die Liebe.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2019

Der Autor stirbt, und der Leser ist quicklebendig
Warum ein Grabstein beim Auftauen hilft: Hendrick Otrembas "Kachelbads Erbe" verleiht dem letzten Menschen eine Stimme

Die Kryonik, das Gefrieren lebender Organismen zum Zweck ihres späteren Wiederauftauens, profitiert von dem ihr eigenen Reiz, eine halbphantastische Technologie zu sein. "Halbphantastisch", insofern es seit etwa fünfzig Jahren tatsächlich so etwas wie eine kryonische Praxis gibt, indem Menschen tatsächlich Unternehmen Geld bezahlen, um ihren Körper (oft auch nur ihren Kopf) in Stickstoffbehältern zu konservieren.

Zur kryotechnischen Vollendung würde freilich die Rückkehr des Gefriergutes ins Leben gehören, deren Bewerkstelligung bisher allein der Science-Fiction vorbehalten geblieben ist. Dort, angefangen bei Edward Bellamys "Looking backward" (1888), erweist sich die Kryonik nicht selten als eine erzählerisch einsinnige Erfindung, nämlich als ein Temperatur gewordener Zeitsprung. Indessen wusste bereits Don DeLillos 2016 erschienener Roman "Zero K" den Kälteschlaf als eine Zwischenwelt literarisch auszuschreiten - und mit Hendrik Otrembas Zweitling "Kachelbads Erbe" findet die Erkundung im Eis nun in der deutschen Literatur eine nicht minder scharfsinnige Fortsetzung.

So stehen die Aktivitäten der in Los Angeles ansässigen Kryofirma "Exit U.S." auch nur auf den ersten Blick im Zentrum des Textes. Natürlich: Das Zwei-Mann-Unternehmen hat Sorgen, spätestens nachdem sein Gründer Lee Won-Hong nach einem Herzinfarkt selbst in einem der Kühltanks ruht und sein Adlatus H. G. Kachelbad sich allein um die Geschäfte kümmern muss. Stickstoff muss bezahlt werden - woher das Geld dafür kam und kommen soll, weiß jedoch niemand so recht. Abhilfe schafft für den Moment etwa ein Banküberfall, der allerdings sowohl Investigativjournalisten wie Verbrecherbanden auf den Plan ruft und entsprechende Gewaltketten in Bewegung setzt, bis schließlich ein Erdbeben Szenerie und Handlung kollabieren lässt.

All diese Ereignisse bilden freilich nur die rauschende Hintergrundkulisse eines in Wahrheit meditativen Romans. Nicht die Sequenz, sondern die Stasis, nicht die eventuelle Fortsetzung des Lebens in einer technologisch fortgeschrittenen Zukunft, sondern der Eintritt in den Stillstand bestimmt diesen Text. Otrembas Erzählfiguren verstehen den Tod "nicht als Mauer, nicht als Grenze", sondern als "Turm", den es zu "bewohnen" gilt, und so entsteht hier nach und nach ein Logbuch dieser Turmbewohner, deren Blick sich zu weiten und von oben herab noch einmal über die Welt zu schweifen beginnt. "Kachelbads Erbe" ist somit auch erst einmal Inventur, zweifellos auch ein Buch des letzten Menschen, der auf einer schwimmenden Schreibinsel das Gedächtnis einer Spezies verwaltet, deren "Dummheit das Eis geschmolzen hat", obwohl sie "doch eigentlich die Gabe besaß, das Leben zu erhalten".

Man ist hier also "dabei, wenn es zu Ende geht", und die große Stärke dieses Romans liegt ganz zweifellos darin, dass er kein Interesse an Apokalyptik hat, sondern den Untergang der Menschheit wie auf John Martins Gemälde "The Last Man" (1849) in Stille kondensiert. All denjenigen, die offenen Auges ins Ende gehen, zeigen sich die Dinge noch einmal neu, man möchte sagen: unverstellt, eignet den Kryonikern und ihrer Kundschaft doch die eigentümliche Fähigkeit, mit ihrer Umgebung verschmelzen zu können, unsichtbar zu werden.

Diese Unsichtbarkeit, so erfährt man, ist "eine Technik und eine Wahrnehmung, vielleicht auch ein Bewusstsein", das zu vielem befähigt. Wer sich auf das Verschwinden versteht, der lernt die Menschen in ihren Heimlichkeiten erst richtig kennen. Der sich sukzessive in seine verstorbene Schwester verwandelnde Auftragskiller Hô van Kim etwa nutzt seine Begabung dazu, sich an die Trieborte der Gesellschaft zu begeben, in Swingerclubs, Bordelle, Spielhöllen, Gefängnisse, Opiumhöhlen - und, bemerkenswert unterschiedslos, in die Wohnungen fremder Paare, deren Intimleben er beiwohnt, um alles, was er sieht, zu notieren.

Ohnehin geht es hier unentwegt ums Aufschreiben. Genauer: um die Literatur als eine kryonische Kunstform. Das Schreiben ist das Metier der Unsichtbaren, die Augen besitzen für all die Vergessenen, die nicht aus freier Entscheidung ihr Dasein im Schatten fristen. So betreibt der Romancier Richard Kallmann, der nach seinem vorgetäuschten Tod eine zweite literarische Karriere unter neuem Namen beginnt, in seinen Büchern eine eigene Gefrieranlage, wenn er die Namen seiner Protagonisten konsequent den Grabsteinen abstiehlt, würden sich die Toten "doch freuen, wenn sie wüssten, dass sie in der Literatur weiterleben". Und so schließen sich in diesem Text Kältetechnik und Literatur zusammen, wird die ewig einsame, verwitterte Figur H. G. Kachelbad zum Sachwalter eines deanimierten Erzählens. Seinen "kalten Mietern" stiftet er dabei im wahrsten Sinne des Wortes Biographien und schreibt das Leben in ihre gefrorenen Körper ein.

Dieses zweite, literarische Leben stiften können nur jene, die selbst schon im Verschwinden begriffen sind: Schriftstellerei beginnt mit der Erkenntnis, dass man "eigentlich tot" ist. Wenn Kachelbad beim Zerklüften von schwarzem Meteoritgestein Roland Barthes anzitiert und den "Tod des Autors" zur "Geburt des Lesers" erklärt, dann wird hier indessen nicht literaturwissenschaftliche Vergangenheitsbewältigung betrieben. Vielmehr widerfährt Barthes' "La mort de l'auteur" - 1967, im Jahr der ersten menschlichen Kryokonservierung, veröffentlicht - durch Otrembas Roman eine subtile, aber weitreichende Umdeutung. Über die Erlebniswelt der Achtziger mit ihren Krisenkonstellationen Aids und Tschernobyl (die beide eine gewichtige Rolle in diesem Text spielen) treibt "Kachelbads Erbe" die These vom entautorisierten Text so weit über sich hinaus, bis daraus ein Nekrolog geworden ist.

Am Ende steht dann ein Autor, der sich schon gestorben wähnt und dessen Leser niemals geboren werden. Wenn H. G. Kachelbad als "der letzte Mensch des Planeten" einst in "den Schatten des schwarzen Turmes" kippt - wer will ihn noch beerben? Wer wird seine Geschichten lesen? Vermutlich jene, die dieses Buch in der Hand halten. Wir sind diejenigen, die nach dem Letzten kommen. Also die Allerletzten.

Vieles, sehr vieles wäre noch zu diesem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Roman zu sagen, nicht zuletzt über seine raffinierte, bisweilen vielleicht etwas zu ambitionierte Handlungsführung und seine markante Figurenzeichnung. Zweifellos hat man es auch mit einem sich sacht enthüllenden Liebesroman zu tun, der weniger anrührt als schmerzvoll anfasst. Und pflichtgemäß wie verkaufsfördernd wäre wohl auch der Hinweis auf die Münsteraner Gruppe "Messer", deren Frontmann Hendrik Otremba ist und auf deren 2016 erschienener "Kachelbad"-EP sich bereits die ahnungsvollen Zeilen "Wo ist das Ende? Ich kann es nicht mehr sehen" finden lassen. All das tritt aber vor der einen Einsicht zurück: "Kachelbads Erbe" spiegelt das sich neigende Anthropozän wie kein anderer Text unserer Gegenwart. Klar, schmerzhaft und doch schön.

PHILIPP THEISOHN

Hendrik Otremba: "Kachelbads Erbe". Roman.

Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2019. 432 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2019

Im Stickstofftank der Ewigkeit
Nach dem Tod des Autors: Hendrik Otrembas Roman „Kachelbads Erbe“
Wie trauert man um einen Menschen, der nicht mehr lebt, aber auch nicht richtig gestorben ist? Für Anhänger der Kryonik, der Lehre von der Konservierung des Lebens nach dem Tod, dürfte das eine durchaus konkrete Frage sein. Etwa 250 Personen sollen bisher weltweit ihre Körper oder Teile davon einfrieren haben lassen, um sie in einer fernen Zukunft wiederzubeleben. Hendrik Otremba, dessen zweiter Roman in diesem kryonischen Milieu angesiedelt ist, hat auf die Frage nach der Trauer eine bedrückende Antwort. Der Schmerz der Hinterbliebenen wird in „Kachelbads Erbe“ genauso konserviert wie die Körper ihrer Lieben. Wie will man auch den Verlust eines Menschen verarbeiten, wenn doch die Möglichkeit besteht, dass er eines Tages zurückkehren könnte?
„Kachelbads Erbe“, das zeigt schon dieses Detail, interessiert sich weniger für die Zukunft als für die Gegenwart, aus der heraus die Zukunft erdacht wird. Wobei die Gegenwart des Romans wiederum die Vergangenheit ist, denn die größten Teile von „Kachelbads Erbe“ spielen in den Achtzigerjahren. In einer unscheinbaren Lagerhalle in einem Industriegebiet von Los Angeles bewahrt das Unternehmen „Exit U.S.“ in riesigen Stickstofftanks Menschen auf, die eingefroren auf ein zweites Leben warten. Neben dem etwas fanatischen Direktor Lee Won-Hong besteht das Unternehmen, das in einem Graubereich der Legalität operiert, vornehmlich aus dem titelgebenden H. G. Kachelbad.
Ein deutscher Emigrant, über den man nicht viel mehr erfährt, als dass er introvertiert, menschenfreundlich und pflichtbewusst ist. Um die letzten fünf von „Exit U.S.“ konservierten Menschen – denn im Jahr 1987 kommt das Einfriergeschäft zu einem plötzlichen Halt – kreist nun „Kachelbads Erbe“.
Hendrik Otremba, geboren 1984 in Recklinghausen, der auch als bildender Künstler und Sänger der Band „Messer“ tätig ist, hat seinen Roman als eine Sammlung heterogener Perspektiven, Formen und Zeitebenen angelegt. Da wären etwa die Erinnerungen der ehemaligen „U.S.-Exit“-Mitarbeiterin Rosary, die von Kachelbad protokollierten Lebensgeschichten der einigermaßen wundersamen „kalten Mieter“ aus Tank C87, Erzählpassagen aus der Sicht Kachelbads oder das Tagebuch von Kachelbads Geliebtem.
Die Achtziger- gehen in die Fünfzigerjahre über, springen in eine postapokalyptische Zukunft und wieder zurück. Auch das Medium Text sprengt Otremba, der Roman ist durchzogen von unscharfen Schwarz-Weiß-Fotografien. Diese brüchige Form will sich ihres Autors augenscheinlich entledigen. Immer wieder wird über die Parallelen zwischen der Kryonik und dem Schreiben reflektiert. Auch der Schreibende, so der Gedanke, konserviert durch seinen Text schließlich etwas und macht sich selbst damit überflüssig. Auf Roland Barthes und seinen „Tod des Autors“ gibt es einige Anspielungen.
Gleichzeitig entsteht durch die fragmentarische Form der Eindruck des Dokumentarischen, obwohl es in „Kachelbads Erbe“ von fantastischen Elementen nur so wimmelt. Es gibt Menschen, die nach Belieben verschwinden können und andere, die ungewollt als Unsichtbare leben müssen. Es gibt Gesteinsmassen mit wundersamen Zauberkräften und rätselhafte Wesen aus anderen Sphären.
Doch Otremba flicht das Übernatürliche so beiläufig in die Wirklichkeit ein, dass es kaum auffällt. Die Fähigkeit zu verschwinden etwa beruht bei seinen Figuren auf einer Art Mimikry-Methode, die man sich, eine gewisse Begabung vorausgesetzt, ziemlich einfach antrainieren kann. Ganz ähnlich scheint auch die Sprache dieses Romans vorzugehen, die um eine lakonische Sachlichkeit bemüht ist. Der Effekt, der so entsteht, erinnert an den Ansatz der Science-Fiction-Serie „Black Mirror“. Das Fantastische ist dort immer nur einen winzigen Schritt von der alltäglichen Realität entfernt und gerade diese Nähe macht es so beunruhigend.
Die formalen Ambitionen haben freilich auch ihre Nebenwirkungen. So kunstvoll Otremba die Versatzstücke seines Romans auch arrangiert, so virtuos er die Perspektiven wechselt, so spröde liest sich „Kachelbads Erbe“ doch streckenweise. Es dauert lange, bis die Figuren so fassbar sind, dass man sich wirklich für sie interessiert, schließlich werden ihre Innenleben größtenteils ausgespart. Und die Informationsbruchstücke der verschiedenen Handlungsstränge sind dermaßen minutiös über den Text verteilt, dass sich das Lesen manchmal anfühlt, als versuche man ein Puzzle zu legen, das aus zigtausend Teilen mit exakt derselben Farbschattierung besteht. Es mag aber wiederum unfair sein, einem Roman über den Tod einen Mangel an Lebendigkeit vorzuwerfen.
LUISE CHECCHIN
Hendrik Otremba:
Kachelbads Erbe. Roman. Verlag Hoffmann und
Campe, Hamburg 2019.
432 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Ein Plädoyer für eine neue Literatur des Gefühls.« ZDF aspekte 20190823