Drei psychoaktive Pflanzen – Kaffee, Schlafmohn und Peyote-Kaktus –, die uns beleben, beruhigen oder unser Bewusstsein verändern, erkundet Michael Pollan in diesem spannenden Buch: ihre Kultur, ihre Wirkung und die Tabus, mit denen sie behaftet sind. Von allem, was Pflanzen den Menschen zur Verfügung stellen – Nahrung, Medizin, Duft, Geschmack, Schönheit –, ist sicher das Kurioseste, dass wir sie nutzen, um unser Bewusstsein zu verändern: es anzuregen, zu beruhigen oder den Zustand unserer mentalen Erfahrung komplett zu verändern. Pollan erkundet drei sehr verschiedene psychoaktive Pflanzen – Kaffee/Koffein, Schlafmohn/Opium und den Peyote-Kaktus/Meskalin – und macht dabei klar, wie überaus seltsam ihre jeweilige Wirkung wahrgenommen, eingeschätzt und beurteilt wird. Die besondere Kultur, die sich um jede dieser Pflanzen gebildet hat, erforscht er unter anderem, indem er sie konsumiert (oder, im Fall von Kaffee, versucht, nicht zu konsumieren). Er erzählt von der enormen Anziehungskraft, die psychoaktive Pflanzen in allen Kulturen auf Menschen hatten und haben, und von den mächtigen Tabus, die mit ihnen verbunden sind. Grandios verbindet Pollan Geschichte, Naturwissenschaft, Memoir und Reportage und stellt den Diskurs über Drogen damit in ein völlig neues Licht. Über diese Pflanzen gibt es sehr viel mehr zu sagen, als nur ihre Regulierung zu debattieren. Denn wenn wir sie in unseren Körper aufnehmen und sie unser Bewusstsein verändern lassen, sind wir zutiefst mit der Natur verbunden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Helmut Mayer wird neugierig auf die Wirkung von Meskalin und die "neuronalen Verwirrspiele in Gehirnen" beim Lesen von Michael Pollans offenbar anregender Geschichte psychoaktiver Pflanzenstoffe. Wie der Autor sein Thema angeht, natur- und kulturgeschichtlich tierische Resistenzen und unsere Kaffee- und Teesucht untersuchend, botanisch, historisch und mit persönlichen Erfahrungen, gefällt dem Kritiker gut. Abstecher in die Drogenpolitik, die Biochemie und den Ritus bereichern das Buch zusätzlich, findet Mayer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2022Auch der Kaktus will versucht sein
Aparte Moleküle: Michael Pollan erzählt von psychoaktiven Pflanzen, die es zu großen Auftritten in unserer Kulturgeschichte brachten.
Einige Pflanzen produzieren giftige Alkaloide. Es ist klar, dass sie nicht zuletzt dem Schutz vor Fressfeinden dienen. Weniger klar ist, warum viele dieser Substanzen gleichzeitig psychoaktive Moleküle sind, die unterhalb tödlicher Dosen zu neuronalen Verwirrspielen in Gehirnen führen - ob nun in jenen von Tieren, die für den ursprünglichen Evolutionsdruck in Richtung solcher chemischer Abwehr gesorgt haben müssen, oder auch in denen von erst viel später ins Spiel kommenden Menschen, die Stücke eines "magic mushroom" oder eines Peyote-Kaktus verzehren. Eine angebotene Erklärung für die pflanzliche Produktion dieser Moleküle lautet, dass die psychoaktiv ins Werk gesetzten Effekte vielleicht ein besserer Schutz sind als banales Gift, das unter den Fressfeinden einen Selektionsdruck Richtung Resistenz erzeugt.
Aber so einfach kann es doch nicht sein, wie Pflanzen vorführen, die das psychoaktive Alkaloid Koffein in ihren Nektar mischen. Zwar kann Koffein tatsächlich Insektengehirne aus dem Gleis bringen - Spinnen etwa weben unter seinem Einfluss krauses Zeug statt tauglicher Fangnetze -, aber im Fall der Bienen, die vom koffeinhaltigen Nektar kosten, ist der Effekt ein anderer: Sie erinnern sich an diesen Nektar besser und kehren öfter zu diesen Pflanzen zurück als zu anderen.
Das ist ein offensichtlicher Vorteil für die Koffeinanbieter, während es den Anschein hat, dass die bestäubenden Bienen über ihrer Neigung zum Koffein vom Pfad einer optimalen Strategie der Nahrungsbeschaffung abweichen können: die Bienen also als noch in der Naturgeschichte steckender Fall einer Abhängigkeit von Drogen, welche ihnen gewitzte Pflanzen verabreichen.
Man findet diese Überlegungen und Untersuchungen in Michael Pollans jüngstem Buch. Sie gehören zum naturgeschichtlichen Teil seiner Geschichten von Pflanzen, die psychoaktive Substanzen produzieren, welche in der menschlichen Kulturgeschichte von Bedeutung wurden: Kaffee- und Teestrauch (Koffein), Schlafmohn (Morphin/Opiate), Peyote- und San-Pedro-Kaktus (Meskalin). Das Meskalin hat der als Kenner gemeinsamer Geschichten von Pflanzen und Menschen bestens ausgewiesene Autor bereits in seinem zuvor erschienenen Buch gestreift, das sich hauptsächlich mit den Halluzinogenen LSD und Psilocybin beschäftigt (F.A.Z. vom 16. März 2019).
Mit Koffein, Morphin und Meskalin geht es nun um drei Drogen recht unterschiedlicher Wirkung: Eine putscht auf, eine sediert, die halluzinogenen Wirkungen der dritten sind nicht so leicht zu beschreiben (wurden es aber gerade deswegen oft). Hinzu kommt natürlich, dass nur eine von ihnen legal frei zu konsumieren ist, während Herstellung und Gebrauch der beiden anderen abseits ärztlicher Verschreibung (Opiate) beziehungsweise eines sakramentalen Gebrauchs durch Mitglieder der "Native American Church" (Meskalin) unter hohen Strafandrohungen stehen.
Das gibt Pollan Gelegenheit, die Unsinnigkeit und Unaufrichtigkeit einer Drogenpolitik festzustellen, die erst in den vergangenen Jahren da und dort auf vernünftige Weise korrigiert wird. Tatsächlich ist es ja einigermaßen irritierend, wenn auch aufschlussreich, dass in der Sache ungerechtfertigte pauschale Verdammungen psychotroper Substanzen - nämlich auch dann, wenn Suchtgefahr oder physiologische Schädlichkeit nicht nachweisbar waren - sich ab den frühen Siebzigerjahren von den Vereinigten Staaten aus in der westlichen Welt etablieren konnten. Mit dem hauptsächlichen Effekt, das Geschäftsmodell von kriminellen Kartellen zu sichern.
Zu welchen Merkwürdigkeiten der dann ausgerufene "Krieg gegen die Drogen" führte, zeigt recht gut Pollans Kapitel zum Schlafmohn, das er zum großen Teil schon vor fünfundzwanzig Jahren geschrieben, damals aber - man befand sich am Höhepunkt dieses "Kriegs" unter der Administration Clinton - aus Furcht vor Strafverfolgung nur in einer gekürzten Version veröffentlicht hatte. Zur selben Zeit, als er wegen eines mild narkotischen Tees aus selbst gezogenem Schlafmohn mit einer Anklage rechnen musste, wurden damals bei Purdue Pharma die Weichen gestellt für die ganz legale Vermarktung von Oxycontin, das die Opioid-Krise über Amerika bringen sollte.
Pollan mischt biochemische Erläuterungen, botanische Auskünfte, historische Betrachtungen und eigene Erfahrungen. Im Fall des Koffeins ist der Einstieg die Beschreibung eines versuchsweisen Entzugs, den sich der Kaffee trinkende Autor auferlegt, bevor es in einen schnellen historischen Durchgang geht, der den durchschlagenden Erfolg von Tee und Kaffee in den westlichen Gesellschaften nachzeichnet. Im Fall des Meskalins läuft es auf begleitete Versuche mit den beiden Kakteen hinaus. Sie finden in rituell angereicherten Settings statt, die gut an jene Traditionslinie des Meskalins anschließen, der sich Pollan widmet: dem lange dauernden Kampf der Nachfahren amerikanischer Ureinwohner um den Gebrauch des Peyote für einen kollektiven Ritus.
Der Autor dürfte recht haben, wenn er aus den Beschreibungen dieser Zeremonie den Schluss zieht, dass er bis auf seinen Gruppencharakter große Ähnlichkeit mit Formen psychedelischer Therapie westlichen Zuschnitts hat. Wer diesen therapeutischen Gebrauch in eine umfassendere Geschichte des Meskalins einordnen möchte, kann übrigens mittlerweile zu einer exzellenten Darstellung greifen, die Pollan auch anführt: Mike Jays "Mescaline - A Global History of the First Psychedelic". Aber schon für sein eigenes Buch gilt: Unmöglich eigentlich, als Leser nicht neugierig zu werden, wie sich ein Trip wohl anfühlt. Das hat der Kaktus dem Mohn wie dem Kaffee doch voraus. HELMUT MAYER
Michael Pollan: "Kaffee - Mohn - Kaktus". Eine Kulturgeschichte psychoaktiver Pflanzen.
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Kunstmann Verlag, München 2022. 284 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aparte Moleküle: Michael Pollan erzählt von psychoaktiven Pflanzen, die es zu großen Auftritten in unserer Kulturgeschichte brachten.
Einige Pflanzen produzieren giftige Alkaloide. Es ist klar, dass sie nicht zuletzt dem Schutz vor Fressfeinden dienen. Weniger klar ist, warum viele dieser Substanzen gleichzeitig psychoaktive Moleküle sind, die unterhalb tödlicher Dosen zu neuronalen Verwirrspielen in Gehirnen führen - ob nun in jenen von Tieren, die für den ursprünglichen Evolutionsdruck in Richtung solcher chemischer Abwehr gesorgt haben müssen, oder auch in denen von erst viel später ins Spiel kommenden Menschen, die Stücke eines "magic mushroom" oder eines Peyote-Kaktus verzehren. Eine angebotene Erklärung für die pflanzliche Produktion dieser Moleküle lautet, dass die psychoaktiv ins Werk gesetzten Effekte vielleicht ein besserer Schutz sind als banales Gift, das unter den Fressfeinden einen Selektionsdruck Richtung Resistenz erzeugt.
Aber so einfach kann es doch nicht sein, wie Pflanzen vorführen, die das psychoaktive Alkaloid Koffein in ihren Nektar mischen. Zwar kann Koffein tatsächlich Insektengehirne aus dem Gleis bringen - Spinnen etwa weben unter seinem Einfluss krauses Zeug statt tauglicher Fangnetze -, aber im Fall der Bienen, die vom koffeinhaltigen Nektar kosten, ist der Effekt ein anderer: Sie erinnern sich an diesen Nektar besser und kehren öfter zu diesen Pflanzen zurück als zu anderen.
Das ist ein offensichtlicher Vorteil für die Koffeinanbieter, während es den Anschein hat, dass die bestäubenden Bienen über ihrer Neigung zum Koffein vom Pfad einer optimalen Strategie der Nahrungsbeschaffung abweichen können: die Bienen also als noch in der Naturgeschichte steckender Fall einer Abhängigkeit von Drogen, welche ihnen gewitzte Pflanzen verabreichen.
Man findet diese Überlegungen und Untersuchungen in Michael Pollans jüngstem Buch. Sie gehören zum naturgeschichtlichen Teil seiner Geschichten von Pflanzen, die psychoaktive Substanzen produzieren, welche in der menschlichen Kulturgeschichte von Bedeutung wurden: Kaffee- und Teestrauch (Koffein), Schlafmohn (Morphin/Opiate), Peyote- und San-Pedro-Kaktus (Meskalin). Das Meskalin hat der als Kenner gemeinsamer Geschichten von Pflanzen und Menschen bestens ausgewiesene Autor bereits in seinem zuvor erschienenen Buch gestreift, das sich hauptsächlich mit den Halluzinogenen LSD und Psilocybin beschäftigt (F.A.Z. vom 16. März 2019).
Mit Koffein, Morphin und Meskalin geht es nun um drei Drogen recht unterschiedlicher Wirkung: Eine putscht auf, eine sediert, die halluzinogenen Wirkungen der dritten sind nicht so leicht zu beschreiben (wurden es aber gerade deswegen oft). Hinzu kommt natürlich, dass nur eine von ihnen legal frei zu konsumieren ist, während Herstellung und Gebrauch der beiden anderen abseits ärztlicher Verschreibung (Opiate) beziehungsweise eines sakramentalen Gebrauchs durch Mitglieder der "Native American Church" (Meskalin) unter hohen Strafandrohungen stehen.
Das gibt Pollan Gelegenheit, die Unsinnigkeit und Unaufrichtigkeit einer Drogenpolitik festzustellen, die erst in den vergangenen Jahren da und dort auf vernünftige Weise korrigiert wird. Tatsächlich ist es ja einigermaßen irritierend, wenn auch aufschlussreich, dass in der Sache ungerechtfertigte pauschale Verdammungen psychotroper Substanzen - nämlich auch dann, wenn Suchtgefahr oder physiologische Schädlichkeit nicht nachweisbar waren - sich ab den frühen Siebzigerjahren von den Vereinigten Staaten aus in der westlichen Welt etablieren konnten. Mit dem hauptsächlichen Effekt, das Geschäftsmodell von kriminellen Kartellen zu sichern.
Zu welchen Merkwürdigkeiten der dann ausgerufene "Krieg gegen die Drogen" führte, zeigt recht gut Pollans Kapitel zum Schlafmohn, das er zum großen Teil schon vor fünfundzwanzig Jahren geschrieben, damals aber - man befand sich am Höhepunkt dieses "Kriegs" unter der Administration Clinton - aus Furcht vor Strafverfolgung nur in einer gekürzten Version veröffentlicht hatte. Zur selben Zeit, als er wegen eines mild narkotischen Tees aus selbst gezogenem Schlafmohn mit einer Anklage rechnen musste, wurden damals bei Purdue Pharma die Weichen gestellt für die ganz legale Vermarktung von Oxycontin, das die Opioid-Krise über Amerika bringen sollte.
Pollan mischt biochemische Erläuterungen, botanische Auskünfte, historische Betrachtungen und eigene Erfahrungen. Im Fall des Koffeins ist der Einstieg die Beschreibung eines versuchsweisen Entzugs, den sich der Kaffee trinkende Autor auferlegt, bevor es in einen schnellen historischen Durchgang geht, der den durchschlagenden Erfolg von Tee und Kaffee in den westlichen Gesellschaften nachzeichnet. Im Fall des Meskalins läuft es auf begleitete Versuche mit den beiden Kakteen hinaus. Sie finden in rituell angereicherten Settings statt, die gut an jene Traditionslinie des Meskalins anschließen, der sich Pollan widmet: dem lange dauernden Kampf der Nachfahren amerikanischer Ureinwohner um den Gebrauch des Peyote für einen kollektiven Ritus.
Der Autor dürfte recht haben, wenn er aus den Beschreibungen dieser Zeremonie den Schluss zieht, dass er bis auf seinen Gruppencharakter große Ähnlichkeit mit Formen psychedelischer Therapie westlichen Zuschnitts hat. Wer diesen therapeutischen Gebrauch in eine umfassendere Geschichte des Meskalins einordnen möchte, kann übrigens mittlerweile zu einer exzellenten Darstellung greifen, die Pollan auch anführt: Mike Jays "Mescaline - A Global History of the First Psychedelic". Aber schon für sein eigenes Buch gilt: Unmöglich eigentlich, als Leser nicht neugierig zu werden, wie sich ein Trip wohl anfühlt. Das hat der Kaktus dem Mohn wie dem Kaffee doch voraus. HELMUT MAYER
Michael Pollan: "Kaffee - Mohn - Kaktus". Eine Kulturgeschichte psychoaktiver Pflanzen.
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Kunstmann Verlag, München 2022. 284 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main