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Lothar Machtan erzählt von den letzten Wochen des Kaiserreichs und vermisst mitreißenden revolutionären Elan bei den Linken
Die "Novemberrevolution", das Ende des Kaiserreichs und die Entstehung der Weimarer Republik genießen wenig Respekt in Deutschland. Zu glanz- und schwunglos war das Ganze. Das Alte sei weniger gestürzt worden als aus eigener Schwäche zusammengebrochen, das Neue nicht von einer großen Hoffnung getragen, keine soziale Umwälzung, kaum mehr als Nachlassverwaltung gewesen. Die bekannte deutsche Misere also. Auch Lothar Machtan, der in den letzten Jahren zwei Bücher zum Thema verfasst hat, "Die Abdankung" über das Ende der deutschen Dynastien und "Prinz Max von Baden", eine Biographie des letzten Kanzlers des Kaiserreichs, bewegt sich auf diesem Pfad. Er zitiert Harry Graf Kessler über den 9. November: "Haltung des Volkes ausgezeichnet: diszipliniert, kaltblütig, ordnungsliebend, eingestellt auf Gerechtigkeit, fast durchweg gewissenhaft." Aber näher ist ihm das Urteil Maximilian Hardens, der die "wärmende, strahlende Flamme", den "Traumtrieb" vermisste bei denen, "die das Geschäft der Revolution leiten".
Doch so flau, meint Machtan, hätte es nicht kommen müssen. In seinem neuen Buch "Kaisersturz" will er "ergebnisoffen" von den letzten Wochen des Kaiserreiches erzählen und richtet dabei den Blick auf die "Subjektivität der Entscheidungsträger". Das sind vor allem drei Männer: der Kaiser, der Kanzler und Friedrich Ebert. Wilhelms II. Bild steht einigermaßen fest. Auch Machtan stellt ihn als eine eitle, schwache Natur dar, laut, aber bestimmbar. Dass er zu schwach war, politische und militärische Führung zu koordinieren, das war sein schlimmster Fehler. Sein zweitschlimmster: Immer wieder einmal sah er die Haltlosigkeit der Lage, dass der Krieg verloren war und er selbst abdanken müsse. Aber dann wehrte er den Gedanken regelmäßig ab, verführt durch eine liebedienerische Umgebung. Und so blieb er auf seinem Platz, bis er fast allen, selbst in der engeren Umgebung, verächtlich geworden war.
Max von Baden war ebenfalls keine feste Persönlichkeit. Und weiter fehlte es ihm an politischer Erfahrung, in den auswärtigen Beziehungen wie im Umgang mit einem Regierungsapparat. Ein Mann des Übergangs, der er hätte sein müssen, konnte er nicht werden, dazu fehlte ihm das Verständnis für die neue demokratische Zeit. So war Friedrich Ebert der Einzige, von dem etwas erwartet werden durfte. Ein moderner Berufspolitiker, fleißig und tatkräftig, robust und realitätstüchtig, in den Augen eines Parteifreunds die Verkörperung der "ehrlichen Urkraft der organisierten Arbeiterbewegung", aber, wie Machtan urteilt, mit einem gewissen "Mangel an grandiosen prospektiven Ideen".
Neu sind diese Charakterbilder nicht. Die drei Männer wirken auch bei Machtan in ihren Überzeugungen und Eigenheiten wie gefangen. Doch wenn sie es waren, und dafür spricht viel: Wie sollten sie "ergebnisoffen" durch die neuen Verhältnisse steuern? Gewiss wäre es besser gewesen, Wilhelm II. hätte früher die Krone niedergelegt. Auch der liberale Theodor Wolff, Chefredakteur des "Berliner Tageblatts", hielt die Abdankung des Kaisers am 9. November für überfällig, um dann fortzufahren: "Aber trifft die Könige die alleinige Schuld, wenn sie zu lange glauben, das ganze Volk sei in liebender Anhänglichkeit um sie geschart? Wann tritt, zwischen huldigenden Bürgermeistern, Ehrenjungfrauen, Spalierenthusiasten, Lakaien und Triariern die Wahrheit an sie heran?"
Machtan hat gegenüber der SPD Eberts spürbare Reserven, er hält sie für revolutionäre Drückeberger und neigt eher den Gruppierungen links der SPD zu, USPD, Spartakus, den revolutionären Betriebsobleuten. Dass irgendwann "die Straße" sich meldet, das begeistert ihn. Aber was bedeutet "die Straße" in Berlin demokratisch? Im November 1918 geht es um eine neue Ordnung für das ganze Land; die Peripherie ist erfahrungsgemäß konservativer als die Zentren.
Machtan stellt die Rolle der Persönlichkeit ins Licht. Aber abgesehen davon, dass er zu den drei bestimmenden Männern nicht viel Neues zu sagen hat: Es käme doch darauf an, die subjektiven Faktoren mit den objektiven ins Verhältnis zu setzen, um abzuschätzen, wie groß die Spielräume waren. Dazu gehörte, dass sich das Kaiserreich über gut drei Jahrzehnte als recht erfolgreiches Gebilde gezeigt hatte, wirtschaftlich wie wissenschaftlich-technisch und auch sozial. Der Krieg zeigte, dass die Integration der Gesellschaft weitgehend gelungen war. In solchen Situationen ist revolutionärer Schwung nicht leicht zu holen.
Obwohl Machtan doch ein guter Kenner der Zeit ist, ist sein jüngstes Buch merkwürdig unhistorisch. Er beanstandet einen Mangel an konzeptioneller Entschlossenheit: "Kalter Rationalismus, der den Aufbau einer basisdemokratischen Kultur hintansetzte". Aber die Sprache signalisiert, dass hier ein modernes Ideal, eines der letzten Jahre formuliert wird. Die englischen Konservativen glaubten noch in den fünfziger Jahren ganz selbstverständlich, dass das Volk einer behutsamen Lenkung bedürfe. Und wie viel mehr eine Gesellschaft, die aus der Sicherheit der letzten Friedensjahre in den Krieg geworfen war, bald sich an den Hunger gewöhnen musste und zuletzt an den Gedanken, den Krieg verloren zu haben. Käthe Kollwitz wird Monate später teilnahmsvoll den Kopf des ermordeten Revolutionärs Karl Liebknecht zeichnen. Aber als ihr Sohn aus dem Krieg zurückkehrte, da hisste sie noch einmal die schwarz-weiß-rote Fahne, "die liebe deutsche Fahne", allerdings mit dem roten Wimpel der Republik. So unklar kann es zugehen.
Ganz zuletzt hat dann auch Machtan seine Zweifel an der größeren revolutionären Energie der entschiedenen Linken. Er hält es für eine begründete Vermutung, dass Hitler "gegen eine glaubwürdig modernisierte monarchische Ordnung mit einem volksnahen Thronfolger kaum eine Chance gehabt hätte". Daran kann man auch zweifeln. Aber die Neigung Eberts, die Monarchie nicht als Regierungssystem, aber als Staatsform zu erhalten, wäre eine treffende Einschätzung der politischen Reife seiner Landsleute gewesen.
STEPHAN SPEICHER
Lothar Machtan: "Kaisersturz". Vom Scheitern im Herzen der Macht 1918.
WBG / Theiss Verlag, Darmstadt 2018. 350 S., geb., 24,- [Euro].
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