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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Dichte Ereignisgeschichte und historisches Panorama: Heinz Halm besichtigt den Vorderen Orient zur Zeit der Kreuzzüge und des Geheimbunds der Assassinen
Zu den interessantesten und faszinierendsten Kapiteln der islamischen Geschichte gehört der Siebener-Schiismus, das Ismailitentum. Einer der größten Kenner der Schia ist Heinz Halm, emeritierter Professor der Islamwissenschaft in Tübingen. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit dieser zweiten großen Konfession des Islams, die jede Menge "Abweichler" und "Übertreiber", das heißt von der sunnitischen Mehrheit selbstredend als "Ketzer" gebrandmarkte Strömungen hervorgebracht hat. Die mächtigste Richtung der Siebener-Schiiten (Sab'ija) war die Dynastie der Fatimiden. Dieser Bewegung, ihren Zielen und ihrer Machtentfaltung hat Halm schon mit den Bänden "Im Reich des Mahdi" und "Die Kalifen von Kairo", doch auch mit Arbeiten über die islamische Gnosis vielbeachtete Bücher gewidmet.
Nun beleuchtet er mit seinem neuen Buch das letzte Jahrhundert fatimidischer Herrschaft in Kairo und den Aufstieg der Ayyubiden und Mamluken in Wechselwirkung mit den Staaten der Kreuzritter, dem verfallenden Abbasidenkalifat zu Bagdad und den ismailitischen Extremisten der Assassinen, die wegen ihrer zahllosen politischen Morde als die "Terroristen" der damaligen Zeit angesehen werden können. Um Letztere ranken sich Legenden.
Halm entfaltet ein Panorama, wie es in dieser Faktenfülle dem deutschen Leser noch niemals dargeboten worden ist. In fünf umfangreichen Teilen bietet der Autor eine aus arabischen, persischen und lateinischen Quellen schöpfende, gut lesbare, besonders dichte Ereignisgeschichte, die aber auch mit religions- wie kulturgeschichtlichen Elementen, dazu noch mit der Geschichte der fatimidischen Baukunst in Ägypten und in Syrien/Palästina verwoben ist.
Am Beginn des Werkes stehen zusammenfassende Stichworte in der Art eines Glossars, die es dem Leser erleichtern, sich in der Vielzahl der religiös-politischen Gruppierungen und Persönlichkeiten zurechtzufinden. Im Wesentlichen schildert Halm - an seinen vorigen Band, der mit dem Jahr 1073 endet, unmittelbar anschließend - das Jahrhundert von der Machtergreifung Badr al Dschamalis als Wesir und eigentlicher Machthaber (Sultan) unter dem Kalifen al Mustansir in Kairo im Jahre 1074 bis zum Erlöschen der Fatimiden ungefähr hundert Jahre später. In einem sechsten, letzten Kapitel bietet er einen Ausblick auf den weiteren Verlauf der Geschichte, auf das Schicksal der beteiligten Dynastien, Gruppen und Mächte in der Region, vornehmlich der Kreuzfahrerstaaten und der rätselhaften Assassinen, deren ismailitische Nachfahren - unter anderen die Anhänger des Agha Khan - bis heute (und lange schon auf friedliche Weise) weiterexistieren.
Als die Kreuzritter im Jahre 1099 Jerusalem im Ersten Kreuzzug blutig eroberten und als Folge ihre vier Kreuzfahrerstaaten gründeten, stießen sie keineswegs auf eine homogene "islamische Welt" oder auf "den Islam". Es gab Juden, doch vor allem zahlreiche Christen, die teilweise hohe Posten in Verwaltung oder Militär innehatten. Manche, wie der Armenier Badr al Dschamali, waren zum Islam übergetreten, andere taten das nicht. Und natürlich mischten die koptischen Patriarchen und Würdenträger mit.
Hinzu kamen die islamischen Konfessionen, Herrschaften und Reiche, die sich erbittert befehdeten. Die Fatimiden, die Nordafrika, zeitweise Sizilien, vor allem jedoch (seit 969) Ägypten und auch Syrien beherrschten, ihren Einfluss jedoch auch im Jemen und an den heiligen Stätten des Islams in Mekka und al Medina geltend machen konnten, deren Propaganda (da'wa oder Ruf) sogar in Iran und bis nach Indien hinein zu vernehmen war, standen dem sunnitisch geprägten Bagdader Kalifat in erbitterter Feindschaft gegenüber. Die Bagdader Herrscher aus dem Haus der Abbasiden gerieten mehr und mehr unter die Oberherrschaft türkischer Stämme wie der Seldschuken, die aus den Regionen östlich des Kaspischen Meeres im Rahmen der Wanderung der Oghusen hervorbrachen und große Teile Vorderasiens bis nach Anatolien unter ihre Botmäßigkeit zwangen. Sie stützten das sunnitische Kalifat, das im Jahre 750 gegründet worden war und sich der Feindschaft der Fatimiden und anderer Schiiten ausgesetzt sah. Bei diesem Streit ging es um nichts weniger als die Legitimität der Herrschaft, sprich die "einzig wahre" Nachfolge des Propheten Mohammed - ein Streit, der schon in frühislamischer Zeit ausgebrochen war.
Die Fatimiden, die ihre Herkunft auf Fatima, die Tochter des Propheten Mohammed und Gemahlin seines Vetters Ali, des Gründers der Schia, zurückführten, waren nicht nur Schiiten, sondern Ismailiten. Im Unterschied zu den "Zwölfern" (die heute in Iran den Ton angeben) bricht die Reihe der Imame oder legitimen, mit prophetischem Charisma ausgestatteten leiblichen Nachfolger des Propheten für sie schon beim siebten Imam, Ismail, ab, weshalb man sie auch Ismailiten nennt. Vor allem die Ismailiten schufen eine theologische Geheimlehre, die letztlich nur den Eingeweihten zugänglich war. Für sie waren die wahren Muslime die Mu'minun (Gläubigen), während alle anderen nur als "Muslimun" bezeichnet wurden. Und alle Siebener-Schiiten pflegten den Ta'wil, die esoterische, metaphorische Auslegung des Korans. In der Geschichtsschreibung der sunnitischen Mehrheit firmieren sie deshalb als Ketzer, die nach dem inneren Sinn des Korans wie des religiösen Gesetzes suchen, das nur die äußere Hülle des Glaubens sei.
Während die Mehrheit der Ägypter unter fatimidischer Herrschaft sunnitisch blieb, gingen die sogenannten Assassinen zur "Propaganda der Tat" über, indem sie Repräsentanten des Sunnitentums, wie den berühmten Wesir Nizam al Mulk, ermordeten. Sie schufen in Iran, dann später in Syrien eine Geheimorganisation, die von zahlreichen Burgen aus, so den Festen Alamut in Iran und Masyaf in Syrien, ihre spektakulären Attentate auf führende Wesire, Kadis und andere Große über Jahrzehnte hinweg fortsetzten. Opfer waren neben sunnitischen Würdenträgern später auch die Kreuzfahrer und sogar die Fatimiden selbst, aus deren Lehre und Herrschaft sie hervorgegangen waren. In christlich-mittelalterlichen Quellen, so auch bei Marco Polo, erscheint dabei ihr Anführer Raschid al Din Sinan als "der Alte vom Berge", vor dessen Schergen alle auf der Hut sein mussten.
Dieselben Quellen haben für diese schiitischen Extremisten auch den - verballhornten - Namen "Assassinen" (haschischiya) überliefert, die von dem berühmten französischen Orientalisten Sylvestre de Sacy im 19. Jahrhundert als "Haschischesser" charakterisiert wurden, als Leute, die ihre Mordtaten entweder unter dem Einfluss von Drogen begangen hätten oder denen man unter Drogen das im Koran den Märtyrern verheißene Paradies vorgegaukelt habe, damit sie sich zu opfern bereit wären. Wahrscheinlich ist jedoch, wie Halm schreibt, dass diese Bezeichnung nur "die Benebelten, die nicht richtig im Kopf sind", meint. Doch übrig blieb in einigen europäischen Sprachen das Wort für "Mörder": so französisch "assassin" oder italienisch "assassino".
Die Mongolen waren es, die diese ismailitischen Hardliner zur Strecke brachten, als sie das sunnitische Kalifat vernichteten, dabei kurz zuvor auch die Assassinen-Feste Alamut schleiften und erst bei Ain Dschalut, am Goliathsquell in Palästina, 1260 aufgehalten werden konnten. Der Aufstieg der Mamluken, einer Dynastie aus Militärsklaven (mamluk), der neuen Großmacht in Ägypten, hatte da längst begonnen. Sie waren keine Schiiten mehr, sondern Sunniten.
Die innerfatimidische Geschichte dieses Zeitraums von hundert Jahren wie auch die Beschreibung des historischen Gesamt-Tableaus erscheinen in Halms Darstellung als eine Kette von kriegerischen Auseinandersetzungen, wechselnden Bündnissen zwischen allen muslimischen und christlichen Beteiligten, politischen Ränkespielen, Hinrichtungen, heimtückischen Dolchattentaten, Giftmorden, Gewalttaten, die auch vor der Tötung von Kindern nicht zurückschreckten. Bisweilen beschleicht einen der Gedanke, wie sehr solcherlei Ereignisse für eine mit heutigen Verhältnissen vergleichbare dauerhafte Erregung gesorgt hätten, wenn es die Fernsehnachrichten damals schon gegeben hätte. Man fühlt sich beim Lesen denn auch nicht selten an unsere Gegenwart erinnert, obzwar die Mittel des Terrors - wie des Krieges - andere, sogar hundertfach brutalere, doch anonymere geworden sind.
Mit den Fatimiden, deren Herrschaft der auch in Europa zur Legende gewordene Sultan Saladin aus dem Haus der Ayyubiden, ein eifernder Sunnit kurdischer Herkunft, beendete, war eine Dynastie erloschen, die vor allem in Ägypten die islamische Kultur einem neuen, glanzvollen Höhepunkt entgegengeführt hatte. Noch heute zeugen manche prachtvolle Bauten aus jenen Tagen von diesem Höhepunkt. Die Kreuzfahrer schließlich mussten 1291 ihre letzte Bastion, Akkon, räumen; damit war auch diese, fast zweihundert Jahre dauernde weltgeschichtliche Episode zu Ende. Schiiten freilich gibt es noch immer, auch etliche Denominationen der Siebener (Bohras oder Tayyibiten, Alawiten), wie man beinahe täglich den Medien entnehmen kann.
Mit seinem dritten Band über die Siebener-Schiiten und deren fatimidische Ausprägung hat Heinz Halm die Darstellung dieser ismailitischen Herrschaft, die zwar im Namen ihres auf besondere Weise gedeuteten Islams eine Zeitlang die Geschicke großer Teile des Orients lenkte oder wenigstens beeinflusste, in Wirklichkeit jedoch durchaus multiethnisch, ja multireligiös geprägt war, vervollständigt. Insbesondere Eurozentristen mag dieses Buch zur Lektüre empfohlen sein.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Heinz Halm: "Kalifen und Assassinen". Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge 1074-1171. Verlag C.H. Beck, München 2014. 431 S., Abb., geb., 34,95 [Euro].
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