Wenige Städte haben ein Schicksal erlitten wie das ostpreußische Memel/Klaipeda im 20. Jahrhundert. Die Stadt an der Memel gehörte in den vergangenen 100 Jahren zum Deutschen Reich (bis 1920, 1939-1945), zur Republik Litauen (1923-1939), zur Sowjetunion (1945-1990) und schließlich wieder zu Litauen. Die wechselvolle Geschichte führte dazu, dass verschiedene Staaten, Nationen und politische Systeme ihren Anspruch auf die Stadt auch ideologisch zu untermauern suchten. Hieraus entstanden differente, ja meist konträre Identitätskonstrukte, die immer darauf abzielten, die Zugehörigkeit Memels/Klaipedas zur eigenen Kultur, Nation oder Weltanschauung zu dokumentieren. Vasilijus Safronovas ist in seiner mehrfach ausgezeichneten litauischsprachigen Untersuchung eine beeindruckende plastische Darstellung dieser Identitätsideologien gelungen. Das vorliegende Buch leistet nicht nur einen wichtigen Neuansatz für die Geschichte der Stadt Memel/Klaipeda, sondern darüber hinaus wird deutlich, wie sehr die Suche nach und die Konstruktion von Identitäten historische Entwicklungen (mit)bestimmt. Safronovas arbeitet die von deutschen, litauischen und sowjetischen Intellektuellen und nationalen Dogmatikern entwickelten Aneignungsstrategien heraus, analysiert sie und ordnet sie in eine fast 100-jährige historische Entwicklung ein. Seine Untersuchung bietet einen methodologischen Ansatz, der für weitere Städte an der Ostsee nutzbringend Anwendung finden kann. Für die deutsche Fassung wurde das litauische Original vom Autor überarbeitet und aktualisiert.
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