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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Claudia Kemfert gibt die Missionarin für grüne Energie
Claudia Kemfert war mit 32 Jahren die erste deutsche Juniorprofessorin, mit 36 ordentliche Professorin für Umweltökonomie an der Berliner Humboldt-Universität. Heute lehrt die 44 Jahre alte Wirtschaftswissenschaftlerin Energieökonomik an der privaten Hertie School of Governance und leitet die Abteilung für Energie, Verkehr und Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, wo sie mit quantitativen Modellen die ökonomische Seite von Energie- und Klimaschutzpolitik bewertet.
Ihre Internetseite verrät, dass sie Unternehmen und Politik bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso berät, im Club of Rome sitzt und im jahre 2006 vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft als eine von elf jungen Hoffnungen der Spitzenforschung präsentiert wurde.
Ihr aktuelles Buch, soeben in Berlin vom ehemaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer vorgestellt, weckt deshalb große Erwartungen. "Kampf um Strom" verspricht kämpferisch, mit "Öko-Mythen" und "Energie-Irrtümern" aufzuräumen und die Debatte zu versachlichen. Die aus zahlreichen Interviews und Fernsehauftritten bekannte Autorin plädiert darin sendungsbewusst für den Umbau des Energiesystems in eine CO2-freie Versorgungslandschaft, die durch Ökostrom und starke Stadtwerke gekennzeichnet sein soll.
Auf schnell und leicht zu lesenden 140 Seiten ohne Zahlenwerk wendet sich Kemfert scharf gegen diejenigen, die diesem Ziel im Weg stehen. "Energiewende-Blockierer" sind in ihren Augen alle Befürworter fossiler Energien, selbst solche, die nur noch eine Übergangsphase dafür tolerieren wollen: "Die großen Konzerne und die Kohlekraftlobby werden die Energiewende nicht mehr aufhalten können. Aber sie fügen uns großen Schaden zu. Denn sie blockieren mit ihren Attacken Kräfte, die für einen erfolgreichen Umbau an anderer Stelle unbedingt benötigt werden."
Kemfert neigt nicht dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Wie sie nebenher erzählt, dass sich neulich einer der fünf Wirtschaftsweisen bei ihr telefonisch über die Praxis der Energiewirtschaft kundig gemacht habe, so zitiert sie auch "den aus meiner Sicht bemerkenswerten Satz" ihres Laudators Klaus Töpfer anlässlich der Verleihung der Urania-Medaille, "dass insbesondere der Pragmatismus und die Unaufgeregtheit, mit der ich beharrlich für die Energiewende eintrete, wichtig seien". Aus diesem Grunde habe sie sich entschlossen, dieses Buch zu schreiben. Ihre "argumentative Auseinandersetzung mit den Mythen und Schlachtparolen der Gegenseite" gerät dabei polemisch und selbstbewusst.
Parolen wie "Die Energiewende ist bis 2022 nicht zu schaffen", "Die erneuerbaren Energien brauchen ein Tempolimit" oder "Es droht ein Kosten-Tsunami" dienen etwas holprig als Kapitelüberschriften. In den Texten dazu werden solche und ähnliche Sentenzen als interessengesteuerte Verleumdungstricks abgehandelt.
Nur "grüner Strom" aus Sonne und Wind sei zukunftsträchtig, weil nachhaltig, sagt Kempfert, und die verbreitete Behauptung, Ökostrom sei teuer und Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken billig, schlicht eine Unwahrheit von Staat und Unternehmern. Ihr Motto lautet: "Wer zehnmal lügt, dem glaubt man schon."
In Wahrheit seien an den steigenden Strompreisen der vergangenen Jahre vor allem höhere Gas- und Kohlepreise sowie fehlender Wettbewerb zwischen den Großkonzernen schuld und nicht etwa die Energiewende, wie die Stromproduzenten fälschlich behaupteten. Die Kostenanteile, die durch den Verkauf von technologisch neuem, umweltfreundlich produziertem Strom nicht gedeckt und auf den Strompreis umgelegt würden, erhöhten Verbraucherrechnungen nur in geringem Maße.
Bei fossilen Brennstoffen allerdings sei es die öffentliche Hand, die Kosten übernehme, die der Stromanbieter nicht selbst trage - so für die Entsorgung von Atommüll, die Endlagersuche oder die Steinkohle-Subventionierung: "Für den Ökostrom zahlt der Verbraucher, für Strom aus fossilen Energien fließen Steuergelder in die Taschen der Stromkonzerne." Würden alle Folgekosten auf den Strompreis umgelegt, müsste diese Umlage für Atom- und Kohlestrom doppelt so hoch ausfallen wie bei den erneuerbaren Energien, heißt es weiter.
Kemfert wird nicht müde, den Umbau der Stromversorgung zu grünen Energien als Wachstums- und Konjunkturmotor zu preisen. Die Energiewende mit dem Bau von Solaranlagen, Klimaschutztechnologien und anderen Komponenten stärke nicht nur große Unternehmen wie Siemens, sondern auch den unternehmerischen Mittelstand mit weltweitem Export.
Als Exportschlager könne im Übrigen auch das erfolgreiche staatliche Förderungssystem des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) gelten. Es sei degressiv angelegt und investiere nicht wie das mengenorientierte, von FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler zum Schutz der etablierten Stromanbieter favorisierte Quotenmodell ohne Blick auf die Zukunft in die aktuell günstigste Energieform.
Kemferts Fazit lautet: "Die Frage, ob wir eine grüne Energieversorgung haben werden, ist längst entschieden. Jetzt geht es darum, wie diese konkret aussehen wird und wie schnell wir uns von fossilen Energieträgern, insbesondere den so umweltschädlichen Kohlekraftwerken, verabschieden wollen."
Doch es fehle auf höchster Regierungsebene an einer verantwortlichen Instanz. Deshalb müsse ein Energieministerium her. Tatsächlich wollte CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen im Jahre 2012 ein solches in Nordrhein-Westfalen einrichten. Er berief Claudia Kemfert in sein Schattenkabinett. Es dürfte nicht die letzte Offerte dieser Art für die Missionarin grünen Stroms gewesen sein.
ULLA FÖLSING.
Claudia Kemfert: "Kampf um Strom." Mythen, Macht und Monopole.
Murmann Verlag, Hamburg 2013, 142 Seiten, 14,90 Euro
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