Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, SLO, SK ausgeliefert werden.
In Alexa Hennig von Langes "Kampfsterne" wehren sich Eltern gegen die Leere ihres Daseins - und machen sich gegenseitig fertig
Oft sind die Menschen, die es am besten mit einem meinen, auch diejenigen, denen man am meisten vorzuwerfen hat: Eltern machen Fehler, die ihnen ihre Kinder ein Leben lang vorhalten werden (oder mit ihren Therapeuten jahrelang durchkauen). Nur ihretwegen, wegen der Versagereltern, ist man ein anderer geworden, als der, der man hätte werden können: weniger frei, weniger fröhlich, weniger man selbst.
In Alexa Hennig von Langes neuem Roman "Kampfsterne" geht es um Eltern und Kinder. Es geht um die Blindheit der Eltern für ihre pädagogischen Fehler und um die Klarsicht, mit der ihre Kinder diese Schwächen erkennen. Und es geht unausgesprochener, subtiler, um die Gnadenlosigkeit, mit der Kinder den eigenen Eltern gegenübertreten, um einen Idealismus, der völlig ungebrochen ist, weil er mit der Realität des Elternseins noch nie konfrontiert wurde.
Ulla, eine Architektin, ist mit Rainer, ebenfalls Architekt, verheiratet. Die beiden haben zwei Töchter, Constanze, genannt Cotsch, einen Teenager, und Lexchen, ein achtjähriges Mädchen. Ulla, die Mutter, eine eigentlich sehr schöne Frau, hüllt sich täglich in eine Art von westlicher Burka aus Männerkleidung (fashionmäßig also ziemlich avantgardistisch) und versteckt ihren Körper, weil ihr Mann das gerne so möchte. Sie, die früher Feministin war, ist nun eine Art Hausmütterchen, das sich gegen ihren gewalttätigen Ehemann nicht zur Wehr setzt.
Cotsch, die ebenso hitzige wie kluge Teenagertochter, ist es, die die Lage ihrer Mutter reflektiert und betrauert, anfeindet, verachtet. Nichts würde sie sich mehr für die Mutter wünschen, als dass sie sich zur Wehr setzt, die eigene Stärke entdeckt, endlich einmal Gebrauch von der ganzen feministischen Literatur macht, die ihre Bücherregale füllt. Sie will eine Mutter haben, die als Vorbild für ihre heranwachsenden Töchter taugen würde. Die Mutter ist für Cotsch jedoch das Gegenteil, eine Scheinheilige, findet Cotsch, eine erbärmliche Frau.
Und auch in der zweiten Familie, um die es im Roman geht, reflektiert der Sohn im Teenageralter, Johannes, die Erziehungsmethoden seiner Eltern. "Das Gläserne Kind", so nennt Johannes für sich das pädagogische Prinzip, dem er unterworfen ist: "Nichts soll untherapiert bleiben. Alles muss analysiert und ergründet werden." Johannes wird zum IQ-Test geschickt, seine Talente und Begabungen werden quantifiziert und genau vermessen. Das erklärte Ziel der Eltern, beziehungsweise vor allem der Mutter, ist es daraufhin, den hochbegabten Sohn mit Hilfe von Cellounterricht, feinmotorischen Übungen und dem Beschallen mit klassischer Musik sowie vollständiger Kontrolle seines Tagesablaufs in nichts weniger als ein Genie zu verwandeln. Genauso ergeht es der jüngeren Schwester von Johannes, Klara, die schon eigene Sonaten komponiert.
Die Siedlung, die als Setting des Romans dient, erinnert an das idyllische Städtchen Sunnydale aus der Fernsehserie "Buffy", das auf einen Höllenschlund gebaut wurde, dem des Nachts Monster und Vampire entschlüpfen, die aus der heilen Welt des fröhlich-unschuldigen Familiendaseins einen Albtraum zu machen drohen. Auch die Siedlung ist ein eigenartig dystopischer Ort, hinter dessen bürgerlicher Fassade sich Langeweile, Neid, am Ende sogar Verbrechen verbergen. Eine Welt von Akademikerfamilien in gleich großen Häusern und Gärten. Die Frauen sehen - bis auf Ulla - auch alle gleich aus: Man trägt Bluse, Rock, Perlenkette, gibt sich kultiviert, konsumiert die kulturellen Produkte der Zeit, hat die Platte vom Köln Concert im Regal stehen. Es sind die 80er Jahre, die Zeit des satten Wohlstands in Deutschland. Ein Wohlstand, in dem das libertäre Denken der 60er erstickt zu sein scheint. Ulla und Rainer, Rita und Georg - sie waren in den 60ern jung und träumten, gingen auf Demos, kämpften für Sozialismus und Feminismus. Doch in den 80ern scheint ihr Leben in einer von Kunst und Kultur versüßten Tristesse erstarrt zu sein.
Was das Leben hier noch lebenswert macht, ist der stete Vergleich mit den anderen, die Schadenfreude über das mitverursachte Unglück der anderen. Es entwickelt sich eine Dynamik des Bösen, die zumindest Unterhaltungswert hat und die Unerträglichkeit des bourgeoisen Ennui lindert: Man kämpft gegen die Leere des Daseins an, indem man sich gegenseitig fertigmacht und solipsistisch an einer subjektiven Wirklichkeit festhält, die wenig mit der Realität zu tun hat. Es ist dieser einer Halluzination gleichende Widerspruch zwischen Heile-Welt-Augenschein und gefühltem Klima - nämlich das von steter Bedrohung und Feindseligkeit -, der die Romanfiguren, fast schon schizophren anmutend, immer wieder zwischen Resignation und Raserei hin und her schwanken lässt.
Es gibt schreckliche Szenen in dem Buch, wie die, in der Ulla versucht, Fassade zu wahren, nachdem ihr Mann sie übel verprügelt hat und ihr das Blut aus der Nase läuft: Kommt, sagt sie ihren Töchtern, jetzt essen wir schön unseren Apfelkuchen! Dann sind die Dämonen in Sunnydale. Anders brutal ist auch, dass Rita, die bewunderte, vermeintlich beste Freundin, Ullas Hilflosigkeit verleugnet, abtut, ihr aus Missgunst nicht hilft und ihr sogar schadet. Beide Frauen wollen in der anderen nur sehen, was sie selbst nicht zu haben vermeinen, und bleiben dadurch letztlich im Grunde allein.
Echte Nähe scheint nur in der jüngeren Generation möglich zu sein, zwischen den Jugendlichen Cotsch und Johannes etwa, deren Freundschaft mit dem Geschenk einer selbst aufgenommenen Kassette beginnt, auf der "Misplaced Childhood", "verkorkste Kindheit" steht. Johannes gegenüber, der sich doch als souveräner und cooler herausstellt, als sein nerdiges Brillengestell vermuten lässt, kann Cotsch ihre Killerpose aufgeben und sich verletzlich zeigen. Ob es den beiden gelingen kann, es besser zu machen als ihre eigenen Eltern, bleibt offen, denn auch ihre Eltern waren mal jung, verliebt und visionär.
So ist "Kampfsterne" ein dicht erzählter Roman, der in wechselnden inneren Monologen von der Stimmung innerhalb des deutschen Bürgertums der 80er Jahre erzählt, von den gescheiterten Träumen einer Generation und den Ausgangsbedingungen, die die nachfolgende Generation vorfindet und die sie prägen: Da sind die Eltern, die sich genau überlegt haben, wie das gute, ja das bestmögliche Leben aussieht und zu führen ist, und es doch nicht schaffen, ernsthaft Tabula rasa zu machen. Und da sind die Kinder, die nicht wie ihre Eltern sein wollen, dafür dann aber andere Fehler machen, die traumatische Folgen haben.
Menschen sind letztlich nicht so anders als Sterne, die nur scheinbar autark, in Wahrheit aber Teil eines komplexen Systems sind, das ihnen zu leuchten erlaubt. "Kampfsterne" ist hier der Inbegriff für jene Jugendliche, die einen Lebensentwurf haben, den sie umsetzen wollen. Nur gibt man den Kampf zwanzig Jahre später leicht auf und ist dann nur noch ein verglühendes Gestirn, das alleine, Lichtjahre von seinesgleichen entfernt, am Himmel steht und kaltes Licht in die Ferne wirft.
SHOU AZIZ
Alexa Hennig von Lange: "Kampfsterne". Roman. Dumont, 224 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH