Der Geschichte nachspüren
2010 reist der Autor vom Mekong-Delta bis an die Grenze nach China.
Er führt uns ein in die Geschichte Indochinas, die den meisten von uns unbekannt sein wird bis auf Schlagworte wie Angkor Vat, Dien Bien Phu, Vietnamkrieg, Coppolas Apokalypse Now, Pol Pot und Killing
Fields.
Durch minimalistische Biographien werden wir Zeuge von politischen und kulturellen…mehrDer Geschichte nachspüren
2010 reist der Autor vom Mekong-Delta bis an die Grenze nach China.
Er führt uns ein in die Geschichte Indochinas, die den meisten von uns unbekannt sein wird bis auf Schlagworte wie Angkor Vat, Dien Bien Phu, Vietnamkrieg, Coppolas Apokalypse Now, Pol Pot und Killing Fields.
Durch minimalistische Biographien werden wir Zeuge von politischen und kulturellen Umwälzungen. Lebensepisoden von Henri Mouhot, der 1860 Angkor Vat (wieder) entdeckte: ein Narrativ der Steine aus dem 9. Jahrhundert. Angkor Vat soll im 12. Jahrhundert eine Million Einwohner gehabt haben. Prinz Sihanouk, der aus Phnom Penh ein fernöstliches Paris machen wollte und Pol Pot, der in Paris studiert und das Leben des La douce France genossen hatte. Ho Chi Minh, ein Mann mit der unbeugsamen Geschmeidigkeit eines Bambus. Aber auch von Unbekannten wie Vann Nath, der in unermüdlicher Serienarbeit Portraits von Pol Pot erstellen musste. Francois Ponchaud, ein katholischer Priester, der die Khmer-Sprache erlernt und die Codes und Chiffren der Roten Khmer entziffert hatte. Sein anprangerndes, 1977 veröffentlichtes Buch „Kambodscha im Jahre Null“ fand im Westen nirgendwo Gehör. Kong Bunchhoeun, der über 120 Bücher geschrieben, Filme gemacht, gemalt, gedichtet und komponiert hat.
Und immer das verbindende Hauptthema. Die genozidale Herrschaft der Roten Khmer allgegenwärtig. Mit ihrer ideologischen Vermischung von Rousseau, Marx und buddhistischem Denken. In den vier Jahren eines steinzeitlichen Kommunismus wurden fast 2 Millionen Menschen umgebracht, gefoltert, vernichtet. Die Tötungsmaschinerie der Menschheit ist unersättlich: Gulags, KZs, Ruanda. Massengräber der Grausamkeit.
Aber Deville informiert auch über die Vorgeschichte dieser Massaker. Der weiße Mann mit seinem Bewusstsein der Überlegenheit über alle anderen Kulturen und Völker. Vom Opiumkrieg mit China, in dem die Truppen den Pekinger Sommerpalast plünderten. Taliban und IS sind auch da nur Nachahmer.
Die Prozesse gegen Pol Pot und einen Gefängniswärter: ein unscheinbarer, biederer Beamter, der seine Pflicht erfüllte. Da tauchen Assoziationen auf zur „Banalität des Bösen“.
Eine kaleidoskopische Lektüre, bunt und farbig, aber eben nicht nur schön. So erliest man sich in kurzen Kapiteln, Zeiten und Orte wechselnd, die Ahnung eines Gesamtbilds einer komplexen kulturellen und politischen Andersartigkeit. Dieses Buch vereint Reportage, Biographie, Prosa, Reisebericht und auch Autobiographisches. Devilles Neugier auf das Heute und Gestern, die Verknüpfungen von Biographien, von Tätern und Opfern. Von Kolonisierten und Kolonisatoren. Für Deville sind Reisen und Schreiben unabdingbar miteinander verwoben, um so Knoten für Knoten des Heute und des Gestern knüpfen zu können. Für ihn gilt nicht das Zitat von Pascal’s Zimmer.
Die Geschichte vom Flügelschlag des Schmetterlings, der viele Tausend Kilometer entfernt und Jahrzehnte später eine Katastrophe auslöst, ist das perfekte Motto für diesen geschichtsträchtigen Roman.