Der Aufstieg und Fall des jüdischen Unternehmers Julius Barmat in der Zwischenkriegszeit steht exemplarisch für die andauernden Debatten über Kapitalismus, Moral und Demokratie. Das Buch regt dazu an, den politischen Radikalismus neu zu überdenken und sich mit der heutigen Praxis des Kapitalismus und der Kapitalismuskritik auseinanderzusetzen. Wer war dieser Julius Barmat, der am Silvestertag 1924 im noblen Schwanenwerder bei Berlin verhaftet wurde? Ein begnadeter Unternehmer, der während der englischen Blockade maßgeblich zur Lebensmittelversorgung in Deutschland beitrug, dessen Industriekonzern aber im Zuge der Währungsstabilisierung scheiterte? Oder ein betrügerischer, korrupter, "ostjüdischer" Kriegs- und Inflationsgewinnler? War er ein Agent des Kaiserreichs oder ein opportunistischer Sozialdemokrat und Förderer der Zweiten Internationale? Die Verhaftung dieses Mannes löste einen der brisantesten deutschen Finanzskandale aus, der nicht nur die Justizbehörden, die Medien und Radikale beschäftigte, sondern auch Literaten und Theaterregisseure.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.06.2018Der sozialistische Kapitalist
Martin H. Geyer über das Leben des Julius Barmat, der der Weimarer Republik einen Skandal bescherte
Den Münchner Historiker Martin H. Geyer interessiert, was aus der Mode gekommen ist – die politisch-moralische und sozial-kulturelle Rückseite des Kapitalismus. Einst verstand man darunter erotisch aufgepeppte Sittengeschichten über Unternehmer-Milieus, Playboys und Morde im Rotlichtmilieu. Den neuesten Pitaval beabsichtige Geyer jedoch nicht vorzulegen. „Pitaval“ verweist auf den französischen Juristen und Autor François Gayot de Pitaval (1673-1743), von dem zwischen 1734 und 1741 eine Sammlung von Verbrechensgeschichten in 18 Bänden erschienen ist. Für eine gekürzte deutsche Ausgabe von 1792/95 schrieb Schiller das Vorwort. Eine deutsche Version unter dem Titel „Der neue Pitaval. Sammlung der internationalen Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit“ übertraf das Original mit 60 Bänden. Sie erschien zwischen 1842 und 1890 bei Brockhaus in Leipzig.
Damit will Geyer nicht konkurrieren, aber doch den Zusammenhang von Kapitalismus, Verbrechen und Korruption in der Weimarer Republik darstellen. Er beschränkt sich in seinem mehr als 500 Seiten starken Buch, das akribisch alle Details ausleuchtet, auf eine einzige Person: Julius Barmat, dessen Name einst in allen Zeitungen zum Synonym für das politische System der Weimarer Republik stand („Barmat-Republik“) und dessen Repräsentanten von recht wie von links – manchmal zu Recht, meistens zu Unrecht – als „Barmatiden“ angeschwärzt wurden, obwohl Korruption, entgegen der These Max Webers, immer und überall zum Inventar des vermeintlich „rationalen Wirtschaftens“ im Kapitalismus gehörte.
Julius Barmat wurde am 18. Dezember 1890 im jüdischen Siedlungsrayon des Zarenreichs in der Nähe von Kiew geboren. Als Schüler schon soll er einer sozialistischen Organisation angehört haben. Zeitlebens achtete er auf gute Kontakte zu Sozialisten und Sozialdemokraten, vor allem solchen, die Regierungsverantwortung trugen oder Regierenden nahestanden. 1907 kam er als Bankangestellter nach Rotterdam, wo er drei Jahre später die Tochter eines Bankiers heiratete. Nach der Revolution von 1917 wurde er als ehemaliger Untertan des Zaren staatenlos und brachte sich und seine Familie als Übersetzer durch. Schon 1908 begriff er den Handel als Zugangsportal zu vielerlei, ja allem und gründete eine eigene Handelsgesellschaft für den Export von Tulpen, Klavieren und anderem nach Russland. 1912 stieg er in den Immobilienhandel ein. Bei Kriegsausbruch betrug sein Vermögen bereits stattliche 900 000 Gulden.
Im Krieg entdeckte er den lukrativen Handel mit Lebensmitteln für die Mittelmächte und musste – um britische Sanktionen zu vermeiden – seine Firma umtaufen. Nach dem Krieg verlegte er sich auf den Handel mit allem Möglichen sowie auf Kredit- und Devisengeschäfte und andere korruptionsanfällige Warenschiebereien. Barmat behielt vielfältige Kontakte – zum deutschen Nachrichtendienst, zu den führenden niederländischen Sozialdemokraten, zu den Bolschewiki, deren Friedensoffensive er begrüßte, zu den deutschen Sozialdemokraten Hugo Haase und Luise Kautsky, die bei Kriegsende in Amsterdam über den Frieden debattierten.
Obwohl Staatenloser, erlangte er 1919 ein zeitlich beschränktes Visum für Deutschland, nachdem er über den Privatsekretär Kontakt zum Reichspräsidenten Friedrich Ebert erhalten und auch den sozialdemokratischen Reichskanzler Gustav Bauer kennengelernt hatte. Barmat ließ seine sechs Geschwister nachkommen, die ihn geschäftlich unterstützten. Im und nach dem Krieg flohen viele Juden aus dem durch den Krieg verwüsteten und verarmten Osten nach Berlin, wo man parteiübergreifend von einer „Ostjudenplage“ sprach. Barmat und seine niederländische Frau erhielten 1922 in Berlin eine Aufenthaltsgenehmigung, ein Jahr später eine unbefristete Niederlassungsbewilligung.
In der Zeit der Hyperinflation kaufte sich Barmat mit geliehenem Geld ein großes Konglomerat an Firmen und Banken zusammen. Die durch die Novemberrevolution an die Macht gelangte SPD und mit ihr die anderen demokratischen Parteien waren nicht nur unbeliebt, sondern gerieten in der Zeit von Hunger und Not während der Inflation in den Verdacht von Korruption, Schiebereien und Günstlingswirtschaft.
Barmat wurde zur Symbolfigur der Kriegs-, Inflations- und Spekulationsgewinnler vor allem, aber nicht nur, bei völkischen und deutschnationalen Antisemiten, nachdem bekannt geworden war, dass ihm die Preußische Staatsbank 34 Millionen Reichsmark geliehen hatte für seine Geschäfte, die oft jenseits der Grenzen „zwischen Usancen und Schlimmerem“ (Thomas Mann) lagen. Im Dezember 1924 kündigte die Staatsbank die Beziehungen zu Barmat, an Silvester wurde er verhaftet. Sein Konzern war pleite. An Barmat und seinen Geschäften kristallisierten sich nun Kapitalismus- und Demokratiekritik von links und rechts, gemischt mit Antisemitismus. 1925 kümmerten sich gleich drei parlamentarische Untersuchungsausschüsse (im Reich, in Preußen und in Sachsen) um den jüdischen Geschäftsmann mit guten Kontakten zur SPD. Barmat geriet in die Schlagzeilen, nicht zuletzt durch die perfide Pressearbeit der Staatsanwaltschaft und die demagogische Kampagne der Rechtsparteien, die nach Eberts plötzlichem Tod an die Macht drängten – gegen die „sozialdemokratische Judenrepublik“ und die „Ostjuden“. Verdächtigungen und Diffamierungen verbanden sich mit Verschwörungstheorien und Korruptionsvorwürfen auch gegen die Justiz. Das brachte die Republik an den Rand des Abgrunds.
Im Prozess gegen Barmat blieb vieles ungeklärt. Er kassierte elf Monate Haft und eine Geldstrafe, die er bis 1933 in Raten bezahlen sollte. Als er am 6. Januar 1938 in U-Haft in Belgien starb, war die Erinnerung an ihn längst bis zur Unkenntlichkeit entstellt und die Geschichte seines Scheiterns im und am Kapitalismus von antisemitischen Legenden und Gerüchten überwuchert. In seiner Detailversessenheit kein bequemes, aber buchstäblich reichhaltiges Buch.
RUDOLF WALTHER
Völkische Kreise diffamierten
den Händler als Symbol der
verhassten „Judenrepublik“
Der Fall mobilisiert Kapitalismus-
und Demokratiekritiker
von links und rechts
Inflationsgewinnler mit guten Kontakten: Julius Barmat mit Frau und Sohn 1928, Jahre nach dem aufsehenerregenden Prozess.
Foto: Scherl/SZ Photo
Martin H. Geyer:
Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit. Oder: Wer war Julius Barmat?. Hamburger Edition, Hamburg 2018. 590 Seiten, 40 Euro.
E-Book: 31,99 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Martin H. Geyer über das Leben des Julius Barmat, der der Weimarer Republik einen Skandal bescherte
Den Münchner Historiker Martin H. Geyer interessiert, was aus der Mode gekommen ist – die politisch-moralische und sozial-kulturelle Rückseite des Kapitalismus. Einst verstand man darunter erotisch aufgepeppte Sittengeschichten über Unternehmer-Milieus, Playboys und Morde im Rotlichtmilieu. Den neuesten Pitaval beabsichtige Geyer jedoch nicht vorzulegen. „Pitaval“ verweist auf den französischen Juristen und Autor François Gayot de Pitaval (1673-1743), von dem zwischen 1734 und 1741 eine Sammlung von Verbrechensgeschichten in 18 Bänden erschienen ist. Für eine gekürzte deutsche Ausgabe von 1792/95 schrieb Schiller das Vorwort. Eine deutsche Version unter dem Titel „Der neue Pitaval. Sammlung der internationalen Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit“ übertraf das Original mit 60 Bänden. Sie erschien zwischen 1842 und 1890 bei Brockhaus in Leipzig.
Damit will Geyer nicht konkurrieren, aber doch den Zusammenhang von Kapitalismus, Verbrechen und Korruption in der Weimarer Republik darstellen. Er beschränkt sich in seinem mehr als 500 Seiten starken Buch, das akribisch alle Details ausleuchtet, auf eine einzige Person: Julius Barmat, dessen Name einst in allen Zeitungen zum Synonym für das politische System der Weimarer Republik stand („Barmat-Republik“) und dessen Repräsentanten von recht wie von links – manchmal zu Recht, meistens zu Unrecht – als „Barmatiden“ angeschwärzt wurden, obwohl Korruption, entgegen der These Max Webers, immer und überall zum Inventar des vermeintlich „rationalen Wirtschaftens“ im Kapitalismus gehörte.
Julius Barmat wurde am 18. Dezember 1890 im jüdischen Siedlungsrayon des Zarenreichs in der Nähe von Kiew geboren. Als Schüler schon soll er einer sozialistischen Organisation angehört haben. Zeitlebens achtete er auf gute Kontakte zu Sozialisten und Sozialdemokraten, vor allem solchen, die Regierungsverantwortung trugen oder Regierenden nahestanden. 1907 kam er als Bankangestellter nach Rotterdam, wo er drei Jahre später die Tochter eines Bankiers heiratete. Nach der Revolution von 1917 wurde er als ehemaliger Untertan des Zaren staatenlos und brachte sich und seine Familie als Übersetzer durch. Schon 1908 begriff er den Handel als Zugangsportal zu vielerlei, ja allem und gründete eine eigene Handelsgesellschaft für den Export von Tulpen, Klavieren und anderem nach Russland. 1912 stieg er in den Immobilienhandel ein. Bei Kriegsausbruch betrug sein Vermögen bereits stattliche 900 000 Gulden.
Im Krieg entdeckte er den lukrativen Handel mit Lebensmitteln für die Mittelmächte und musste – um britische Sanktionen zu vermeiden – seine Firma umtaufen. Nach dem Krieg verlegte er sich auf den Handel mit allem Möglichen sowie auf Kredit- und Devisengeschäfte und andere korruptionsanfällige Warenschiebereien. Barmat behielt vielfältige Kontakte – zum deutschen Nachrichtendienst, zu den führenden niederländischen Sozialdemokraten, zu den Bolschewiki, deren Friedensoffensive er begrüßte, zu den deutschen Sozialdemokraten Hugo Haase und Luise Kautsky, die bei Kriegsende in Amsterdam über den Frieden debattierten.
Obwohl Staatenloser, erlangte er 1919 ein zeitlich beschränktes Visum für Deutschland, nachdem er über den Privatsekretär Kontakt zum Reichspräsidenten Friedrich Ebert erhalten und auch den sozialdemokratischen Reichskanzler Gustav Bauer kennengelernt hatte. Barmat ließ seine sechs Geschwister nachkommen, die ihn geschäftlich unterstützten. Im und nach dem Krieg flohen viele Juden aus dem durch den Krieg verwüsteten und verarmten Osten nach Berlin, wo man parteiübergreifend von einer „Ostjudenplage“ sprach. Barmat und seine niederländische Frau erhielten 1922 in Berlin eine Aufenthaltsgenehmigung, ein Jahr später eine unbefristete Niederlassungsbewilligung.
In der Zeit der Hyperinflation kaufte sich Barmat mit geliehenem Geld ein großes Konglomerat an Firmen und Banken zusammen. Die durch die Novemberrevolution an die Macht gelangte SPD und mit ihr die anderen demokratischen Parteien waren nicht nur unbeliebt, sondern gerieten in der Zeit von Hunger und Not während der Inflation in den Verdacht von Korruption, Schiebereien und Günstlingswirtschaft.
Barmat wurde zur Symbolfigur der Kriegs-, Inflations- und Spekulationsgewinnler vor allem, aber nicht nur, bei völkischen und deutschnationalen Antisemiten, nachdem bekannt geworden war, dass ihm die Preußische Staatsbank 34 Millionen Reichsmark geliehen hatte für seine Geschäfte, die oft jenseits der Grenzen „zwischen Usancen und Schlimmerem“ (Thomas Mann) lagen. Im Dezember 1924 kündigte die Staatsbank die Beziehungen zu Barmat, an Silvester wurde er verhaftet. Sein Konzern war pleite. An Barmat und seinen Geschäften kristallisierten sich nun Kapitalismus- und Demokratiekritik von links und rechts, gemischt mit Antisemitismus. 1925 kümmerten sich gleich drei parlamentarische Untersuchungsausschüsse (im Reich, in Preußen und in Sachsen) um den jüdischen Geschäftsmann mit guten Kontakten zur SPD. Barmat geriet in die Schlagzeilen, nicht zuletzt durch die perfide Pressearbeit der Staatsanwaltschaft und die demagogische Kampagne der Rechtsparteien, die nach Eberts plötzlichem Tod an die Macht drängten – gegen die „sozialdemokratische Judenrepublik“ und die „Ostjuden“. Verdächtigungen und Diffamierungen verbanden sich mit Verschwörungstheorien und Korruptionsvorwürfen auch gegen die Justiz. Das brachte die Republik an den Rand des Abgrunds.
Im Prozess gegen Barmat blieb vieles ungeklärt. Er kassierte elf Monate Haft und eine Geldstrafe, die er bis 1933 in Raten bezahlen sollte. Als er am 6. Januar 1938 in U-Haft in Belgien starb, war die Erinnerung an ihn längst bis zur Unkenntlichkeit entstellt und die Geschichte seines Scheiterns im und am Kapitalismus von antisemitischen Legenden und Gerüchten überwuchert. In seiner Detailversessenheit kein bequemes, aber buchstäblich reichhaltiges Buch.
RUDOLF WALTHER
Völkische Kreise diffamierten
den Händler als Symbol der
verhassten „Judenrepublik“
Der Fall mobilisiert Kapitalismus-
und Demokratiekritiker
von links und rechts
Inflationsgewinnler mit guten Kontakten: Julius Barmat mit Frau und Sohn 1928, Jahre nach dem aufsehenerregenden Prozess.
Foto: Scherl/SZ Photo
Martin H. Geyer:
Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit. Oder: Wer war Julius Barmat?. Hamburger Edition, Hamburg 2018. 590 Seiten, 40 Euro.
E-Book: 31,99 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2018So skandalisiert man kapitalistisches Wirtschaften
Der Inbegriff des Spekulanten: Martin Geyer seziert den Fall Barmat als Menetekel der Weimarer Republik
Wer war der heute weitgehend unbekannte Julius Barmat? Diese Titelfrage seines Buches kann auch dessen Autor Martin Geyer nicht beantworten; dazu fehlt ein aussagekräftiger Nachlass. Auch sind weitere Zeugnisse, die ein Bild dieser schillernden Person zeichnen könnten, Mangelware. Zwar war sie Gegenstand umfangreicher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, gerichtlicher Untersuchungen und schließlich einer hierauf bezogenen Rechtsprechung; doch wird der Mensch Julius Barmat, geboren 1887 in der Ukraine und gestorben 1938 in Brüssel, hierin kaum erkenntlich.
Was freilich bei Geyer umso klarer wird, ist seine Rolle als Projektionsfläche einer vielfältigen Kritik, die in der Weimarer Zeit in dem "jüdischen Spekulanten" Barmat den Inbegriff des von ihr abgelehnten "Systems" sah. Julius Barmat hatte als Lebensmittelhändler noch während des Krieges gute Geschäfte mit Deutschland gemacht und diese nach dem Ende des Krieges fortgesetzt. Zu den neuen Autoritäten der Republik kam er, der ohnehin mit der politischen Linken sympathisiert hatte, schnell in Kontakt; ein Kontakt, den er aber nicht nur aus politischer Neigung, sondern durchaus mit geschäftlichem Kalkül pflegte.
Unter den Bedingungen der Inflation gelang es Barmat mit Hilfe seiner Brüder, nach und nach ein vornehmlich kreditfinanziertes, verschachteltes Firmenimperium aufzubauen. Wobei dem stets kreditbedürftigen Spekulanten die Nähe zu verantwortlichen Politikern aus SPD und Zentrum überaus nützlich war, erhielt er doch ohne große Prüfung wiederholt umfangreiche Kredite etwa der Preußischen Staatsbank (Seehandlung), die den in der Inflation zusammengezimmerten, fragilen Unternehmenskomplex letztlich aber auch nicht retteten. 1925 brach er zusammen, und die Staatsbank saß auf umfangreichen faulen Krediten.
Barmat wurde in der Weimarer Öffentlichkeit daraufhin zum Inbegriff des Luftgeschäfte treibenden Spekulanten. Sein Fall war ein gefundenes Fressen für die Kritik an der Republik, und zwar gleichermaßen von rechts und links. Denn Barmat war Parteigänger der "Systemparteien"; Kritik an ihm ließ sich spielend und infolge des Inflationstraumas überaus massenwirksam als Abrechnung mit den korrupten politischen Eliten der Republik inszenieren. Eine Inszenierung, für die sich Hugo Stinnes oder Friedrich Flick weniger anboten, die vor allem der linksradikalen Kritik Angriffsfläche boten, nicht aber dem rechten und rechtsradikalen Lager, das den "jüdischen Spekulanten" Barmat, der in seinem Haus auf Schwanenwerder vermeintlich die Spitze der Republik zu Gast gehabt hatte und dort korrumpierte, begierig aufgriff.
Doch war es schwer, Barmat handfeste Vergehen wirklich nachzuweisen, denn spekulativer Unternehmensaufbau war nicht strafbar, und dass Schmiergelder geflossen waren, um an leichte Kredite zu kommen oder sich wichtige Politiker gefügig zu machen, musste erst einmal nachgewiesen werden. Der medialen Inszenierung einer korrupten Republik durch die KPD und ihre rechtsradikalen Pendants entsprach daher das Ergebnis des Barmat-Prozesses keineswegs, der mit einer vergleichsweise geringen Verurteilung endete.
Zudem konnte in den "guten Jahren" der Republik nach 1925 auch der öffentliche Skandal eingedämmt werden, nicht zuletzt, weil es der SPD und ihren Organen gelang, den Spieß umzudrehen, war doch Julius Barmat keineswegs allein das "schwarze Schaf" jener Zeit, sondern Spekulationsgeschäfte und Schieberei während des Krieges und der Inflation bis weit hinein in die "gute Gesellschaft" an der Tagesordnung gewesen. Vorwürfe gegen Julius Barmat ließen sich mithin leicht auch gegen seine Kritiker wenden.
Dessen Karriere in Deutschland war freilich beendet; er setzte sie in den Niederlanden und dann in Belgien fort, um sogleich wieder in den Geruch der Spekulation und der Korruption zu geraten. Während die Niederlande Barmat frühzeitig loszuwerden trachteten, konnte er in Belgien eine recht enge Verbindung zur Spitze der Nationalbank knüpfen, die ihm auch im Fall seiner Geschäfte mit der Noorderbank (Boerenbank) half, in deren Folge zahlreiche Kleinsparer und Bauern ihr Geld verloren.
Insbesondere seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise kochte die Kritik an vermeintlichen derartigen Luftgeschäften wieder hoch, wobei der antisemitische Affekt erneut gezielt in Stellung gebracht wurde, um den vermeintlichen Kontrast einer "gesunden" Wirtschaft und eines "kranken" Spekulantentums politisch zugunsten der überall auftauchenden faschistischen Bewegungen zu nutzen. In Deutschland war das erfolgreich; in Belgien und Frankreich zwar auch massenwirksam, doch vor der deutschen Besatzung der Länder nicht maßgeblich.
Julius Barmat, wie auch andere "jüdische" Spekulanten, gerieten so erneut in den Fokus einer politischen Auseinandersetzung, die ihre wirklichen oder vermeintlichen Handlungen skrupellos ausnutzte. Die sich hier kristallisierenden semantischen Ausgrenzungen, das zeigt Martin Geyer nachdrücklich, konstituierten dann schließlich zumindest einen Strang hin zur physischen Vernichtung der europäischen Juden, die in derartiger Ausgrenzung eine Art von "Begründung" suchte und fand.
Geyer geht es aber nicht vorrangig um die Vorgeschichte des Holocaust, sondern um einen Aspekt einer Kulturgeschichte des Kapitalismus, die für ihn bislang offenbar zu kurz gekommen ist. In Anlehnung an Webers Unterscheidung von "politischem" und "rationalem" Kapitalismus ordnet er Barmat dem Ersten zu und sieht in ihm eine Art Grenzgänger, der es weniger auf alltägliche Geschäfte als auf das Ausnutzen riskanter Chancen abgesehen habe. Das scheint auf den ersten Blick plausibel, ist aber letztlich eine in der Sache wenig begründbare Unterscheidung, die ihrerseits als Anknüpfungspunkt für entsprechende Vorbehalte dienen kann und den Zeitgenossen bei der Charakterisierung der vermeintlichen "jüdischen Geschäftstüchtigkeit" auch diente.
Spekulatives Handeln ist nicht die Ausnahme, sondern die Basis jeder kapitalistischen Ökonomie. Ist es erfolgreich, wird es bejubelt; scheitert es, wird dahinter ein moralisches Fehlverhalten vermutet, für das bestimmte Personengruppen anfälliger seien als andere; und es wird geraten, solches Verhalten doch bitte zu lassen.
Das Scheitern Barmats, das unter anderen Umständen wenig Aufsehen erregt hätte, konnte so leicht skandalisiert werden, und das insbesondere in der von Krieg, Inflation und Vermögensverlust traumatisierten deutschen Welt. Über Kapitalismus lernt man bei Martin Geyer daher weniger als über die Möglichkeiten zu seiner Skandalisierung, die unter für sie günstigen Bedingungen verheerende Folgen haben kann.
WERNER PLUMPE
Martin H. Geyer:
"Kapitalismus und politische Moral in der
Zwischenkriegszeit". Oder: Wer war Julius Barmat?
Hamburger Edition im HIS Verlag, Hamburg 2018.
592 S., geb., 40,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Inbegriff des Spekulanten: Martin Geyer seziert den Fall Barmat als Menetekel der Weimarer Republik
Wer war der heute weitgehend unbekannte Julius Barmat? Diese Titelfrage seines Buches kann auch dessen Autor Martin Geyer nicht beantworten; dazu fehlt ein aussagekräftiger Nachlass. Auch sind weitere Zeugnisse, die ein Bild dieser schillernden Person zeichnen könnten, Mangelware. Zwar war sie Gegenstand umfangreicher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, gerichtlicher Untersuchungen und schließlich einer hierauf bezogenen Rechtsprechung; doch wird der Mensch Julius Barmat, geboren 1887 in der Ukraine und gestorben 1938 in Brüssel, hierin kaum erkenntlich.
Was freilich bei Geyer umso klarer wird, ist seine Rolle als Projektionsfläche einer vielfältigen Kritik, die in der Weimarer Zeit in dem "jüdischen Spekulanten" Barmat den Inbegriff des von ihr abgelehnten "Systems" sah. Julius Barmat hatte als Lebensmittelhändler noch während des Krieges gute Geschäfte mit Deutschland gemacht und diese nach dem Ende des Krieges fortgesetzt. Zu den neuen Autoritäten der Republik kam er, der ohnehin mit der politischen Linken sympathisiert hatte, schnell in Kontakt; ein Kontakt, den er aber nicht nur aus politischer Neigung, sondern durchaus mit geschäftlichem Kalkül pflegte.
Unter den Bedingungen der Inflation gelang es Barmat mit Hilfe seiner Brüder, nach und nach ein vornehmlich kreditfinanziertes, verschachteltes Firmenimperium aufzubauen. Wobei dem stets kreditbedürftigen Spekulanten die Nähe zu verantwortlichen Politikern aus SPD und Zentrum überaus nützlich war, erhielt er doch ohne große Prüfung wiederholt umfangreiche Kredite etwa der Preußischen Staatsbank (Seehandlung), die den in der Inflation zusammengezimmerten, fragilen Unternehmenskomplex letztlich aber auch nicht retteten. 1925 brach er zusammen, und die Staatsbank saß auf umfangreichen faulen Krediten.
Barmat wurde in der Weimarer Öffentlichkeit daraufhin zum Inbegriff des Luftgeschäfte treibenden Spekulanten. Sein Fall war ein gefundenes Fressen für die Kritik an der Republik, und zwar gleichermaßen von rechts und links. Denn Barmat war Parteigänger der "Systemparteien"; Kritik an ihm ließ sich spielend und infolge des Inflationstraumas überaus massenwirksam als Abrechnung mit den korrupten politischen Eliten der Republik inszenieren. Eine Inszenierung, für die sich Hugo Stinnes oder Friedrich Flick weniger anboten, die vor allem der linksradikalen Kritik Angriffsfläche boten, nicht aber dem rechten und rechtsradikalen Lager, das den "jüdischen Spekulanten" Barmat, der in seinem Haus auf Schwanenwerder vermeintlich die Spitze der Republik zu Gast gehabt hatte und dort korrumpierte, begierig aufgriff.
Doch war es schwer, Barmat handfeste Vergehen wirklich nachzuweisen, denn spekulativer Unternehmensaufbau war nicht strafbar, und dass Schmiergelder geflossen waren, um an leichte Kredite zu kommen oder sich wichtige Politiker gefügig zu machen, musste erst einmal nachgewiesen werden. Der medialen Inszenierung einer korrupten Republik durch die KPD und ihre rechtsradikalen Pendants entsprach daher das Ergebnis des Barmat-Prozesses keineswegs, der mit einer vergleichsweise geringen Verurteilung endete.
Zudem konnte in den "guten Jahren" der Republik nach 1925 auch der öffentliche Skandal eingedämmt werden, nicht zuletzt, weil es der SPD und ihren Organen gelang, den Spieß umzudrehen, war doch Julius Barmat keineswegs allein das "schwarze Schaf" jener Zeit, sondern Spekulationsgeschäfte und Schieberei während des Krieges und der Inflation bis weit hinein in die "gute Gesellschaft" an der Tagesordnung gewesen. Vorwürfe gegen Julius Barmat ließen sich mithin leicht auch gegen seine Kritiker wenden.
Dessen Karriere in Deutschland war freilich beendet; er setzte sie in den Niederlanden und dann in Belgien fort, um sogleich wieder in den Geruch der Spekulation und der Korruption zu geraten. Während die Niederlande Barmat frühzeitig loszuwerden trachteten, konnte er in Belgien eine recht enge Verbindung zur Spitze der Nationalbank knüpfen, die ihm auch im Fall seiner Geschäfte mit der Noorderbank (Boerenbank) half, in deren Folge zahlreiche Kleinsparer und Bauern ihr Geld verloren.
Insbesondere seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise kochte die Kritik an vermeintlichen derartigen Luftgeschäften wieder hoch, wobei der antisemitische Affekt erneut gezielt in Stellung gebracht wurde, um den vermeintlichen Kontrast einer "gesunden" Wirtschaft und eines "kranken" Spekulantentums politisch zugunsten der überall auftauchenden faschistischen Bewegungen zu nutzen. In Deutschland war das erfolgreich; in Belgien und Frankreich zwar auch massenwirksam, doch vor der deutschen Besatzung der Länder nicht maßgeblich.
Julius Barmat, wie auch andere "jüdische" Spekulanten, gerieten so erneut in den Fokus einer politischen Auseinandersetzung, die ihre wirklichen oder vermeintlichen Handlungen skrupellos ausnutzte. Die sich hier kristallisierenden semantischen Ausgrenzungen, das zeigt Martin Geyer nachdrücklich, konstituierten dann schließlich zumindest einen Strang hin zur physischen Vernichtung der europäischen Juden, die in derartiger Ausgrenzung eine Art von "Begründung" suchte und fand.
Geyer geht es aber nicht vorrangig um die Vorgeschichte des Holocaust, sondern um einen Aspekt einer Kulturgeschichte des Kapitalismus, die für ihn bislang offenbar zu kurz gekommen ist. In Anlehnung an Webers Unterscheidung von "politischem" und "rationalem" Kapitalismus ordnet er Barmat dem Ersten zu und sieht in ihm eine Art Grenzgänger, der es weniger auf alltägliche Geschäfte als auf das Ausnutzen riskanter Chancen abgesehen habe. Das scheint auf den ersten Blick plausibel, ist aber letztlich eine in der Sache wenig begründbare Unterscheidung, die ihrerseits als Anknüpfungspunkt für entsprechende Vorbehalte dienen kann und den Zeitgenossen bei der Charakterisierung der vermeintlichen "jüdischen Geschäftstüchtigkeit" auch diente.
Spekulatives Handeln ist nicht die Ausnahme, sondern die Basis jeder kapitalistischen Ökonomie. Ist es erfolgreich, wird es bejubelt; scheitert es, wird dahinter ein moralisches Fehlverhalten vermutet, für das bestimmte Personengruppen anfälliger seien als andere; und es wird geraten, solches Verhalten doch bitte zu lassen.
Das Scheitern Barmats, das unter anderen Umständen wenig Aufsehen erregt hätte, konnte so leicht skandalisiert werden, und das insbesondere in der von Krieg, Inflation und Vermögensverlust traumatisierten deutschen Welt. Über Kapitalismus lernt man bei Martin Geyer daher weniger als über die Möglichkeiten zu seiner Skandalisierung, die unter für sie günstigen Bedingungen verheerende Folgen haben kann.
WERNER PLUMPE
Martin H. Geyer:
"Kapitalismus und politische Moral in der
Zwischenkriegszeit". Oder: Wer war Julius Barmat?
Hamburger Edition im HIS Verlag, Hamburg 2018.
592 S., geb., 40,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main