Der Aufstieg und Fall des jüdischen Unternehmers Julius Barmat in der Zwischenkriegszeit steht exemplarisch für die andauernden Debatten über Kapitalismus, Moral und Demokratie. Das Buch regt dazu an, den politischen Radikalismus neu zu überdenken und sich mit der heutigen Praxis des Kapitalismus und der Kapitalismuskritik auseinanderzusetzen. Wer war dieser Julius Barmat, der am Silvestertag 1924 im noblen Schwanenwerder bei Berlin verhaftet wurde? Ein begnadeter Unternehmer, der während der englischen Blockade maßgeblich zur Lebensmittelversorgung in Deutschland beitrug, dessen Industriekonzern aber im Zuge der Währungsstabilisierung scheiterte? Oder ein betrügerischer, korrupter, "ostjüdischer" Kriegs- und Inflationsgewinnler? War er ein Agent des Kaiserreichs oder ein opportunistischer Sozialdemokrat und Förderer der Zweiten Internationale? Die Verhaftung dieses Mannes löste einen der brisantesten deutschen Finanzskandale aus, der nicht nur die Justizbehörden, die Medien und Radikale beschäftigte, sondern auch Literaten und Theaterregisseure.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2018So skandalisiert man kapitalistisches Wirtschaften
Der Inbegriff des Spekulanten: Martin Geyer seziert den Fall Barmat als Menetekel der Weimarer Republik
Wer war der heute weitgehend unbekannte Julius Barmat? Diese Titelfrage seines Buches kann auch dessen Autor Martin Geyer nicht beantworten; dazu fehlt ein aussagekräftiger Nachlass. Auch sind weitere Zeugnisse, die ein Bild dieser schillernden Person zeichnen könnten, Mangelware. Zwar war sie Gegenstand umfangreicher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, gerichtlicher Untersuchungen und schließlich einer hierauf bezogenen Rechtsprechung; doch wird der Mensch Julius Barmat, geboren 1887 in der Ukraine und gestorben 1938 in Brüssel, hierin kaum erkenntlich.
Was freilich bei Geyer umso klarer wird, ist seine Rolle als Projektionsfläche einer vielfältigen Kritik, die in der Weimarer Zeit in dem "jüdischen Spekulanten" Barmat den Inbegriff des von ihr abgelehnten "Systems" sah. Julius Barmat hatte als Lebensmittelhändler noch während des Krieges gute Geschäfte mit Deutschland gemacht und diese nach dem Ende des Krieges fortgesetzt. Zu den neuen Autoritäten der Republik kam er, der ohnehin mit der politischen Linken sympathisiert hatte, schnell in Kontakt; ein Kontakt, den er aber nicht nur aus politischer Neigung, sondern durchaus mit geschäftlichem Kalkül pflegte.
Unter den Bedingungen der Inflation gelang es Barmat mit Hilfe seiner Brüder, nach und nach ein vornehmlich kreditfinanziertes, verschachteltes Firmenimperium aufzubauen. Wobei dem stets kreditbedürftigen Spekulanten die Nähe zu verantwortlichen Politikern aus SPD und Zentrum überaus nützlich war, erhielt er doch ohne große Prüfung wiederholt umfangreiche Kredite etwa der Preußischen Staatsbank (Seehandlung), die den in der Inflation zusammengezimmerten, fragilen Unternehmenskomplex letztlich aber auch nicht retteten. 1925 brach er zusammen, und die Staatsbank saß auf umfangreichen faulen Krediten.
Barmat wurde in der Weimarer Öffentlichkeit daraufhin zum Inbegriff des Luftgeschäfte treibenden Spekulanten. Sein Fall war ein gefundenes Fressen für die Kritik an der Republik, und zwar gleichermaßen von rechts und links. Denn Barmat war Parteigänger der "Systemparteien"; Kritik an ihm ließ sich spielend und infolge des Inflationstraumas überaus massenwirksam als Abrechnung mit den korrupten politischen Eliten der Republik inszenieren. Eine Inszenierung, für die sich Hugo Stinnes oder Friedrich Flick weniger anboten, die vor allem der linksradikalen Kritik Angriffsfläche boten, nicht aber dem rechten und rechtsradikalen Lager, das den "jüdischen Spekulanten" Barmat, der in seinem Haus auf Schwanenwerder vermeintlich die Spitze der Republik zu Gast gehabt hatte und dort korrumpierte, begierig aufgriff.
Doch war es schwer, Barmat handfeste Vergehen wirklich nachzuweisen, denn spekulativer Unternehmensaufbau war nicht strafbar, und dass Schmiergelder geflossen waren, um an leichte Kredite zu kommen oder sich wichtige Politiker gefügig zu machen, musste erst einmal nachgewiesen werden. Der medialen Inszenierung einer korrupten Republik durch die KPD und ihre rechtsradikalen Pendants entsprach daher das Ergebnis des Barmat-Prozesses keineswegs, der mit einer vergleichsweise geringen Verurteilung endete.
Zudem konnte in den "guten Jahren" der Republik nach 1925 auch der öffentliche Skandal eingedämmt werden, nicht zuletzt, weil es der SPD und ihren Organen gelang, den Spieß umzudrehen, war doch Julius Barmat keineswegs allein das "schwarze Schaf" jener Zeit, sondern Spekulationsgeschäfte und Schieberei während des Krieges und der Inflation bis weit hinein in die "gute Gesellschaft" an der Tagesordnung gewesen. Vorwürfe gegen Julius Barmat ließen sich mithin leicht auch gegen seine Kritiker wenden.
Dessen Karriere in Deutschland war freilich beendet; er setzte sie in den Niederlanden und dann in Belgien fort, um sogleich wieder in den Geruch der Spekulation und der Korruption zu geraten. Während die Niederlande Barmat frühzeitig loszuwerden trachteten, konnte er in Belgien eine recht enge Verbindung zur Spitze der Nationalbank knüpfen, die ihm auch im Fall seiner Geschäfte mit der Noorderbank (Boerenbank) half, in deren Folge zahlreiche Kleinsparer und Bauern ihr Geld verloren.
Insbesondere seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise kochte die Kritik an vermeintlichen derartigen Luftgeschäften wieder hoch, wobei der antisemitische Affekt erneut gezielt in Stellung gebracht wurde, um den vermeintlichen Kontrast einer "gesunden" Wirtschaft und eines "kranken" Spekulantentums politisch zugunsten der überall auftauchenden faschistischen Bewegungen zu nutzen. In Deutschland war das erfolgreich; in Belgien und Frankreich zwar auch massenwirksam, doch vor der deutschen Besatzung der Länder nicht maßgeblich.
Julius Barmat, wie auch andere "jüdische" Spekulanten, gerieten so erneut in den Fokus einer politischen Auseinandersetzung, die ihre wirklichen oder vermeintlichen Handlungen skrupellos ausnutzte. Die sich hier kristallisierenden semantischen Ausgrenzungen, das zeigt Martin Geyer nachdrücklich, konstituierten dann schließlich zumindest einen Strang hin zur physischen Vernichtung der europäischen Juden, die in derartiger Ausgrenzung eine Art von "Begründung" suchte und fand.
Geyer geht es aber nicht vorrangig um die Vorgeschichte des Holocaust, sondern um einen Aspekt einer Kulturgeschichte des Kapitalismus, die für ihn bislang offenbar zu kurz gekommen ist. In Anlehnung an Webers Unterscheidung von "politischem" und "rationalem" Kapitalismus ordnet er Barmat dem Ersten zu und sieht in ihm eine Art Grenzgänger, der es weniger auf alltägliche Geschäfte als auf das Ausnutzen riskanter Chancen abgesehen habe. Das scheint auf den ersten Blick plausibel, ist aber letztlich eine in der Sache wenig begründbare Unterscheidung, die ihrerseits als Anknüpfungspunkt für entsprechende Vorbehalte dienen kann und den Zeitgenossen bei der Charakterisierung der vermeintlichen "jüdischen Geschäftstüchtigkeit" auch diente.
Spekulatives Handeln ist nicht die Ausnahme, sondern die Basis jeder kapitalistischen Ökonomie. Ist es erfolgreich, wird es bejubelt; scheitert es, wird dahinter ein moralisches Fehlverhalten vermutet, für das bestimmte Personengruppen anfälliger seien als andere; und es wird geraten, solches Verhalten doch bitte zu lassen.
Das Scheitern Barmats, das unter anderen Umständen wenig Aufsehen erregt hätte, konnte so leicht skandalisiert werden, und das insbesondere in der von Krieg, Inflation und Vermögensverlust traumatisierten deutschen Welt. Über Kapitalismus lernt man bei Martin Geyer daher weniger als über die Möglichkeiten zu seiner Skandalisierung, die unter für sie günstigen Bedingungen verheerende Folgen haben kann.
WERNER PLUMPE
Martin H. Geyer:
"Kapitalismus und politische Moral in der
Zwischenkriegszeit". Oder: Wer war Julius Barmat?
Hamburger Edition im HIS Verlag, Hamburg 2018.
592 S., geb., 40,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Inbegriff des Spekulanten: Martin Geyer seziert den Fall Barmat als Menetekel der Weimarer Republik
Wer war der heute weitgehend unbekannte Julius Barmat? Diese Titelfrage seines Buches kann auch dessen Autor Martin Geyer nicht beantworten; dazu fehlt ein aussagekräftiger Nachlass. Auch sind weitere Zeugnisse, die ein Bild dieser schillernden Person zeichnen könnten, Mangelware. Zwar war sie Gegenstand umfangreicher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, gerichtlicher Untersuchungen und schließlich einer hierauf bezogenen Rechtsprechung; doch wird der Mensch Julius Barmat, geboren 1887 in der Ukraine und gestorben 1938 in Brüssel, hierin kaum erkenntlich.
Was freilich bei Geyer umso klarer wird, ist seine Rolle als Projektionsfläche einer vielfältigen Kritik, die in der Weimarer Zeit in dem "jüdischen Spekulanten" Barmat den Inbegriff des von ihr abgelehnten "Systems" sah. Julius Barmat hatte als Lebensmittelhändler noch während des Krieges gute Geschäfte mit Deutschland gemacht und diese nach dem Ende des Krieges fortgesetzt. Zu den neuen Autoritäten der Republik kam er, der ohnehin mit der politischen Linken sympathisiert hatte, schnell in Kontakt; ein Kontakt, den er aber nicht nur aus politischer Neigung, sondern durchaus mit geschäftlichem Kalkül pflegte.
Unter den Bedingungen der Inflation gelang es Barmat mit Hilfe seiner Brüder, nach und nach ein vornehmlich kreditfinanziertes, verschachteltes Firmenimperium aufzubauen. Wobei dem stets kreditbedürftigen Spekulanten die Nähe zu verantwortlichen Politikern aus SPD und Zentrum überaus nützlich war, erhielt er doch ohne große Prüfung wiederholt umfangreiche Kredite etwa der Preußischen Staatsbank (Seehandlung), die den in der Inflation zusammengezimmerten, fragilen Unternehmenskomplex letztlich aber auch nicht retteten. 1925 brach er zusammen, und die Staatsbank saß auf umfangreichen faulen Krediten.
Barmat wurde in der Weimarer Öffentlichkeit daraufhin zum Inbegriff des Luftgeschäfte treibenden Spekulanten. Sein Fall war ein gefundenes Fressen für die Kritik an der Republik, und zwar gleichermaßen von rechts und links. Denn Barmat war Parteigänger der "Systemparteien"; Kritik an ihm ließ sich spielend und infolge des Inflationstraumas überaus massenwirksam als Abrechnung mit den korrupten politischen Eliten der Republik inszenieren. Eine Inszenierung, für die sich Hugo Stinnes oder Friedrich Flick weniger anboten, die vor allem der linksradikalen Kritik Angriffsfläche boten, nicht aber dem rechten und rechtsradikalen Lager, das den "jüdischen Spekulanten" Barmat, der in seinem Haus auf Schwanenwerder vermeintlich die Spitze der Republik zu Gast gehabt hatte und dort korrumpierte, begierig aufgriff.
Doch war es schwer, Barmat handfeste Vergehen wirklich nachzuweisen, denn spekulativer Unternehmensaufbau war nicht strafbar, und dass Schmiergelder geflossen waren, um an leichte Kredite zu kommen oder sich wichtige Politiker gefügig zu machen, musste erst einmal nachgewiesen werden. Der medialen Inszenierung einer korrupten Republik durch die KPD und ihre rechtsradikalen Pendants entsprach daher das Ergebnis des Barmat-Prozesses keineswegs, der mit einer vergleichsweise geringen Verurteilung endete.
Zudem konnte in den "guten Jahren" der Republik nach 1925 auch der öffentliche Skandal eingedämmt werden, nicht zuletzt, weil es der SPD und ihren Organen gelang, den Spieß umzudrehen, war doch Julius Barmat keineswegs allein das "schwarze Schaf" jener Zeit, sondern Spekulationsgeschäfte und Schieberei während des Krieges und der Inflation bis weit hinein in die "gute Gesellschaft" an der Tagesordnung gewesen. Vorwürfe gegen Julius Barmat ließen sich mithin leicht auch gegen seine Kritiker wenden.
Dessen Karriere in Deutschland war freilich beendet; er setzte sie in den Niederlanden und dann in Belgien fort, um sogleich wieder in den Geruch der Spekulation und der Korruption zu geraten. Während die Niederlande Barmat frühzeitig loszuwerden trachteten, konnte er in Belgien eine recht enge Verbindung zur Spitze der Nationalbank knüpfen, die ihm auch im Fall seiner Geschäfte mit der Noorderbank (Boerenbank) half, in deren Folge zahlreiche Kleinsparer und Bauern ihr Geld verloren.
Insbesondere seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise kochte die Kritik an vermeintlichen derartigen Luftgeschäften wieder hoch, wobei der antisemitische Affekt erneut gezielt in Stellung gebracht wurde, um den vermeintlichen Kontrast einer "gesunden" Wirtschaft und eines "kranken" Spekulantentums politisch zugunsten der überall auftauchenden faschistischen Bewegungen zu nutzen. In Deutschland war das erfolgreich; in Belgien und Frankreich zwar auch massenwirksam, doch vor der deutschen Besatzung der Länder nicht maßgeblich.
Julius Barmat, wie auch andere "jüdische" Spekulanten, gerieten so erneut in den Fokus einer politischen Auseinandersetzung, die ihre wirklichen oder vermeintlichen Handlungen skrupellos ausnutzte. Die sich hier kristallisierenden semantischen Ausgrenzungen, das zeigt Martin Geyer nachdrücklich, konstituierten dann schließlich zumindest einen Strang hin zur physischen Vernichtung der europäischen Juden, die in derartiger Ausgrenzung eine Art von "Begründung" suchte und fand.
Geyer geht es aber nicht vorrangig um die Vorgeschichte des Holocaust, sondern um einen Aspekt einer Kulturgeschichte des Kapitalismus, die für ihn bislang offenbar zu kurz gekommen ist. In Anlehnung an Webers Unterscheidung von "politischem" und "rationalem" Kapitalismus ordnet er Barmat dem Ersten zu und sieht in ihm eine Art Grenzgänger, der es weniger auf alltägliche Geschäfte als auf das Ausnutzen riskanter Chancen abgesehen habe. Das scheint auf den ersten Blick plausibel, ist aber letztlich eine in der Sache wenig begründbare Unterscheidung, die ihrerseits als Anknüpfungspunkt für entsprechende Vorbehalte dienen kann und den Zeitgenossen bei der Charakterisierung der vermeintlichen "jüdischen Geschäftstüchtigkeit" auch diente.
Spekulatives Handeln ist nicht die Ausnahme, sondern die Basis jeder kapitalistischen Ökonomie. Ist es erfolgreich, wird es bejubelt; scheitert es, wird dahinter ein moralisches Fehlverhalten vermutet, für das bestimmte Personengruppen anfälliger seien als andere; und es wird geraten, solches Verhalten doch bitte zu lassen.
Das Scheitern Barmats, das unter anderen Umständen wenig Aufsehen erregt hätte, konnte so leicht skandalisiert werden, und das insbesondere in der von Krieg, Inflation und Vermögensverlust traumatisierten deutschen Welt. Über Kapitalismus lernt man bei Martin Geyer daher weniger als über die Möglichkeiten zu seiner Skandalisierung, die unter für sie günstigen Bedingungen verheerende Folgen haben kann.
WERNER PLUMPE
Martin H. Geyer:
"Kapitalismus und politische Moral in der
Zwischenkriegszeit". Oder: Wer war Julius Barmat?
Hamburger Edition im HIS Verlag, Hamburg 2018.
592 S., geb., 40,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main