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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ray Lorigas Roman "Kapitulation"
Der spanische Schriftsteller Ray Loriga hat eine Parabel geschrieben über einen sinnlosen Krieg, kollektive Manipulation und einen schleichenden Totalitarismus. Eine Parabel also, wie sie in jede Zeit passt, aber in die jetzige besonders gut. "Kapitulation" heißt diese bedrückende Geschichte eines Mannes, der zunächst fast naiv allen Verordnungen von oben folgt und schließlich durch seine Zweifel an dem neuen System zugrunde geht und alles verliert.
Drei große Kapitel hat das Gleichnis des 1967 geborenen Loriga, erzählt aus der Ich-Perspektive eines Mannes, der wie fast alle anderen Figuren ohne Namen auskommen muss. Als Nacherzählung gibt der Protagonist in kleineren Zwischenkapiteln alles aus seiner Perspektive wieder, auch die knappen Gespräche werden im gleichen ruhigen, manchmal derben, aber im Grunde sachlichen Ton nacherzählt. Höhepunkte der Handlung werden nur in Nebensätzen erwähnt.
Die drei Kapitel markieren die Lebensabschnitte des Ich-Erzählers antithetisch: Zunächst glaubt man dem Mann, dass die im ersten Kapitel dokumentierte Reise, die er auf sich nehmen muss, zu einem besseren Leben führen wird. Mit seiner Frau, dem Ziehsohn und den anderen Dorfbewohnern soll er sich wegen des Krieges in die "Durchsichtige Stadt" aufmachen. Doch im dritten Kapitel merkt der Leser zusammen mit dem Erzähler, dass das Leben außerhalb der Wände der neuen Stadt, obschon ärmer und unsicher, lebendiger und vor allem frei war.
Doch zunächst herrscht ein unerschütterliches Vertrauen des Protagonisten und seiner Frau in die Regierung, von der sie kaum etwas mitbekommen, weil niemand im Dorf Zugang zu Nachrichten hat. Seit mehr als zehn Jahren herrscht schon Krieg, doch allen ist unklar, wofür eigentlich gekämpft wird und wer der Feind ist. Wie in jeder guten Parabel bleiben Orte und Namen nur das und nicht mehr, was dazu führt, dass dem Leser der erzählte Krieg noch sinnloser erscheint.
Was der Mann zwar nur in Nebensätzen erwähnt, aber doch so häufig, dass man merkt, wie sehr es ihn beschäftigt, ist, dass seine zwei Söhne Pablo und Augusto (die einzigen Figuren mit Namen) Soldaten im Krieg sind. Von beiden haben er und seine Frau seit Monaten nichts mehr gehört.
Schon bei der Reise des ersten Kapitels wird klar, dass es Loriga in seiner Parabel auch wichtig ist, Klassenverhältnisse aufzuzeigen: Die "Herren des Wassers", die schon während des Krieges ihr Grundstück an der einzigen Quelle hatten, trieben stetig die Preise hoch und zwangen andere Dorfbewohner dazu, noch ihre letzten Diamanten gegen einen Kanister Wasser zu tauschen. Sie bestimmen auch, wer auf der Reise Wasser bekommt und wer zurückbleiben muss.
Obwohl der Auftakt des Romans eine Odyssee beschreibt, bei der die Dorfbewohner wie vorgeschrieben zur Durchsichtigen Stadt laufen, scheinen sie da noch selbstbestimmt. Konflikte werden, typisch menschlich, nach dem Prinzip des Stärkeren gelöst. Aber sie sind dem unpersönlichen Naturgesetz unterworfen: dem Gegenteil zum regulierten Leben in der Durchsichtigen Stadt. Dort gibt es nicht einmal Gerüche und schon gar keine Wände, Jobs werden ungefragt zugewiesen, sodass der Protagonist die stumpfsinnige Aufgabe bekommt, Fäkalien zur Herstellung der gläsernen Wände tagein, tagaus zu transportieren. Seine Frau, die in ihrem früheren Leben mehr Bildung genoss, darf Bibliothekarin werden.
Später werden die Zustände immer absurder; der Protagonist muss mitansehen, wie seine Frau es mit jemand anderem treibt, muss akzeptieren, dass es keine Regierung gibt, dass das System angeblich für alle gleich ist, es immer die gleiche Temperatur und Lichtflut gibt. Und während er als scheinbar Einziger nicht vollends zufrieden mit dieser total kontrollierten Situation ist, steigt die Spannung bei der Lektüre und die Verzweiflung des Buchhelden, der sich fragt, ob er kapitulieren soll. ANNA FLÖRCHINGER
Ray Loriga: "Kapitulation". Roman.
Aus dem Spanischen von Alexander Dobler. CulturBooks Verlag, Hamburg 2022. 200 S., geb., 24,- Euro.
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