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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Papierarbeiter: Ein exzellent komponierter Band präsentiert Karl Kraus im Austausch mit seinem Drucker Georg Jahoda.
Von Helmut Mayer
Von Helmut Mayer
Ich glaube nicht, dass ich mir vor der Arbeit den Rat der Weisen und nach dem Druck die Meinung des Lesers gefallen ließe. Aber zwischen Arbeit und Druck kann ich in einen Zustand geraten, in dem mir die Hilfe des Druckereidieners eine Erlösung bedeutet." Des Druckereidieners nämlich, der für das schnelle Hin und Her von Manuskripten, korrigierten Bürstenabzügen und abermals mit Korrekturen und Ergänzungen versehenen Abzügen oder Druckbögen zwischen Karl Kraus und der Druckerei Jahoda & Siegel sorgte. Wobei die Dienste des Druckereidieners, die Kraus mit seiner Sentenz in einem "Fackel"-Heft des Jahres 1910 beschwor, noch der einfachere Fall dieses schnell getakteten Verkehrs zwischen Schreibtisch und Druckanstalt waren.
Komplizierter noch wurde es, wenn der Herausgeber der "Fackel", der kurz darauf und für ein Vierteljahrhundert zu ihrem einzigen Autor wurde, sich nicht in Wien aufhielt. Dann nämlich kam die Post ins Spiel und damit die von Kraus immer wieder aufs Neue mit Verve ergriffene Möglichkeit, sich über deren Schlamperei zu entrüsten. Sofern der Tadel nicht die Druckerei traf, wenn die von ihm penibel geplante Textzirkulation im Vorfeld der Drucklegung sich wieder einmal nicht nach seinen Vorstellungen gestaltete.
Abgesehen davon, dass im Verkehr mit der Druckerei natürlich noch ein anderes, für einen Autor "bang vor des Worts Verderben" noch viel heikleres, in gewissem Sinn fruchtbareres Terrain für Vorhaltungen und Klagen eröffnet war. Denn die Ansprüche von Kraus an das nach seinen Vorgaben fehlerfrei in den Druck zu bringende Wort waren kaum überbietbar; und er tat sein Möglichstes, sie durch seine Arbeitsweise, mit zehn- bis zwanzigmaligen Korrekturgängen in einer schwierig zu lesenden Handschrift, fast unerfüllbar zu machen.
An diesen Ansprüchen scheiterte denn auch eine Reihe von Druckern und Verlagen, mit denen Kraus sein Glück versuchte, als es ihm darum ging, die Chancen für seine Bücher im Deutschen Reich zu vergrößern. Weshalb er Anfang der Zwanzigerjahre reuig und endgültig zu jenem Wiener Drucker zurückkehrte, der bereits eine Reihe seiner Bücher eingerichtet hatte und vor allem seit 1901 die "Fackel" druckte, eben zu Jahoda & Siegel, wo Georg Jahoda die Geschäfte leitete, einige Jahre später auch die Administration der "Fackel" übernahm, bevor Jahoda & Siegel Anfang der Zwanzigerjahre - das letzte Experiment mit einem deutschen Verleger, Kurt Wolff, war beendet - schließlich zur Adresse des Verlags "Die Fackel" avancierte. Schon zuvor hatte Kraus in der "Fackel" ein hohes Lob auf Jahoda eingefügt, der "seit achtzehn Jahren auf die Maßlosigkeit, die den Druck des vorgeschriebenen, freilich endlos korrigierten Wortes begehrt, redlich eingestellt" sei. Die Rede von der Maßlosigkeit war keine Übertreibung.
Friedrich Pfäfflin, wie kaum ein anderer um Karl Kraus' Nachleben durch eine lange Reihe exzellenter Editionen verdient, hat nun einen Band mit einer Auswahl aus den erhaltenen Briefen, Karten, Telegrammen, Zetteln, auch einigen gewidmeten Fotografien vorgelegt, die Kraus und Jahoda über fünfundzwanzig Jahre hinweg einander zukommen ließen. Es ist eine Korrespondenz eigener Art, in der Briefe oder Mitteilungen abseits konkreter Arbeitsabläufe, vor allem rund um die Produktion der "Fackel"-Hefte, die Ausnahme sind. Gerade deshalb aber gibt sie eine Vorstellung davon, wie Kraus an diesen Heften arbeitete, unter dem Druck der von ihm gesetzten Erscheinungstermine, des von Korrekturgang zu Korrekturgang fortschreitenden Feilens am gesetzten Text und der Angst, dass es trotz "allergenauestem Vergleich" und "irrsinnigster Genauigkeit" doch noch zu Schnitzern bei der Drucklegung kommt.
Was nicht heißt, dass Jahoda nicht bei der Sache gewesen wäre. Tatsächlich beschwert sich Kraus in einer seiner vehementen Klagen über zeitraubende Missverständnisse und Fehler, "dass der Verlag nebst allen Qualitäten zu viel Geist, zu viel Temperament und Individualität hat - schätzenswerte Gaben, aber schwere Hindernisse, wo es sich um eine ganz einfache sachliche Erledigung handelt, die sich ohne Hineindenken am mühelosesten und glücklichsten vollzieht". Eine für Kraus typische Klage, die an jene erinnert, welche er über seine Heimatstadt Wien führte - gerne im Kontrast zu Berlin -, auf den Ton gestimmt, dass er für Individualität schon selbst sorge und im Übrigen bloß erwarte, dass die Dienstleistungen funktionieren.
Aber die einfache sachliche Erledigung war angesichts von Kraus' Vorgaben schlicht eine Illusion, bei den Korrekturen ebenso wie erst recht bei den administrativen Angelegenheiten, etwa der Bearbeitung der an ihn gerichteten Korrespondenz, wo Jahoda und seine Mitarbeiter Wichtiges von Unwichtigem zu sondern, also ihn zu erraten hatten. Bei aller Hingabe an seinen bewunderten Autor, dessen Wünsche er, wie er es einmal formuliert, "mit fallweiser gänzlicher Außerachtlassung jeglichen materiellen Vorteils" zu erfüllen bemüht war, ließ es Jahoda da an einer klaren Einrede nicht fehlen, welche die "kaufmännischen Usancen sicherlich nicht entsprechende ideale Art" seiner Geschäftsführung festhielt, der einzig zu verdanken sei, dass er noch immer - das Scharmützel fiel ins Jahr 1917 - sein Drucker sei.
Da hatte Kraus fast schon genügend Erfahrung mit anderen Druckern gesammelt, um die "benachbarte Druckerei" hoch zu schätzen und insbesondere Jahodas nie wankenden Willen, die Qualen und Sorgen auf dem Weg zum definitiven, imprimierten Text mit ihm ohne Zagen durchzustehen. Entschieden war schon das öffentliche Lob im letzten Weltkriegsjahr ausgefallen, dass Jahodas Druckerei "die einzige österreichische Tatsache" sei, die in ihm patriotische Empfindungen wecken könne. Aber noch höher gestimmtes Lob sollte folgen, das Gedicht "An meinen Drucker" zu Jahodas sechzigstem Geburtstag 1923, schließlich drei Jahre darauf die ebenso, zudem auf der ersten Seite, in ein "Fackel"-Heft eingerückte Rede an Jahodas Grab.
Da wurde der Drucker noch zu Lebzeiten als "Mitschöpfer, nicht bloß Wirker am Format" anerkannt, "mitleidig mitlebendges Element", der es fertiggebracht hatte, dass "der Druck erscheint als hellere Magie" - wozu vielleicht gehört, dass der ein Jahr zuvor erschienene "Untergang der Welt durch schwarze Magie" im Druck Jahoda gewidmet ist. Die Grabrede steigerte das Motiv des Mitlebens noch einmal: "Autor und Drucker - in einer Welt mechanisierten Daseins ferne Sphären, zu Nutzen und äußerem Zweck voneinander berührt: in welcher Nähe der Blutsverwandtschaft ist hier eine Leistung gewachsen, deren Anteil und Verdienst ich für den Mitarbeiter kaum abzusondern vermöchte, weil, so nah der Autor den Wirkungen des Druckwesens, so nahe der Drucker dem Geheimnis des Worts gelebt hat."
Friedrich Pfäfflin hat diese Korrespondenz mit seiner Auswahl zu einem überaus aufschlussreichen, zum Nachblättern bei Kraus anregenden, unterhaltsamen, anrührenden und überdies typographisch exzellent eingerichteten Parcours gestaltet, versehen mit Abbildungen, eingeschalteten Resümees und einem ausführlichen Kommentar, in dem so manche Perle versteckt ist. Leser von Karl Kraus kommen an diesem Band keinesfalls vorbei.
"Karl Kraus und Georg Jahoda". Der Satiriker und sein Drucker und Verleger.
Briefe, Karten, Telegramme, Zettel, ausgewählt,
kommentiert und
herausgegeben von
Friedrich Pfäfflin.
Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 359 S., Abb., geb., 42,- Euro.
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