Die Weimarer Republik der 30er Jahre macht für Mannheim die Chancen und Risiken des Reflexiv-Werdens moderner Gesellschaft anschaulich. Ausgehend vom Phänomen der "Lebensdistanzierung" skizziert er in seiner Frankfurter Antrittsvorlesung den reflexiv-experimentellen Charakter der Lebensstile in der Moderne, die ihre eindeutige Sinnausrichtung verloren, aber gerade dadurch auch an Entwicklungschancen gewonnen hat. Die experimentierende Lebensführung und die zunehmende Sinndiversifizierung enthalten allerdings auch Risiken. Sie rufen säkulare Utopien hervor, deren Ziel es ist, der Variabilität und Vielfalt von Lebensmöglichkeiten eine einheitliche Ausrichtung zu geben. Orthodoxien wie der Faschismus, aber auch der dogmatische Marxismus stellen Formen derartiger "Reprimitivierung" dar. Diese, im Diskurs um die "Zweite Moderne" auch heute zweifellos höchst aktuelle Zeitdiagnose, stellt nicht nur einen wesentlichen Beitrag zu einem zeitlich tieferen Verständnis des Wandels der Modernität im 20. Jahrhundert, sondern auch ein "missing link" in der Kontinuität der Entwicklung des Mannheimschen Werkes von seiner wissenssoziologischen zu seiner politisch-soziologischen Phase dar. Den werkgeschichtlichen wie aktuellen Bezug der Vorlesung analysieren ergänzende Beiträge.
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