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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Nobelpreisträgerin Goldin über Frauen und Karriere
Das Problem ist viel diskutiert - wann immer es neue Zahlen darüber gibt, wie viel berufstätige Männer verdienen und wie wenig berufstätige Frauen. Die Rede ist vom Gender-Pay-Gap, der Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern. Ungefähr genauso viel diskutiert ist ein eng damit verwobenes Problem: die seltene Karriere von Frauen bis nach oben ins Vorstandschefbüro. Letzteres adressierte vor einiger Zeit sogar der Kanzler persönlich mit Blick darauf, dass es in 40 Dax-Konzernen bloß eine weibliche Vorstandsvorsitzende gibt: "Eine aus 40 - das klingt nach Lotterie oder wie ein schlechter Witz."
Auch Claudia Goldin geht es um den Gender-Pay-Gap, um Frauenkarrieren in herausragenden Positionen und um die Möglichkeiten von Frauen, sich beruflich zu verwirklichen und gleichzeitig nach familiärem Glück zu streben, insbesondere: Kinder zu haben. Ein bisschen geht es ihr auch um Männer, die diesen Spagat versuchen. "Career and Family" heißt ihr umfassendes Buch zum Thema. Vor längerer Zeit schon auf Englisch erschienen, gibt es seit wenigen Wochen "Karriere und Familie" auch in deutscher Übersetzung.
Ohne verquaste Wissenschaftlersprache, trotzdem so fundiert, dass fast 100 der 400 Seiten für den Anhang herhalten mussten, erzählt die Ökonomie-Nobelpreisträgerin die 100 Jahre lange Geschichte hoch qualifizierter Frauen in Amerika. Indem sie nur College-Absolventinnen untersucht, gelingt es ihr, eine Gruppe auszuwählen, die potentiell karriereinteressiert und zu einer Karriere befähigt ist. Immer bezieht sie ihre Erkenntnisse darauf, ob die Frauen ein oder mehrere Kinder großgezogen haben.
Erste Erkenntnis: Karrierefrauen und -mütter gab es schon vor mehr als 100 Jahren. Es waren natürlich sehr viel weniger als heute, sie mussten stärker kämpfen und auf unfassbar viel verzichten. Aber es gab sie! Zweite Erkenntnis: Amerikanische Karrierefrauen der vergangenen 100 Jahre lassen sich sinnvoll in fünf Generationen einteilen, die sich mit Blick auf Karriere und Mutterschaft klar unterschieden - vor allem hinsichtlich der Reihenfolge, wann sie sich auf den Beruf und wann auf die Familie konzentrierten. Historisch hoch spannend, nicht immer aber auf Deutschland übertragbar.
Die dritte Erkenntnis dreht sich um Langfristkonsequenzen von Mutterschaft für Karriere und Gehalt. Goldin betrachtet nicht nur die finanziellen Auswirkungen, sondern auch die Möglichkeit, sich als Paar Erwerbs- und Sorgearbeit gleichberechtigt zu teilen. Sie argumentiert, dass Zeit das zentrale und knappe Gut von Eltern sei. Daher sei es ökonomisch oft sinnvoll, sich in der Beziehung zu spezialisieren - ein Partner auf die Karriere, einer auf die Familie. Letzterer stehe mindestens "auf Abruf" bereit für Sorgearbeit, etwa - um es auf die deutsche Situation anzuwenden - wenn die Kita wegen Personalmangels kurzfristig schließt.
Karriere sei aber keineswegs gleich Karriere. Es gebe eine starke Varianz zwischen Berufsgruppen. In die Tiefe diskutiert Goldin beispielhaft die Unterschiede zwischen Rechtsanwältinnen und Apothekerinnen. Unter Juristinnen werde bis heute aufstiegs- und einkommenstechnisch bestraft, wer weniger Zeit in den Beruf investiere und weniger Bereitschaft für spontane Arbeit auf Abruf zeige. Unter Apothekerinnen hingegen - ähnlich hohes Qualifikationsniveau, Akademikerberuf mit ähnlich langen Studienzeiten - sei dies keineswegs der Fall. Gute und transparente Vertretungsregeln und Schichtsysteme sowie der fehlende Anspruch des Kunden, immer von "seinem" bekannten Apotheker betreut zu werden, führten dazu, dass feste Arbeitszeiten, geringe Spontaneität und auch die Reduktion auf Teilzeit kaum bestraft würden.
Auch innerhalb ein und derselben Branche oder gar Profession identifiziert Goldin "gierige" (also zeitfressende und Spontaneität fordernde) und weniger gierige Stellen. In der Regel seien die "gierigen" Stellen besser bezahlt - was Anreize schaffe, sich für eine geringere Gleichstellung innerhalb einer Partnerschaft zu entscheiden. Somit steckten letzten Endes hinter der Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen vornehmlich rationale Entscheidungen (ein Partner macht einen "gierigen" und lukrativen Beruf, der andere nicht). Die Tatsache, dass meist die Frau sich eher auf die Sorgearbeit und der Mann sich eher auf die Erwerbsarbeit konzentriert (nicht umgekehrt), kommt zwar immer wieder zur Sprache, die dahinterliegenden Gründe werden aber vor allem amerikanisch-historisch analysiert. Große Realexperimente wie etwa das deutsche Elterngeld und seine Auswirkungen (oder auch Nichtauswirkungen) auf die Zeit, die Väter mit Kindern verbringen, bleiben außen vor. Es ist eben in weiten Teilen ein Buch über amerikanische Gegebenheiten.
In der ökonomischen Analyse des Phänomens stecke im Prinzip schon der Lösungsansatz, schreibt Goldin. Die Arbeitswelt und -kultur müsse sich mehr nach dem Vorbild der Apothekerinnen richten. Mehr Austauschbarkeit von Rollen, mehr Standards, bessere Übergaben zwischen Personen - kurz: "gierige" Jobs umstrukturieren. Darin schlummert viel Stoff zum Nachdenken über Arbeitskultur. Denn die Entscheidungen zwischen Schreibtisch und Spielplatz werden in Deutschland trotz Mutterschutzes, Elterngelds und eines komplett anderen Sozialsystems von karrierefreudigen Paaren oft ähnlich getroffen wie in den USA oder gar noch einseitiger. NADINE BÖS
Claudia Goldin: Karriere und Familie. Der jahrhundertelange Weg der Frauen zu mehr Gleichberechtigung, Propyläen Verlag, Berlin 2024, 400 Seiten, 28 Euro.
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