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Hans Beck wirft ein neues Licht auf die Karrieren im alten Rom
Im Jahre 180 vor Christi Geburt gab sich die römische Republik ein Gesetz, nach welchem die Bekleidung der staatlichen Ehrenämter bis hinauf zum obersten Amt des Konsuls an genaue Regeln gebunden wurde. Es wurde bestimmt, wann man sich frühestens zur Wahl stellen durfte, wie alt man mindestens zu sein hatte oder in welcher Reihenfolge die Ämter zu bekleiden waren. Die bisherige Forschung hat dieses Gesetz damit erklärt, daß in dem vorhergehenden Zeitabschnitt der Comment innerhalb der römischen Aristokratie, der diese Dinge informell geregelt habe, in Unordnung geraten sei, so daß man jetzt zu einer gesetzlichen Regelung gezwungen worden sei.
Diese Erklärung war, isoliert betrachtet, nicht falsch, jedoch griff sie insofern zu kurz, als man nur auf die unmittelbar vorhergehende Zeit blickte und im übrigen ungeprüft voraussetzte, daß im großen und ganzen die magistratische Karriere schon immer so ausgesehen habe oder hätte aussehen sollen, wie sie durch das Gesetz vom Jahre 180 festgeschrieben wurde.
Das große Verdienst, der Durchbruch des Buches von Hans Beck ist, nachgewiesen zu haben, daß dies ganz und gar nicht der Fall war. Zwar waren in der Tat die beiden Jahrzehnte, die dem Gesetz vorausgingen, durch eine ungewöhnliche Intensivierung der Konkurrenz um die Ämter geprägt, denn Roms Ausgreifen im Mittelmeerraum hatte eine erhebliche Aufgabenvermehrung für die senatorische Elite zur Folge, während die Anzahl der für das gesellschaftliche Prestige unabdingbaren Ämter nicht im selben Maße zunahm: Es gab vor allem immer nur zwei Konsuln, so daß der Andrang von unten stärker wurde und es keine durchgängige Regelhaftigkeit der Laufbahnen gab.
Betrachtet man aber, wie Beck, die weiter zurückliegenden Epochen, muß man feststellen, daß nicht im entferntesten davon die Rede sein kann, daß es vorher ein geregeltes Karrieremuster gegeben habe; so war es nichts Besonderes, wenn etwa das Konsulat aus dem Stand erreicht wurde oder daß ein gewesener Konsul anschließend ein Amt innehatte, das später als hierarchisch niedriger eingestuft wurde. Die beiden dem Gesetz vorausgehenden Jahrzehnte hatten also nicht einen schon lange bestehenden Usus durcheinandergebracht, sondern ihn, um die zunehmende Konkurrenz zu bändigen, erst hervorgebracht, so daß das Gesetz von 180 als der folgerichtige Abschluß erscheint.
Damit ist ein bedeutender Schritt zum besseren Verständnis der inneren Entwicklung der römischen Republik getan. Richtigerweise unternimmt es Beck außerdem, diese pragmatisch-positivistischen Ergebnisse in den Zusammenhang der inneren Mechanik der römischen Republik als Adelsgesellschaft zu stellen. Die von ihm herausgearbeiteten Sachverhalte erklären sich ja ihrerseits nur dadurch, daß die besondere Form der Aristokratie, wie sie die römische Republik darstellte, ihr Spezifikum darin hatte, daß gesellschaftliches Ansehen oder Prestige, worauf in Aristokratien alles ankommt, über die staatlichen Ämter errungen werden mußte, und umgekehrt war es die politisch-militärische Leistung, durch die man in die hohen staatlichen Ämter kam.
Seine Ergebnisse - von denen manche, für sich betrachtet, nicht immer neu sind - gewinnt Beck durch gewissenhafte empirische Analyse der durch die Quellen bereitgestellten Sachverhalte. Musterbeispiele sowohl handwerklich sauberer Forschung als auch konkreter und plastischer Darstellungskunst sind die zehn Unterkapitel. Sie behandeln die Karrieren bedeutender Senatoren, an deren Laufbahn beispielhaft gezeigt werden kann, wie wenig regelhaft, wie sehr vielmehr durch die jeweilige politische Lage verursacht eine Ämterkarriere verlief. Gewiß gibt es, vielleicht im Eifer des Gefechts, Unrichtigkeiten. So paßt es gut in die Argumentation, wenn von einem Cn. Flavius die alte Geschichte wiedergegeben wird, er habe die bis dahin als Herrschaftswissen geheimgehaltenen Formeln veröffentlicht, mit denen die Gerichtsprozesse geführt wurden. Beck hätte sich mit der Ansicht zumindest auseinandersetzen müssen, daß die Geschichte deshalb nicht stimmen kann, weil diese Formeln ja öffentlich laut gesprochen wurden.
Auch fällt auf, daß die Sprache, sobald sich Beck über das Konkrete hinausbegibt, seltsam wolkig und undeutlich wird und gelegentlich in einen völlig überflüssigen Jargon verfällt, der zwischen den Sachverhalten und deren Verständnis eine Zwischenebene einschiebt, die ihrerseits erst einmal verstanden werden will. Das erschwert unnötigerweise den klaren Blick auf das, worum es sich schließlich handelt. Warum muß beispielsweise der allzu modische - natürlich, wieder einmal, von Bourdieu geprägte - Begriff "symbolisches Kapital" eingeführt und erläutert werden, wenn das, was damit gemeint ist, mit den vorhandenen Begriffen unmittelbarer ausgedrückt werden kann? Oft genug aber verwendet der Verfasser sympathischerweise diese vorhandenen Begriffe doch.
Auch sonst bemüht sich Beck einerseits, Denkfiguren zu übernehmen, die trotz ihrer Überzogenheit gerade im Schwange sind, andererseits bricht seine pragmatisch-solide Arbeitsweise immer wieder durch. Ein Beispiel: Gegen die manifest exzentrische These eines englischen Gelehrten, die römische Republik sei eine lupenreine Demokratie gewesen, sind in der letzten Zeit manchmal allzu schwere Böller auf diese harmlosen Sperlinge abgefeuert worden. Natürlich war sie eine, modifizierte, Aristokratie, und es war nie schwer gewesen, das in aller Ruhe festzustellen. Freilich gibt es nun die ebenso exzentrische Gegenthese, die römischen Volksversammlungen hätten reinweg nie etwas entschieden, sondern hätten nur Zustimmungsrituale zu von oben Vorgegebenem vollführt.
Beck scheint sich veranlaßt zu fühlen, dieser Gegenthese zuzuneigen. Doch weil er weiß, daß es jedenfalls in Konkurrenzsituationen sehr auf die Volksversammlung ankam - ganz deutlich gesagt: man konnte bei der Wahl durchfallen -, wurde das Volk "gewissermaßen doch" der "Souverän im politischen Machtgefüge". "Souverän" würde ich allerdings nicht sagen, denn natürlich haben die Aristokraten die Abstimmungen erheblich beeinflußt - aber ein bloßes Zustimmungsritual waren solche Entscheidungen eben nicht. Das Volk entschied in solchen nicht seltenen Fällen doch. Ohne "gewissermaßen". Ein Durchbruch bleibt dieses Buch gleichwohl.
WOLFGANG SCHULLER
Hans Beck: "Karriere und Hierarchie". Die römische Aristokratie und die Anfänge des cursus honorum in der mittleren Republik. Klio Beihefte Neue Folge Band 10. Akademie Verlag, Berlin 2005. 452 S., geb., 69,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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