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Katyn - der Name ist zur Chiffre für eines der abscheulichsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts geworden. Mehr als 20 000 polnische Offiziere, Beamte und Intellektuelle wurden im April 1940 von der sowjetischen Geheimpolizei NKWD kaltblütig erschossen. Erst fünfzig Jahre später räumte der Kreml die Täterschaft ein. Thomas Urban schildert die Ereignisse und bringt Licht in das Dickicht aus Lügen, Fälschungen und Terror, das die Morde bis heute umgibt. Erstmals beschreibt er die Rolle deutscher Widerstandskämpfer dabei. Im Frühjahr 2015 ist der 75. Jahrestag der Massenmorde im Wald von Katyn.…mehr

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Produktbeschreibung
Katyn - der Name ist zur Chiffre für eines der abscheulichsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts geworden. Mehr als 20 000 polnische Offiziere, Beamte und Intellektuelle wurden im April 1940 von der sowjetischen Geheimpolizei NKWD kaltblütig erschossen. Erst fünfzig Jahre später räumte der Kreml die Täterschaft ein. Thomas Urban schildert die Ereignisse und bringt Licht in das Dickicht aus Lügen, Fälschungen und Terror, das die Morde bis heute umgibt. Erstmals beschreibt er die Rolle deutscher Widerstandskämpfer dabei. Im Frühjahr 2015 ist der 75. Jahrestag der Massenmorde im Wald von Katyn. Stalin bezichtigte beharrlich die Deutschen dieser Verbrechen, die zur gleichen Zeit den Massenmord an den polnischen Juden betrieben. Die Nationalsozialisten wiederum sahen in den Morden eine einmalige Gelegenheit, die Alliierten zu entzweien. Während die Angehörigen der Opfer verzweifelt nach ihren Männern, Vätern, Söhnen suchten, lieferten sich die beiden Terrorregime eine Propagandaschlacht, die an Zynismus kaum zu überbieten ist.

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Autorenporträt
Thomas Urban war von 1988 bis 2012 Osteuropakorrespondent der ?Süddeutschen Zeitung? und ist Autor zahlreicher Werke über Polen und seine Geschichte, darunter der Band "Polen" in der Reihe "Die Deutschen und ihre Nachbarn" und "Der Verlust". Im Jahr 2006 erhielt er den Georg-Dehio-Buchpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2015

Exkulpation der Sowjets?
Das Massaker von Katyn als große Propagandaschlacht der Geschichte

Bisweilen verdichtet sich die Geschichte so in einem Namen, dass er im kollektiven Gedächtnis zum mächtigen Symbol wird. Mit einem westrussischen Dorf in der Nähe von Smolensk ist dies so geschehen. Katyn wurde zur Chiffre für Völkermord, Verrat, Vertuschung und Verbrechen. Es ist der Ort des Massenmordes, den Stalin und sein Geheimdienstchef Berija im Frühjahr 1940 anordneten und auf brutale Weise exekutieren ließen: an 4300 polnischen Offizieren und Spitzenbeamten. Sie waren der Kernbestand jener rund 25 000 Personen der polnischen Elite, die an anderen Orten umgebracht wurden, um die Führungsschicht des Landes auszurotten.

Es bezeichnet das hartnäckige Leugnen aller Moskauer Regierungen, die Massaker zuzugeben und sie der deutschen Wehrmacht anzulasten. Alle Sowjetführer seit Stalin kannten die Wahrheit. Alle hielten die Dokumente über die Mordaktion strikt unter Verschluss. Erst im Frühjahr 1990 räumte Michail Gorbatschow - nachdem auch er über fünf Jahre hinweg gelogen und vertuscht hatte - die Existenz des geheimen Zusatzprotokolls vom August 1939 über die Aufteilung Polens ein und machte die sowjetische Täterschaft aktenkundig. Es sollte ein Signal sein inmitten des sich zuspitzenden Machtkampfes in Warschau zwischen der kommunistischen Regierung unter General Wojciech Jaruzelski und der von Walesa geführten Gewerkschaft Solidarnosc. Aber dafür war es längst zu spät. Gorbatschow, der gesamte Ostblock, ja, die Sowjetunion selbst, wurde unter dem Lügengebäude begraben.

Katyn war längst zum Synonym für die tief sitzende polnische Russophobie geworden, deren Wurzeln mehr als 200 Jahre zurückreichen. Angefacht wurde sie durch die Weigerung der russischen Justiz, die weiterhin gesperrten Akten über die Hinrichtungen freizugeben und den Opfern von 1940 Rehabilitierung beziehungsweise deren Hinterbliebenen Entschädigung zu gewähren. Alle Ansätze einer Verständigung wurden durch Wladimir Putin begraben. Als er sich im April 2010 mit Ministerpräsident Tusk zum Gedenken an den 70. Jahrestag vor Ort traf, kam seine Ansprache einem Affront gleich. Er wies jede Verantwortung von sich und verstieg sich zur Aussage, im Wald von Katyn lägen mehr Russen als Polen.

Drei Tage später geschah das Unfassbare: Die polnische Präsidentenmaschine mit Lech Kaczynski und weiteren 95 Personen zerschellte beim Landeanflug auf Smolensk. Bis heute sind die Stimmen nicht verstummt, die dahinter einen Anschlag des russischen Geheimdienstes vermuten. Ja, die seither eingetretene Putinisierung der russischen Politik tat ein Übriges, um die Konspirationstheorien zu beflügeln: die Verherrlichung der sowjetischen Vergangenheit, die Marginalisierung des Stalinschen Terrors, die Umdeutung der Henker in "Helden der Sowjetunion". All dies ist ein Indiz dafür, dass sich für Putin der Siegesmythos des "Großen Vaterländischen Krieges" und der Opfermythos "Katyn" gegenseitig ausschließen.

"Katyn" steht auch für eine der großen Propagandaschlachten der Geschichte. Sie begann im Januar 1943. Obschon die Geheimpolizei die Leichen sorgfältig in den Exekutionsgruben verscharrt, das Gelände mit Planierraupen eingeebnet und mit Kiefernsetzlingen bepflanzt hatte, dauerte es keine drei Jahre, bis die deutsche Wehrmacht die mit Winteruniformen bekleideten Soldaten entdeckte. Reichspropagandaminister Goebbels nutzte die Sensation, um die Weltpresse zu informieren, das Rote Kreuz einzuschalten und mit Hilfe einer internationalen Expertenkommission jeden Zweifel an der sowjetischen Täterschaft zu beseitigen. Sein Ziel war es, einen Spaltpilz in die Anti-Hitler-Koalition zu tragen. Im Gegenzug arbeitete die Fälscherwerkstatt des NKWD auf Hochtouren, präparierte falsche Zeugen, ließ echte verhaften oder umbringen. Und die vom Gerichtsmediziner Nikolai Nilowitsch Burdenko geleitete Obduktionskommission legte "Beweise" vor, die ergaben, dass das Massaker erst im Herbst 1941, mithin von den Deutschen, verübt worden sei.

Schließlich steht "Katyn" auch für den Triumph der Realpolitik über Recht und Gerechtigkeit. Der britische Premierminister Winston Churchill und der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt verschlossen die Augen vor der sowjetischen Mordaktion, um den Zusammenhalt der Kriegsallianz nicht zu gefährden. Sie sperrten alle gegenteiligen Berichte weg, stützten die Camouflage vor der eigenen Öffentlichkeit und ließen Stalins Version, die dieser der polnischen Exilregierung aufgetischt hatte, die vermissten Offiziere seien in die Mandschurei geflüchtet, unwidersprochen. Die Polen, für deren Unabhängigkeit die Briten einst in den Krieg gezogen waren, wurden zum Opfer dieser Manipulation. Stalin nutzte das Schweigen für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur polnischen Exilregierung, er erreichte die Anerkennung der Westverschiebung Polens in Teheran und Jalta, die Adoptierung der Marionettenregierung, des "Lubliner Komitees", durch den Westen und schließlich die Sowjetisierung des Landes.

All dies ist Grund genug, 75 Jahre nach Katyn Bilanz zu ziehen. Thomas Urban, 25 Jahre lang Osteuropa-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", und Claudia Weber, Professorin für Zeitgeschichte an der Viadrina in Frankfurt (Oder), tun das beide auf ihre Weise. Urban handelt eindringlich und sachkundig seinen Gegenstand ab, in einfühlsamer Sprache, und kommt zu überzeugenden Ergebnissen auf Basis der heute zugänglichen Dokumentationen, vorwiegend osteuropäischer Provenienz - eine zeitgeschichtliche Leistung höchsten Ranges.

Während Urban alle relevanten Aspekte des Katyn-Komplexes berücksichtigt und den Bogen von der Interessenzonenteilung von 1939 bis hin zu "Gorbatschows Tricksereien" und Putins Konfrontationskurs spannt, konzentriert sich Claudia Weber mit "Propagandakrieg", "Nürnberger Tribunal" und "Katyn im Kalten Krieg" ganz auf den "Krieg der Täter". Ihre Hauptthese ist: Katyn war die Frucht der "politischen Dynamik des deutsch-sowjetischen Bündnisses", die Konsequenz aus dessen "Gewaltgeschichte". Weber insinuiert damit einen Kausalzusammenhang zwischen dem Unternehmen "Tannenberg", dem Mordtreiben der deutschen Einsatzgruppen gegen die polnische Intelligenz vom Herbst 1939 und dem, was die Sowjets im Frühjahr 1940 veranstalteten. Ihr einziger Beleg hierfür ist die zeitliche Koinzidenz zwischen dem Auslaufen des Abkommens zum gegenseitigen Gefangenenaustausch am 1. März 1940 und dem zwei Tage später erfolgten Vorschlag des Geheimdienstchefs Berija an Stalin, alle polnischen Kriegsgefangenen zu erschießen. Die somit konstruierte deutsche Mitverantwortung läuft auf eine Exkulpation der Sowjets und deren Massaker hinaus. Wo aber bleibt der Kontext der anderen furchtbaren Liquidationswellen des Stalinschen Terrorregimes? Lässt sich so erklären, weshalb von 230 000 polnischen Soldaten bis Sommer 1941 nur 82 000 die sowjetische Kriegsgefangenschaft überlebten?

Obschon sich die mitunter auch sprachlich schwer konsumierbare Studie Webers auf umfangreiches Material aus russischen und amerikanischen Archiven stützt, fällt der Differenzgewinn zu Urban mager aus. Er reduziert sich auf den Nachweis, dass die polnische Exilregierung in London bereits frühzeitig von der wahren Täterschaft wusste, aber mit Churchill ein Stillhalteabkommen schloss, was ohne jeden Wert blieb.

RAINER F. SCHMIDT

Thomas Urban: Katyn 1940. Geschichte eines Verbrechens, C. H. Beck Verlag, München 2015. 249 S., 14,95 [Euro].

Claudia Weber: Krieg der Täter. Die Massenerschießungen von Katyn. Hamburger Edition, Hamburg 2015. 471 S., 35,- [Euro].

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"Lesenswert."
Uwe Rada, die tageszeitung, 2. Mai 2015