Ein ganz normales Leben vor 100 Jahren: ein Junge wächst mit seiner Mutter, einer Dienstmagd auf, die von ihrem Liebhaber, einem Bauern, unterstützt wird. Beide schlängeln sich irgendwie durchs Leben. Die Mutter meint ihrem kleinen Heinrich gegenüber, es sei in jedem Fall ein besseres Dasein als in
dem Zwangsregime eines Mannes gehorchen zu müssen.
Sie hält streng Ordnung in der kleinen Wohnung…mehrEin ganz normales Leben vor 100 Jahren: ein Junge wächst mit seiner Mutter, einer Dienstmagd auf, die von ihrem Liebhaber, einem Bauern, unterstützt wird. Beide schlängeln sich irgendwie durchs Leben. Die Mutter meint ihrem kleinen Heinrich gegenüber, es sei in jedem Fall ein besseres Dasein als in dem Zwangsregime eines Mannes gehorchen zu müssen.
Sie hält streng Ordnung in der kleinen Wohnung und sucht immer nach Möglichkeiten, ihrem Kind Schutz und Heimat zu sein. "Für ihren Sohn wollte sie unbedingt eine schulische Erziehung ohne harte Hand, daher entschied sie sich, Heinrich in diese neue, bekenntnisfreie Schule zu schicken."
Ihm gefiel, dass Jungen und Mädchen gemeinsam in einem Raum unterrichtet wurden. Dabei hörte er diesen Satz der Lehrer häufiger: "Schwärmer begründen eine Religion, die Dummköpfe nehmen sie an, Betrüger führen sie fort." Dies hätte ein gewisser Voltaire vor 200 Jahren geschrieben, und das sei nach wie vor gültig.
Lernen in dieser Schule war an die Umgebung und konkrete Probleme geknüpft, die Lehrer bemühten sich, freundschaftlich mit den Kindern umzugehen, sie als Partner zu sehen. Heinrich ist klug, aber eher zurückhaltend, seiner Mutter erzähle er alles, in der Schule melde er sich nur, wenn er gefragt werde.
Er lernt schwimmen, arbeitet nebenbei als Austräger, muss dann aber in einen anderen Teil Hannovers umziehen. Wir begleiten ihn, fast unspektakulär, aber liebe- und verständnisvoll. Eine ganz normale Jugend in schwierigen Zeiten, sie entwickelt sich hin zum Dritten Reich und seinen Verstrickungen.
Der Roman vermittelt alltägliche Sorgen und Wissenswertes, z.B. über die Gute Stube, die für wohlhabendere Familien notwendig wurde. Ein Raum, heute das Wohnzimmer, der abgeschlossen blieb und nur für besondere Festtage bzw. Besuche vorbehalten war.
Heinrichs Mutter setzt aber durch, dass dieser Raum nach ihrer Heirat mit einem Gärtner auch von Heinrich benutzt werden konnte. Hier aber ruhte sich sonntags der Ehemann aus, um das Geschirr-Geklapper der Küche nicht hören zu müssen.
Heinrich geht mit seinem Stiefvater auch in die ev. Kirche und hört vom Opfer Jesu und dem Opfer, das jeder für das Vaterland notfalls zu bringen hätte. Die Indoktrination nahm alle Hürden und Organisationen, sie infiltrierte alle Bereiche des Lebens.
Heinrich und seine Mutter, später kommt der Stiefvater dazu. ziehen mehrfach in und um Hannover um, er genießt das Schwimmen in Flüssen und Seen und findet seine Zufriedenheit in der Ruhe und beim Melken von Kühen. Eine Kunst gewissermaßen, die gekonnte Behandlung eines anderen Lebewesens. Dabei kommen ihm seine mathematischen Fähigkeiten und die Erinnerungsfähigkeit zugute, er ist etwas eigenbrötlerisch, aber zufrieden mit sich selbst.
„Menschen wie Maschinen“ - so charakterisiert seine Mutter eine neue, marschierende, idealistische Bewegung für Volk und Vaterland. Für Heinrich verheißt das nichts Gutes, befremdet wendet er sich ab von den Liedern und dem endlosen Marschieren der neuen Bewegung. Seine Kammer beim Stall und die Arbeit mit den Kühnen ist ihm genug.
Von Heini, seinem alten Spitznamen, wird er zum Hein als Anerkennung seiner hervorragenden Leistungen beim Melken, schließlich, Heinrich, der Musterknabe. Nicht allen gefällt das, er müsse mehr aus sich herausgehen, nicht so stumm sein. Ein Mitknecht steckt ihm: „Wenn Du fast nichts sagst, denken die, dass Du dich für was Besseres hältst.“
Schließlich landet er beim RAB, dem Reichsarbeitsdienst und das Unheil nimmt seinen Lauf. Obwohl man weiß, wie die Geschichte ausgeht, liest sich das Buch als ein spannender Bericht eines normalen, ruhigen, zufriedenen Lebens, das schließlich durch eine hanebüchene Ideologie zerstört wird.
So still und ruhig wie der Protagonist und doch so eindringlich wie selten, dieser Roman ist mit seiner gekonnten, leisen Erzählweise etwas ganz Besonderes. Die Zeit aus den 20er und 30er Jahren steht vor dem Leser, sie erhebt sich unheilvoll auf ein Leben, das nichts mit dem ganzen Brimborium zu tun haben wollte.