Sie ist jung, sie ist schön, und sie ist stolz – ihr Vater, der alte Graf und Patriarch Benno von Waldenburg, weiß genau, warum er seine Lieblingstochter dazu auserkoren hat, die Herrin auf Schloss Waldenburg zu werden. Es ist die große Überraschung, die er auf der herrlichen Feier anlässlich seines 60. Geburtstags verkündet. Sie führt zum Eklat – denn sein maßloser, ungeratener Stiefsohn Ingo denkt gar nicht daran, auf seine Ansprüche zu verzichten. Er will vor Gericht klagen. Die gräfliche Familie wird unruhige Zeiten erleben. Die junge Gräfin ist eine Familiensaga, die ihresgleichen sucht. Die junge Gräfin ist eine weit herausragende Figur, ein überzeugender, zum Leben erwachender Charakter – einfach liebenswert. Alexandra von Waldenburg wusste nicht mehr, wie oft sie an diesem Vormittag bereits auf ihre Uhr gesehen hatte, und so unkonzentriert wie heute war sie bei ihrer Arbeit auch noch niemals zuvor gewesen. Sie war nicht in der Lage, zwei zusammenhängende Sätze hintereinander zu lesen und deren Sinn zu erfassen. Die Worte flatterten an ihr vorbei wie aufgeregte Schmetterlinge. Ja, aufgeregt, das war es wohl. Sie war aufgeregt, angefüllt mit spannender Erwartung. Solche Gefühle hatte sie noch nie zuvor erlebt. Oder vielleicht doch, als kleines Mädchen, an Weihnachten, wenn sie sich etwas ganz Besonderes gewünscht hatte. Etwas Besonderes stand ihr heute Mittag auch bevor, nämlich das Wiedersehen mit … Joe. Sie ließ ihren Stift fallen und lehnte sich in ihren Stuhl zurück, schloss die Augen und verlor sich in Erinnerungen. Erinnerungen an den gestrigen Abend im Kino, wo dieser Fremde neben ihr gesessen hatte, von dem von der ersten Sekunde an eine Faszination ausgegangen war. Sie seufzte abgrundtief auf, denn noch jetzt ärgerte sie sich darüber, dass sie seine Einladung auf ein Glas Wein nicht angenommen hatte, sondern nach Hause gefahren war. Zum Glück hatte sie sich mit ihm für heute Mittag verabredet, da konnte sie ihm all die Fragen stellen, die ihr seither durch den Kopf gegeistert waren, vor allem wollte sie sich nach seinem richtigen Namen erkundigen … Joe. Er hatte den Namen lässig in den Raum geworfen. Aber so hieß doch niemand, zumindest nicht jemand wie er, der nicht nur phantastisch aussah, sondern ebensolche Manieren besaß. Nun ja, sie hieß ja auch nicht Alexa, was er jetzt von ihr glaubte. Eigentlich hatte sie ihm schon ihren Namen nennen wollen, Alexandra. Darum musste sie sich jetzt keine Gedanken mehr machen, sie würden nicht nur miteinander essen, sondern ganz gewiss danach noch Zeit miteinander verbringen. Und sie würden sich wiedersehen, das stand jetzt schon fest. Merkwürdig war schon, dass sie sich bislang noch nie begegnet waren. Ein Typ wie er, der wäre ihr doch sofort aufgefallen, und die Waldenburgs, die waren überall bekannt, seltsam, dass auch er sie nirgendwo einordnen konnte.