Die Ausbrecherin.
Asmaa al Atawnas Debütroman ist der Bericht einer Rebellion, einer Sehnsucht nach Ausbruch, nach Bruch mit den Regeln ihrer patriarcharlischen Gesellschaft, nach Freiheit, nach dem eigenen Ich.
Das Buch gliedert sich in zwei Teile: Der Weg hinaus und das Leben dort. Beides in
Ich-Form geschrieben. Es ist flüssig zu lesen, in schnörkellosem Stil, fast ein bisschen…mehrDie Ausbrecherin.
Asmaa al Atawnas Debütroman ist der Bericht einer Rebellion, einer Sehnsucht nach Ausbruch, nach Bruch mit den Regeln ihrer patriarcharlischen Gesellschaft, nach Freiheit, nach dem eigenen Ich.
Das Buch gliedert sich in zwei Teile: Der Weg hinaus und das Leben dort. Beides in Ich-Form geschrieben. Es ist flüssig zu lesen, in schnörkellosem Stil, fast ein bisschen „schulaufsatzmäßig“.
Als Tochter einer palästinensischen Mischfamilie, Beduinen und wohlhabende Bauern, bricht sie schon früh die Spielregeln ihrer Gesellschaft. Sie ist aufsässig und rebellisch. Aber ihr Gefühl des Einge-sperrtseins ist nicht nur den gesellschaftlichen Riten geschuldet, sondern potenziert sich dadurch, dass sie im Gaza-Streifen aufgewachsen ist, unter israelischer Besatzung, ohne die Freiheit des Kommens und Gehens nach eigenem Belieben.
Anschaulich schildert sie ihr Viertel, das sog. „Schwarze Viertel,“ weil das Flüchtlingslager an das Viertel der „Schwarzen“ (ehemaligen Sklaven) grenzte, ein Labyrinth für jeden Fremden. Angesprochen wird der inner-palästinensische Rassismus: Ausgrenzung und Verachtung gegenüber dunkelhäutigen, schwarzen Menschen.
Plastisch und lebendig erleben wir den Alltag mit seinen fest gefahrenen Strukturen und seiner sozialen Kontrolle, Namen bekommen ein menschliches Antlitz: die Großeltern und Geschwister, die Nachbarn. Die Brüder Râmi und Abdallah. In der Schule Streiche und körperliche Züchtigung. Aber die kannte sie von zu Hause: die Mutter benutzte ein schmales Bambusrohr oder einen Schlauch, der Großvater einen Gehstock, der Vater einen Ledergürtel.
Sie schrieb sich mit 18 Jahren an der neuen Al Fatah-Universität ein und lebte bei ihrer verheirateten Schwester Amal. Zum ersten Mal fühlte sie sich frei in Gaza, die Intifada war zu Ende, das Oslo-Abkommen in Kraft und Vaters Wut war weit entfernt. Sie vertiefte sich in Romane, entdeckte andere Schicksale, fühlte sich dadurch nicht mehr allein.
Da sie wegen unbotmäßigen Verhaltens von der Uni verwiesen wurde, suchte und fand sie Arbeit: als Reporterin bei einer Nachrichtenagentur. Sie schrieb über die Bewohner der überfüllten Lager, über Besatzung und Armut, Arbeitslosigkeit und Kriminalität und die naiv-bevormundende UNRWA: „sie behandelt uns wegen Kopfschmerzen, obwohl wir eigentlich Krebs haben.“
Durch Zufall hatte sie in der Zeitung vom Märtyrertod Abdallahs gelesen und die triste Begegnung mit Râmi auf dem Friedhof ließen Trauer, Kummer und Wut in ihr aufsteigen.
Es war Zeit zu gehen, zu fliehen, der Hölle zu entrinnen. „An einen ruhigeren und grüneren Ort.“
Wir lesen, wie sich Aufsässigkeit und Anderssein entwickelt und artikuliert: gegen die Unmündigkeit in einer patriarchalischen Gesellschaft, gegen die Strangulierung des eigenen Ichs. Vielleicht hatte Asmaa schon das Gen der Rebellion durch ihre Geburt in sich: fast erstickt durch die Nabelschnur, der Fluch des Vaters, dass sie nicht der ersehnte Stammhalter war. Vielleicht spielte ihr hier das Unterbewusste einen Streich: sich Freiheiten wie ein Junge nehmen zu wollen. Ganz wichtig ist ihr zu betonen, dass es ihr primär um die persönliche Freiheit ging. Die politische Unfreiheit war nicht unbeteiligt an dem Gefühl der Enge, war aber nicht der ausschlaggebende Punkt ihres Ausbruchs. Gewiss gilt dieser Wunsch nach Ausbruch auch für junge Männer. Denn auch sie unterliegen den ungeschriebenen sozialen Gesetzen ihres Umfeldes.
Sie wollte nicht als Widerstandskämpferin abgestempelt werden, sondern sie wollte nur wie Virginia Woolf: A Room of One’s Own. Und dieser ganz eigene Raum, im architektonischen wie im seelischen Sinn, ist wohl die Essenz dieses Buches und vielleicht auch ein Lösungspunkt: sich der familiären und sozialen Kontrolle entziehen zu können. Um frei zu atmen, Kraft zu schöpfen, tagträumerisch an die Decke zu starren oder aus dem Fensterchen zu schauen, ungestört zu lesen und zu denken, Tagebuch zu schreiben……