Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Ein warmer heller Frühlingstag. Der kleine Garten, der zu dem Schlößchen gehörte, prangte und leuchtete in herrlichster Blütenpracht. In verschwenderischer Fülle hingen die Fliederdolden schwer an den strauchartigen Bäumchen. Einige Zweige standen auch in der Vase mitten auf dem reizvoll arrangierten Kaffeetisch, der bei diesem sonnigen Wetter seinen Platz auf der Terrasse des Schlößchens hatte. Die Besitzerin aller dieser Herrlichkeiten paßte sehr gut in das leuchtende Blühen dieses Frühlingstages, diese weißgekleidete schlanke Gestalt mit dem kupferfarbenen Lockenhaar und der Haut wie Milch und Blut. Diese Frau war immerhin achtunddreißig Jahre alt, aber niemand würde es ihr geglaubt haben, wenn sie ihr Alter verraten hätte. Man hielt sie bestimmt für zehn Jahre jünger und fand ihren Gatten viel zu alt für sie, der mit seiner hohen vornehmen Gestalt, dem vollen schneeweißen Haar und den klugen, gütigen Augen wie ein Grandseigneur der alten Schule aussah. Eigentlich hätte seine Schwester, die Gräfin Rödering, die ihm in dem bequemen Rohrsessel gegenübersaß, diese gütigen Augen haben müssen, sie hätten zu der Dreiundfünfzigjährigen besser gepaßt. Doch diese hatte nichts Gütiges in ihren kalten graublauen Augen. Ihre ganze Erscheinung strömte eine so stolze Unnahbarkeit aus, daß man ihr überall und zu jeder Zeit größte Ehrerbietung entgegenbrachte, ihr sonst aber möglichst aus dem Weg ging. Und ihr Sohn, der gleichfalls mit an dem Tisch saß, war ihr nur zu ähnlich. Wenigstens was Stolz, Unnahbarkeit und Gelassenheit anbetraf. O ja, schön war er schon, der Graf Eckehard Rödering, Herr und Gebieter der großen Herrschaft Rautenbruch. Die stolzen, harten Züge, die kalten, durchdringenden Grauaugen und diese hohe aristokratische Gestalt gab es so nicht zum zweiten Male. Nun reichte er seiner Tante – o ja, die schöne, bezaubernde Frau war seine Tante, die Tasse zum Füllen hin. »Gnädigste Tante, kredenze mir noch einen so wunderbaren Trank, den du wie eine Zauberin zu brauen verstehst.« Sie nahm die Tasse entgegen und drohte ihm lachend. »Der alte Schwerenöter bist du geblieben, Eckehard – obgleich du dich sonst in den zehn Jahren sehr verändert hast.« Sie sah ihm in das rassige Gesicht, über das ein merkwürdiges Lächeln huschte. »So, meinst du?«