»Keinland" ist ein Liebesroman, aber auch ein Roman über Schuld, Erinnerung, Herkunft und Grenzen. Eigentlich hatte Nadja nur ein Interview mit Martin Stern führen wollen, aber von der ersten Sekunde an ist da eine schwer erklärbare Nähe - und eine Fremdheit, die sich auch dann nicht auflöst, als die beiden sich näherkommen. Woher rührt diese Nähe? Und warum ist diese Fremdheit nur so schwer zu überwinden? Nadja sagt ja zu dieser Liebe, an die Martin nicht recht glauben kann. Martin, der als Jude in Frankfurt am Main aufgewachsen ist, Deutschland aber nach der Wiedervereinigung verlassen hat und nach Tel Aviv gezogen ist. Zu vieles liegt zwischen den beiden: biographische Erfahrungen, geographische Entfernung und eine Vergangenheit, die nicht nur mit den eigenen Lebensläufen zu tun hat. Das falsche Land, das richtige, das neue, das heilige - Jana Hensel lotet in kunstvollen Zeitsprüngen und Erinnerungen an Tage in Berlin und Nächte in Tel Aviv, an tiefe Innigkeit und immer wieder scheiternde Gespräche die Grenzen zwischen zwei Liebenden aus. Dabei umkreist sie mit großer sprachlicher Kraft und Intensität unsere Auffassung von Heimat, Geschichte und Schicksal und stellt mit ihren Charakteren die Frage, wie weit die Vergangenheit unser Leben bestimmt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2017Als das Wünschen nicht mehr geholfen hat
Israel ist nicht die Toskana: Jana Hensels Liebesroman "Keinland" verlangt fühlende Leser
Es fällt nicht leicht, den Debütroman von Jana Hensel zu kritisieren - so, wie es auch nicht leichtfällt, jemanden zu kritisieren, der richtig arg verliebt ist und nicht mehr klar denken kann.
Dass die Ich-Erzählerin dieses Romans richtig arg verliebt ist, merkt man schon an ihrer schwankenden Erzählhaltung, die vom Versuch einer Distanzierung geprägt ist. Sie bemüht sich, die Geschichte ihrer gescheiterten Fernbeziehung in der dritten Person zu erzählen. Doch es gelingt ihr nicht, dabei zu bleiben, sie gerät immer wieder in die Du-Form. So wird aus dem Roman ein Liebesbrief: "Kommst Du wieder zurück zu mir, Martin?"
Doch Martin bleibt fort, sein frühmorgendliches Verschwinden aus dem Leben der Erzählerin steht am Anfang und am Ende des Buches, dazwischen die Reflexion über eine schwierige Partnerschaft, die teilweise auch in minutiösen, dabei wenig überraschenden Dialogen dargestellt wird ("Es geht nicht immer nur um dich. Verstehst du das?").
Die Zurückgebliebene, sie heißt Nadja und ist Journalistin in Berlin, wirkt fast traumatisiert, so schleifenhaft repetitiv ist ihre Erzählung, die sich teils dem Bewusstseinsstrom annähert. Und unter dem Schock des Verlassenseins entblößt sich diese Nadja emotional völlig, dabei auch vergessend, dass manche Liebeserfahrungen, die man halt so macht, wie einzigartig sie auch brennen und schmerzen mögen, niedergeschrieben doch nur Trivialliteratur ergeben: "Ich will mit dir essen. Ich will mit dir spazieren gehen. Ich will mit dir reden. Ich will mit dir schlafen. Vielleicht will ich auch mit dir weinen."
Der Kritiker in einem sagt: Solche Sätze sollten besser nicht in einem Roman stehen, sie sind dafür einfach nicht interessant genug. Der fühlende Mensch sagt: Ja, solche Sätze kann es geben, noch und noch. Schwieriger wird es dann schon bei anderen Sätzen, deren Kitsch und Klischeehaftigkeit dann doch kaum auszuhalten ist: "Zeitungen sind nichts für Träume", sagt die Journalistin einmal, die Liebhaberin wiederum weiß: "Sex ist in der Vorstellung am schönsten."
Dem Trivialen etwas Besonderes entgegenzusetzen versucht der Roman durch die Herkunft der beiden Liebenden. Er, Martin, um die fünfzig, ist ein in Frankfurt am Main geborener Jude, dessen Eltern Auschwitz überlebt haben. Sie, Nadja, ist eine Mittdreißigerin, die noch bis zu deren Untergang die DDR erlebt hat und diese nun als "das falsche Land" bezeichnet. Aber das "richtige Land", die Bundesrepublik Deutschland, ist auch Martin nie Heimat geworden, er leidet zudem an einer von den Eltern übernommenen Überlebendenscham. Somit fühlen sich beide Figuren heimatlos, und dieses Schicksal versucht die Erzählerin zu ändern mit einer poetischen Utopie: "Wir müssen unbedingt ein neues Land gründen! Unser Land. Bitte. Mit einem Tisch und zwei Stühlen, einem Bett und einem Schrank. Mehr brauchen wir doch nicht. Wie schön das klingt!"
Ja, das klingt fast so schön wie im Kinderbuch von Janosch, doch während der Bär und Tiger ihr Traumland am Ende vor der Haustür finden, verrät bei Jana Hensel schon der Buchtitel, dass es für Martin und Nadja nur "Keinland" gibt, nur den unverwirklichten Wunsch.
Ein Großteil dieses Buches handelt davon, wie Nadja auf einer Reise durch das reale Israel versucht, Martins Geschichte und die der Juden überhaupt besser zu verstehen. Sie leistet Trauerarbeit in Yad Vashem, begegnet überall den Spuren des Holocaust und bleibt doch gefangen in ihrer Erfahrungswelt, wenn sie nahe Jerusalem feststellt: "Es roch wie in der Toskana." Umgekehrt beklagt sie, dass Martin sich für ihr Berlin nicht interessiere. Der Graben zwischen beiden bleibt zu tief. Nadja kommt nicht umhin, zu erkennen, dass "meine Leute seine Leute in den Tod geschickt haben". Und in einer Schlüsselpassage, die fast wie ein Bühnenmonolog klingt, erklärt Martin, dass er sich als Verlorener fühlt, der nur in der Vergangenheit seiner jüdischen Vorfahren lebt und keine Zukunft hat.
Dass Jana Hensels Buch dezidiert die Genrebezeichnung "Liebesroman" trägt, soll wohl vor allem ein Signal an jene Leser sein, die sie als Journalistin und Sachbuchautorin ("Zonenkinder", 2002, "Neue deutsche Mädchen", 2008) kennen, dass sie nun etwas anderes wagt. Auf der Suche nach einem literarischen Ton hat sich die Autorin offenbar in einen Rausch geschrieben.
Aber vielleicht ist die Entblößung der Ich-Erzählerin inklusive der beschriebenen Banalitäten und stilistischen Redundanzen auch beabsichtigt. Dann wäre auch eine Lesart des Buches möglich, nach der Martin diese Erzählerin nicht nur deshalb verlassen hat, weil er selbst so verloren ist, sondern weil er es mit dieser Frau, die oft genug wie ein reichlich naives Girlie wirkt, einfach nicht mehr ausgehalten hat.
JAN WIELE
Jana Hensel: "Keinland".
Ein Liebesroman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 196 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Israel ist nicht die Toskana: Jana Hensels Liebesroman "Keinland" verlangt fühlende Leser
Es fällt nicht leicht, den Debütroman von Jana Hensel zu kritisieren - so, wie es auch nicht leichtfällt, jemanden zu kritisieren, der richtig arg verliebt ist und nicht mehr klar denken kann.
Dass die Ich-Erzählerin dieses Romans richtig arg verliebt ist, merkt man schon an ihrer schwankenden Erzählhaltung, die vom Versuch einer Distanzierung geprägt ist. Sie bemüht sich, die Geschichte ihrer gescheiterten Fernbeziehung in der dritten Person zu erzählen. Doch es gelingt ihr nicht, dabei zu bleiben, sie gerät immer wieder in die Du-Form. So wird aus dem Roman ein Liebesbrief: "Kommst Du wieder zurück zu mir, Martin?"
Doch Martin bleibt fort, sein frühmorgendliches Verschwinden aus dem Leben der Erzählerin steht am Anfang und am Ende des Buches, dazwischen die Reflexion über eine schwierige Partnerschaft, die teilweise auch in minutiösen, dabei wenig überraschenden Dialogen dargestellt wird ("Es geht nicht immer nur um dich. Verstehst du das?").
Die Zurückgebliebene, sie heißt Nadja und ist Journalistin in Berlin, wirkt fast traumatisiert, so schleifenhaft repetitiv ist ihre Erzählung, die sich teils dem Bewusstseinsstrom annähert. Und unter dem Schock des Verlassenseins entblößt sich diese Nadja emotional völlig, dabei auch vergessend, dass manche Liebeserfahrungen, die man halt so macht, wie einzigartig sie auch brennen und schmerzen mögen, niedergeschrieben doch nur Trivialliteratur ergeben: "Ich will mit dir essen. Ich will mit dir spazieren gehen. Ich will mit dir reden. Ich will mit dir schlafen. Vielleicht will ich auch mit dir weinen."
Der Kritiker in einem sagt: Solche Sätze sollten besser nicht in einem Roman stehen, sie sind dafür einfach nicht interessant genug. Der fühlende Mensch sagt: Ja, solche Sätze kann es geben, noch und noch. Schwieriger wird es dann schon bei anderen Sätzen, deren Kitsch und Klischeehaftigkeit dann doch kaum auszuhalten ist: "Zeitungen sind nichts für Träume", sagt die Journalistin einmal, die Liebhaberin wiederum weiß: "Sex ist in der Vorstellung am schönsten."
Dem Trivialen etwas Besonderes entgegenzusetzen versucht der Roman durch die Herkunft der beiden Liebenden. Er, Martin, um die fünfzig, ist ein in Frankfurt am Main geborener Jude, dessen Eltern Auschwitz überlebt haben. Sie, Nadja, ist eine Mittdreißigerin, die noch bis zu deren Untergang die DDR erlebt hat und diese nun als "das falsche Land" bezeichnet. Aber das "richtige Land", die Bundesrepublik Deutschland, ist auch Martin nie Heimat geworden, er leidet zudem an einer von den Eltern übernommenen Überlebendenscham. Somit fühlen sich beide Figuren heimatlos, und dieses Schicksal versucht die Erzählerin zu ändern mit einer poetischen Utopie: "Wir müssen unbedingt ein neues Land gründen! Unser Land. Bitte. Mit einem Tisch und zwei Stühlen, einem Bett und einem Schrank. Mehr brauchen wir doch nicht. Wie schön das klingt!"
Ja, das klingt fast so schön wie im Kinderbuch von Janosch, doch während der Bär und Tiger ihr Traumland am Ende vor der Haustür finden, verrät bei Jana Hensel schon der Buchtitel, dass es für Martin und Nadja nur "Keinland" gibt, nur den unverwirklichten Wunsch.
Ein Großteil dieses Buches handelt davon, wie Nadja auf einer Reise durch das reale Israel versucht, Martins Geschichte und die der Juden überhaupt besser zu verstehen. Sie leistet Trauerarbeit in Yad Vashem, begegnet überall den Spuren des Holocaust und bleibt doch gefangen in ihrer Erfahrungswelt, wenn sie nahe Jerusalem feststellt: "Es roch wie in der Toskana." Umgekehrt beklagt sie, dass Martin sich für ihr Berlin nicht interessiere. Der Graben zwischen beiden bleibt zu tief. Nadja kommt nicht umhin, zu erkennen, dass "meine Leute seine Leute in den Tod geschickt haben". Und in einer Schlüsselpassage, die fast wie ein Bühnenmonolog klingt, erklärt Martin, dass er sich als Verlorener fühlt, der nur in der Vergangenheit seiner jüdischen Vorfahren lebt und keine Zukunft hat.
Dass Jana Hensels Buch dezidiert die Genrebezeichnung "Liebesroman" trägt, soll wohl vor allem ein Signal an jene Leser sein, die sie als Journalistin und Sachbuchautorin ("Zonenkinder", 2002, "Neue deutsche Mädchen", 2008) kennen, dass sie nun etwas anderes wagt. Auf der Suche nach einem literarischen Ton hat sich die Autorin offenbar in einen Rausch geschrieben.
Aber vielleicht ist die Entblößung der Ich-Erzählerin inklusive der beschriebenen Banalitäten und stilistischen Redundanzen auch beabsichtigt. Dann wäre auch eine Lesart des Buches möglich, nach der Martin diese Erzählerin nicht nur deshalb verlassen hat, weil er selbst so verloren ist, sondern weil er es mit dieser Frau, die oft genug wie ein reichlich naives Girlie wirkt, einfach nicht mehr ausgehalten hat.
JAN WIELE
Jana Hensel: "Keinland".
Ein Liebesroman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 196 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Keinland ist ein souveränes Buch, illusionslos und intelligent.« (Heinrich Wefing, Die ZEIT, 26.10.2017) »eine provozierende, eine faszinierende Lektüre - eine Empfehlung!« (Denis Scheck, druckfrisch, 01.10.2017) »Ein trauriges Buch, aber ein beglückendes.« (Jochen Overbeck, SPIEGEL ONLINE, 07.08.2017) »Eine feinsinnige und gelungene Probebohrung in die Geröllwüste der deutschen Geschichte.« (Katrin Schumacher, MDR, 01.08.2017) Hensel »schafft mit literarischer Dichte und einem sensiblen Blick fürs Historische viel mehr als nur eine reine Liebesgeschichte« (André Böhmer, Leipziger Volkszeitung, 01.08.2017) »'Keinland' ist stark assoziativ, in sich melodisch, mit schönen, klaren Bildern« (Sarah Pines, Die literarische Welt, 29.07.2017) »meisterlich« (Martin Kluger, Neue Zürcher Zeitung, 29.07.2017) »Die sensible Bilanz einer Herzensangelegenheit - mit Sätzen, die im Kopf hängenbleiben« (Börsenblatt, 14.6.2017) »'Keinland' zieht den Leser mit viel poetischer Kraft hinein in eine intensive Liaison zwischen einer deutschen Journalistin und einem israelischen Geschäftsmann.« (André Böhmer, Dresdner Neueste Nachrichten 01.08.2017) »nochmals vielen Dank für diesen gut geschriebenen Roman. Er entwickelt interessante Gedanken und schlägt eine Brücke zwischen Israel und Deutschland.« (Meike Blanke, Horner Buchhandlung, Bremen) Interview mit Jana Hensel in der Berliner Zeitung, 30.07.2017 »Es gelingt ihr in ihrem literarischen Debüt, eine Sensibilität für die Prägungen zweier sehr unterschiedlicher Generationen zu schaffen.« (Doreen Mildner, dpa, 01.08.2017) »ein leises, sehnsüchtiges literarisches Debüt« (Kristina Pleinert, fixpoetry.com, 01.08.2017) »'Keinland' - ein sehr schönes, zartes und mutiges Buch« (Susanne Rikl, gute-buecher-lesen.de, 02.08.2017) »Hensel fragt in diesem berührenden Liebesroman nach dem richtigen oder falschen Land (...) und gibt darauf mit »Keinland« eine literarisch leidenschaftliche Antwort.« (Bettina Hesse, WDR 5, 05.08.2017) »Einfühlsamer, vorsichtiger Roman über das Erinnern.« (Yvonne Kraus, www.leselink.de, 14.08.2017) »ein sehr ungewöhnlicher und stiller Roman« (Hauke Harder, www.leseschatz.com, 16.08.2017) »Ein Roman, der weit über seine Figuren hinaus wirkt« (Katja Zimmermann, www.missmesmerized.wordpress.com, 19.08.201 »zart schwingend und alles Zarte zugleich hinterfragend« (Britta Heidemann, WAZ, 25.08.2017) »nicht nur sprachlich fein gesponnen, auch die Perspektiven, die Rückblenden, die Zeiten sind behutsam und klug zu einer Erzählung geschichtet« (Dr. Katrin Schumacher, www.kulturfalter.de, 11.09.2017) »Schwerer Stoff, der leicht präsentiert wird« (Georg Duroy, tip berlin, September 2017) eine »spezielle Liebesgeschichte, die sich abseits der gängigen Klischees zu einem wirklich berührenden Werk mausert« (Alexander Nickel-Hopfengart, zuckerkick.com, 11.09.2017) »Assoziativ und wunderbar melodisch erzählt Jana Hensel von diesen zwei Geschichtszerriebenen, die sich schmerzlich bemühen, nicht zu scheitern.« (Göttinger Tageblatt, 15.09.2017) »anmutig, kraftvoll und intensiv« (Senta Wagner, Buchkultur, Oktober/November 2017) »Ein schönes Buch für kalte Novembertage und gebrochene Herzen.« (www.bild.de, 11.10.2017) »Jeder Satz, jeder Gedanke sitzt tief.« (aviva-berlin.de, 09.09.2017) »Jana Hensel weiß davon anmutig, kraftvoll und intensiv zu erzählen.« (Senta Wagner, derhotlistblog.wordpress.com, 08.09.2017) ein »kluges Buch« (Susanne Emschermann, Buchprofile/medienprofile, 2017, Heft 4) »man kann sich, mit intellektueller und emotioneller Begeisterung, verlieren in ausgefeilten Sätzen« (Manfred Allenhöfer, Heidenheimer Zeitung, 15.12.2017) »Der Autorin gelingt es in intensiver psychologischer Sprachmelodie das bebende Seelenleben der Liebenden mitreißend zu öffnen und in spannender Story zu entwickeln.« (Walter Pobasching, literaturoutdoors.wordpress.com, Oktober 2017)