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Liebende sind halbe Wesen, sie suchen nach Ergänzung. So wie Tabea, die an der Seite ihres ewig abwesenden, omnipotenten Mannes verkümmert, bis sie sich an ihm für etwas rächt, das ihr vor langer Zeit jemand anderer angetan hat. Wie Albert, den es auf den Spuren seiner Frau, die ihm durch eine Krankheit fremd geworden ist, bevor sie ihm durch den Tod genommen wurde, an den Ort des letzten gemeinsamen Urlaubs nach Italien zieht. Oder Uta, die alleinstehende Leiterin eines Familienzentrums, das unter ihrer Führung einen Aufschwung nimmt, bis sie der Faszination für einen Flüchtling von…mehr

Produktbeschreibung
Liebende sind halbe Wesen, sie suchen nach Ergänzung. So wie Tabea, die an der Seite ihres ewig abwesenden, omnipotenten Mannes verkümmert, bis sie sich an ihm für etwas rächt, das ihr vor langer Zeit jemand anderer angetan hat. Wie Albert, den es auf den Spuren seiner Frau, die ihm durch eine Krankheit fremd geworden ist, bevor sie ihm durch den Tod genommen wurde, an den Ort des letzten gemeinsamen Urlaubs nach Italien zieht. Oder Uta, die alleinstehende Leiterin eines Familienzentrums, das unter ihrer Führung einen Aufschwung nimmt, bis sie der Faszination für einen Flüchtling von rätselhafter Abkunft erliegt.In drei Erzählungen, die von sehr persönlichen Krisen in sehr gegenwärtigen Lebensverhältnissen handeln, begegnen wir Figuren und Motiven antiker Mythen, Sirenen und Kentauren, vergifteten Gewändern und sich in Bäume verwandelnden Frauen. Dingen aus dem Halbdunkel, die in ihrer phantastischen Uneindeutigkeit den Glauben an die Unverrückbarkeit des Bestehenden, an dem wir selten zweifeln, aber allzu oft verzweifeln, untergraben können.
Autorenporträt
geboren 1953 in Darmstadt, lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin (Paula Fox, Antonia S. Byatt, Irène Némirovsky u.a.) in München. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Tukan-Preis für ihren Roman Der Vogelgott, der 2018 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Rückkehr der Epiphanie

Tier oder Tor? Susanne Röckels Erzählungen schildern moderne Menschen unter dem Bann antiker Mythen.

Ohne Mythos, heißt es bei Nietzsche, "geht jede Cultur ihrer gesunden schöpferischen Naturkraft verlustig". Erst durch den Mythos würden die "Kräfte der Phantasie" aus "ihrem wahllosen Herumschweifen gerettet". Der Titel ist ohne Zweifel Programm: Susanne Röckels Erzählungsband "Kentauren im Stadtpark" sucht die griechische Götterwelt im urbanen Meublement, die archaische Triebstruktur im Bewohner des digitalen Zeitalters. Der Mythos als ein, wie die Autorin in der Vorbemerkung meint, "Raum des Halbdunkels, der Unordnung und Uneindeutigkeit" wird zum Beweggrund heutigen Erzählens.

Zwei der drei annähernd gleich langen Geschichten sind aus einer weiblichen, eine aus einer männlichen Perspektive erzählt. Am dramatischsten geht es in der ersten zu: "Das Hemd des Nessos" reflektiert die Geschichte der Gattin des Herakles, die vom Kentauren Nessos durch einen Fluss getragen und mittendrin unsittlich bedrängt wird. Herakles bringt den Unhold mit einem vergifteten Pfeil zur Strecke, bevor Nessos stirbt, empfiehlt er der Frau sein blutgetränktes Hemd als Liebeszaubermittel. Viel später wird es dem Helden zum Verhängnis, frisst sich unablösbar in seine Haut. Bei Susanne Röckel ist es der Ökologieprofessor Roland, der als Leiter weltweiter Entwicklungshilfeprojekte herkulische Kräfte braucht - und viele junge Frauen. Seine Gattin und ehemalige Studentin Tabea hat gelernt, über die Akrobatik seiner Seitensprünge hinwegzusehen. Als Roland jedoch mit seiner neuen Flamme gleich für sieben Wochen in Indonesien abtaucht, besinnt Tabea sich auf das Geschenk, das sie einst nach einem traumatischen Erlebnis auf ihrer Hochzeitsreise ebendort erhielt: Das schmutzige Unterhemd ihres Peinigers besitzt angeblich die magische Kraft, die Liebe eines untreuen Mannes zurückzugewinnen. Der Mythos verlangt jedoch naturgemäß sein Recht.

In der Erzählung "Sirenen" versucht ein Gymnasiallehrer die Trauerarbeit nach dem Krebstod seiner Frau produktiv werden zu lassen, indem er an den Ort ihres letzten glücklichen Urlaubs im Po-Delta zurückkehrt. Dort nehmen sich die Mitglieder einer landwirtschaftlichen Kooperative seiner an und konfrontieren ihn, halb im Ernst, halb im Scherz, mit einer etruskischen Ausgabe des Sirenen-Mythos. An der Schwelle zum Totenreich erlebt der Witwer eine Katharsis und macht sich frei vom lähmenden Schuldgefühl. Denn seine Frau ging nicht im Frieden von ihm, sie war eine widerspenstige, zänkische Kranke, hatte ihm vorgeworfen, sie im Stich zu lassen. Schon früher freilich war ihre Ehe unterminiert von "unklaren und unausgesprochenen Vorwürfen, Feindseligkeiten, dunklen Ressentiments, die auch bei kleinsten Anlässen geradezu monströse Ausmaße annehmen konnten. Vielleicht war das die eigentliche Krankheit gewesen, die ihr Zusammensein vergiftet hatte."

Röckels Adaption von "Daphne und Apoll" schließlich greift eine auch von Ovid besungene Metamorphose auf: die Verfolgung der Bergnymphe Daphne durch den liebestollen Apoll und deren rettende Verwandlung in einen Lorbeerbaum. Uta, die neue Leiterin des evangelischen Familienzentrums, ist eine Frau mit grünem Daumen und ehrfurchtgebietender Arbeitskraft, eine unverheiratete, auffallend attraktive Pfarrerin ohne Privatleben, die sonntags beim Joggen im Stadtpark Energie tankt, umso mehr, je weiter sie sich von der gezähmten Natur entfernt: "Und sie spürte, wie etwas in ihr sich rührte und stärker und schmerzhaft wurde, ein seltsames Verlangen, immer weiter wegzugelangen von Häusern und Siedlungen, immer weiter hineinzugelangen in lichtloses Dickicht und Einsamkeit." Die Begegnung mit dem geheimnisvoll souveränen Flüchtling Tarik raubt Uta zum ersten Mal ihre Seelenruhe und löst sie nach und nach aus allen Zusammenhängen des Funktionierens.

Wie schon in Susanne Röckels Roman "Der Vogelgott" entsteht die suggestive Wirkung durch eine kunstvolle Verschränkung von Psychologie und mythischer Zwangsläufigkeit. Den Figuren ist ein Moment der Epiphanie, der Entgrenzung und Verwandlung, gewährt, der, verschüttet und vergessen, im Erlebnis der Krise machtvoll wiederkehrt. Der mythische Augenblick ist zugleich ein mystischer, die Anrufung aus dem Dunkel ebenso verlockend wie bedrohlich und, im schönen Rhythmus dieser Prosa, stets sinnlich inszeniert, sei es in der Wirrnis eines Flussdeltas, sei es im Wald: "Immer wieder stieg ihr der würzige Waldgeruch in die Nase, Salbei und Thymian, Harz und Sand und Ziegen und brackiges Wasser, und sie wusste, dass sie sich der alten Heimat näherte." Die Autorin verschmäht dabei die billige Lösung, das Treiben der Chimären als bloße Hirn- und Traumgespinste zu erklären; sie nimmt die Wirklichkeit des Mythos ernst und setzt sich den Wagnissen des magischen Denkens aus, im Sinne Franz Grillparzers: "Ohne Ahnung vom Übersinnlichen wäre der Mensch allerdings Tier; eine Überzeugung davon aber ist nur für den Toren möglich."

Die Macht des Mythos zwingt auch zu einem anderen Blick auf das Verhältnis von Mann und Frau, sie entblößt einen Antagonismus ohne feministische Beruhigung. Mit dem egozentrischen Workaholic und Genussmenschen Roland ist für Tabea keine Balance möglich. Und in ihrer Faszination für das Sagenvolk der Kentauren, deren tierhafte Stärke und deren Schwanken zwischen Sanftmut und Wildheit, spiegelt sich eine archaische Angstlust, eine Mischung von Begehren und Abscheu. Mag sein, dass das gute Ende, das die Autorin den handelnden Personen in den beiden ersten Erzählungen gönnt, sich mit der Wucht des Mythischen nicht wirklich verträgt. Vielleicht bleibt "Daphne und Apoll" auch gerade deshalb nachhaltig im Gedächtnis - weil da das Unrettbare des Einzelschicksals nicht repariert wird; aber vermutlich auch, weil erst eine gewisse Emanzipation vom mythischen Muster die Freiheit und Subtilität der Erzählung garantiert.

Denn in "Kentauren im Stadtpark" wird der Rekurs auf den Mythos hie und da etwas überstrapaziert: Geht es um Nessos, figurieren gleich zwei Männer mit Waldschratbart, Brusthaarwolle und behaarten Händen als imaginäre Pferdemenschen, Algernon Blackwoods Roman "The Centaur" taucht auf und Tabeas Schwester referiert die Geschichte auch noch in einem Brief. "Mit vierundsechzig immer noch ein Herkules", heißt es über Roland. Und Tarik, der schöne "orientalische Prinz", wird zweimal "ein Apoll" genannt, damit auch ja kein Leser die Zuordnung übersieht.

Dort, wo Susanne Röckel auf solche Deutlichkeit verzichtet, erscheint die Gegenwart der Erzählung wie von selbst durchsichtig, entfaltet die antike Tiefenstruktur eine irritierende Anschaulichkeit und Überzeugungskraft - und es ist, wie Nietzsche meinte, "in jedem Augenblick, wie im Traume, alles möglich, und die ganze Natur umschwärmt den Menschen, als ob sie nur die Maskerade der Götter wäre."

DANIELA STRIGL

Susanne Röckel: "Kentauren im Stadtpark".

Verlag Jung und Jung,

Salzburg/Wien 2019. 221 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Manuela Reichart lässt sich von Susanne Röckel bereitwillig in die Abgründe der Seele entführen. Wie die Autorin die Gültigkeit alter Mythen wie desjenigen von Herakles oder von Daphne und Apoll für heutige Beziehungsgeschichten nachweist, indem sie die antiken Geschichten variiert und die Sehnsucht ihrer Figuren nach ihrer Kraft veranschaulicht, findet Reichart überzeugend. Röckel beschreibt keine Traumbilder, sondern stellt eine geradezu zwangsläufige Verbindung her, die unmittelbar einleuchtet, meint die Rezensentin.

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