Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2012Einen Ameisenhaufen bei Amazon kaufen
Schwärme tödlicher Maschinen mit messerscharfen Sinnen entfesseln einen Weltkrieg. Menschen sind darin nicht mehr Krieger, sondern nur noch Ziele. Der Technothriller "Kill Decision" von Daniel Suarez ist eine exemplarische Spitzenleistung eines wenig analysierten Genres. Übertreibungen braucht er kaum.
Nicht genug damit, dass die fliegenden, in beweglichen Verbänden operierenden Drohnen alles sehen und hören, von Infrarot bis Ultraschall, was in ihrem battlespace passiert, wo die ubiquitär überwachungsanfällige IMEI (International Mobile Equipment Identity) jeder handybesitzenden Person ohnehin eine wandelnde Zielscheibe aus ihr macht. Auf dem Höhepunkt der Verzweiflung über die Engmaschigkeit solcher Fangnetze müssen die Heldin und der Held vielmehr obendrein lernen, dass die Mistdinger sie inzwischen auch noch riechen können: Der menschliche Atem sondert fünfzehn verschiedene Chemikalien ab, die elektronische Sensoren erschnuppern und zur Zielerfassung nutzen können.
Wer an dieser Stelle der Lektüre des Romans "Kill Decision" von Daniel Suarez die Glaubwürdigkeitsmembran zwischen der Wirklichkeit und dem Erzählkosmos überdehnt findet, hat sich getäuscht: Die beschriebene C-Scout-Mikrosensortechnik gibt es tatsächlich. Ihr künstliches Hirn, das MAS (Molecular Analysis System), zusammengesetzt aus einer Geruchsproben sammelnden und bündelnden Preconcentrator-Vorrichtung sowie einem SSA (Self Sensing Array), wird derzeit zum Beispiel bei der Kontrolle von Frachtschiffcontainern verwendet, um giftige Stoffe, Drogen, chemische oder biologische Waffen, aber auch blinde Passagiere aufzuspüren.
Die aus autonomen Waffenrobotern zusammengesetzten Droidenkollektive, die in "Kill Decision" amerikanische Senatoren, Ölindustrielle, Sicherheitsleute, muslimische Pilger und Wissenschaftler en gros massakrieren, nutzen ihre artifiziellen Riecher freilich nicht nur zum fahndungsleitenden Abhören der chemischen Kommunikation lebendig miteinander interagierender Organismen - einer Sorte ständiger Nachrichtenproduktion also, die selbst sprachunfähige Geschöpfe, ja, sogar Pflanzen unablässig leisten (der Schriftsteller Ken MacLeod hat das, was dabei an die Umwelt abgegeben wird, in griffiger Analogie zur Datenverkehrswirtschaft der Gegenwart "c-mail" getauft). Die eigentlich revolutionäre - und gegenwärtig noch spekulative - Anwendung jener hochentwickelten chemorezeptiven Sensorik, die "Kill Decision" schildert, ist nicht die besagte Spürhundfunktion, sondern eine neuartige Sorte des Informationsaustauschs der autonomen Drohnen untereinander. Wie Ameisen ihr kollektiv paralleles Handeln per Pheromonsignalnetzwerk abstimmen, so verständigen sich die Mechamonster bei Suarez auf Duftbasis, weshalb sich ihre Choreographien auch nicht mehr so leicht, wie bei ihren älteren, radiogelenkten Cousinen, die zum Beispiel Libyens Gaddafi den Garaus gemacht haben, mit Störsendern durcheinanderbringen lassen. Etwa die Hälfte der in Kampfeinsätze geschickten Drohnen geht, so erfahren wir nebenbei, im Augenblick per Abschuss oder Absturz verloren. Das sind Verlustraten, die man sich mit Menschen schon der Mediensituation wegen lieber nicht leistet.
Zum Glück ist die gejagte Heldin Myrmekologin; sie modelliert am Computer gewohnheitsmäßig die Schwarmkooperation der nach dem Menschen kriegerischsten Spezies auf dem Planeten. Ihre Ameisensoftware, geklaut von namenlosen Kriegsgewinnlern, die mittels Terror die gesetzliche und völkerrechtliche Deregulierung der Drohnenkriegsführung erzwingen wollen, lenkt den Tod aus der Luft. Aus diesem Grund eignet sie sich als Köder, mit dem der Held die Strippenzieher des ganzen Terrors aus ihren Nestern locken kann, weil sie die Mitwisserin zum Schweigen bringen müssen. Schließlich inspiriert ihre Expertise sogar einigermaßen spektakuläre Gegenmaßnahmen; Sachschäden in Milliardenhöhe steckt das Buch weg wie Chinakracher.
Die Zusammenarbeit der Naturforscherin Linda McKinney und des Geheimagenten "Odin" findet mit den Mitteln der schlauen Frau, aber auf dem Terrain des zähen Mannes statt. Man kennt den Typus, den er verkörpert, aus Film und Fernsehen, aus "24" und "Mission: Impossible". Der Befehl, dem er folgt, lautet, nicht von der Suche nach den Schuldigen abzulassen, und zwar (hier enthält ein derartiger Befehl seit den Anschlägen vom 11. September 2001 im Krimi stets eine selbstermächtigende Logikschlaufe) sogar dann, wenn irgendwann der Konterbefehl gegeben werden sollte, die Waffen niederzulegen.
Im blutigen Gewirr der Zuständigkeiten zwischen Auslandsgeheimdiensten, Homeland Security, Air Force und klassischer Politik, über das man aus diesem Buch fast so viel lernen darf wie über emergente Intelligenz bei schwarmförmigen Superorganismen und die Verlegung der titelgebenden Tötungsentscheidung aus menschlichem in maschinelles Ermessen, kann einer wie Odin niemandem rechenschaftspflichtig sein, weil er sonst operativ gelähmt wäre. Die Heroisierung dieser partisanenhaften Asozialität des letzten Beschützers einer zerrissenen Weltsozietät hat nicht nur ihr politisch Hochbedenkliches. Sie spiegelt auch das Klassenbewusstsein (ein Wort, das im Buch selbst vorkommt, recht überraschend für einen amerikanischen ActionReißer) einer neuen Sorte von formal unabhängigen Vertragsrevolverhelden im Info-Business, zu denen nicht zuletzt der Verfasser des Romans selbst gehört, der als Berater mächtiger Firmen gearbeitet hat, bevor er seine schriftstellerische Ader entdeckte, und diesen alten Beruf sporadisch weiter ausübt. Nunmehr ist er erst recht gefragt als einer, der Technologiefolgen und Tiefenprobleme der Wissenswirtschaft nicht nur erklären und bewerten, sondern auch erzählen kann. Warum aber schreibt solch ein Mensch etwas so Altmodisches wie einen Roman? Ist konventionelle, an Genrespielregeln gekettete Literatur überhaupt noch in der Lage, die nichtlineare Dynamik politischer, militärischer, wirtschaftlicher Krisenszenarien, die ihr die zeitgemäßen Spielplätze schenken, angemessen abzubilden? Warum lesen Leute - und weiß Gott nicht wenige - die einschlägigen Bücher von Tom Clancy, als dessen Thronerbe Suarez gehandelt wird? Was leistet die Gattung, in der zwischen Michael Crichton und Walter Jon Williams ("Deep State", "This is not a Game") weit auseinanderstrebende politische Absichten und Perspektiven zu haarsträubenden Plots sowie mal kurzatmigen (bei den Explosionen), mal weitschweifigen (bei den Expositionen) Sätzen gerinnen?
Die gewissermaßen volkspädagogische - und bei einem Riesengeschäft wie diesem zweifellos naive - Antwort wäre, dass der Markt sich hier Mühe gibt, an einer Front Abhilfe zu schaffen, die Karl Kraus beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Erster erblickte, als er erklärte, Gasgranaten, Panzerwagen und Bomben aus der Luft seien nur deshalb möglich, weil die Menschen sich vor lauter altertümelnder Zeitungs-Phraseologie - "das Schwert ziehen", "Enthauptung" - moderne Materialschlachten nicht vorstellen könnten. Sonst würden sie ja das ganze "technoromantische Abenteuer" (Kraus) unterlassen.
An die Stelle der alten Phrasen treten im Technothriller freilich oft bloß neue, modische - bei Suarez wird von einem Soldaten am Bildschirm etwa gesagt, er "glanced up occasionally to gauge the mood of the world", er "eiche" also, ganz Technogeschöpf, die Stimmung, statt sie bloß "einzuschätzen" oder dergleichen -, und mit unbewaffnetem Auge wird nicht einfach hingeschaut, sondern "gescannt".
Näher an der Wahrheit als die Vermutung, hier werde Literatur genuin sprachschöpferisch auf die Fährte des Allerneuesten geschickt, liegt wohl der Subtext einer Szene in "Kill Decision", in der ein Wissenschaftler erläutert, dass Automaten, die alles sehen, nutzlos sind, wenn sie es nicht auch verstehen. Sie brauchen, um uns helfen zu können, die Fähigkeit, das Wahrgenommene in eine Erzählung einzufügen, sie müssen konstruieren können, welche künftigen und alternativen Szenarien einer Beobachtung implizit sind. Die Software, die ihnen im Buch dazu verhelfen soll, heißt "Raconteur", also Erzähler. Ohne dichterischen Anspruch im althergebrachten Sinn sieht sich Suarez wohl als Designer solcher Software und ihrer Unterhaltungsapplikationen für die weichen Rechner in unseren Köpfen.
Mit Science-Fiction darf man derlei nicht verwechseln: Die interessiert sich fürs Technische nur, um begriffliche und phantasmatische Blickwechsel zu erzeugen. Das Machbare ist ihr ein Transformationswerkzeug fürs ständige gierige Wissenwollen. Wissen aber interessiert den Technothriller umgekehrt nur als Fingerzeigressource, die dem Thrillerautor sagt, was heute so alles irre, aber machbar ist.
Der Technothriller formatiert damit Reaktionsweisen von Öffentlichkeiten, die ihre Entmachtung als bürgerliche Souveräne genießen lernen sollen. Die Apparate, die uns besiegt haben, blinken, glitzern und sind so böse, wie erfundene Schurken es nie waren, als sie noch wie Menschen aussehen mussten. Den nächsten Technothriller schreibt vielleicht schon ein Automat von Amazon - ameisenfleißig, effektiv und billig wie eine indonesische Näherin.
DIETMAR DATH
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Schwärme tödlicher Maschinen mit messerscharfen Sinnen entfesseln einen Weltkrieg. Menschen sind darin nicht mehr Krieger, sondern nur noch Ziele. Der Technothriller "Kill Decision" von Daniel Suarez ist eine exemplarische Spitzenleistung eines wenig analysierten Genres. Übertreibungen braucht er kaum.
Nicht genug damit, dass die fliegenden, in beweglichen Verbänden operierenden Drohnen alles sehen und hören, von Infrarot bis Ultraschall, was in ihrem battlespace passiert, wo die ubiquitär überwachungsanfällige IMEI (International Mobile Equipment Identity) jeder handybesitzenden Person ohnehin eine wandelnde Zielscheibe aus ihr macht. Auf dem Höhepunkt der Verzweiflung über die Engmaschigkeit solcher Fangnetze müssen die Heldin und der Held vielmehr obendrein lernen, dass die Mistdinger sie inzwischen auch noch riechen können: Der menschliche Atem sondert fünfzehn verschiedene Chemikalien ab, die elektronische Sensoren erschnuppern und zur Zielerfassung nutzen können.
Wer an dieser Stelle der Lektüre des Romans "Kill Decision" von Daniel Suarez die Glaubwürdigkeitsmembran zwischen der Wirklichkeit und dem Erzählkosmos überdehnt findet, hat sich getäuscht: Die beschriebene C-Scout-Mikrosensortechnik gibt es tatsächlich. Ihr künstliches Hirn, das MAS (Molecular Analysis System), zusammengesetzt aus einer Geruchsproben sammelnden und bündelnden Preconcentrator-Vorrichtung sowie einem SSA (Self Sensing Array), wird derzeit zum Beispiel bei der Kontrolle von Frachtschiffcontainern verwendet, um giftige Stoffe, Drogen, chemische oder biologische Waffen, aber auch blinde Passagiere aufzuspüren.
Die aus autonomen Waffenrobotern zusammengesetzten Droidenkollektive, die in "Kill Decision" amerikanische Senatoren, Ölindustrielle, Sicherheitsleute, muslimische Pilger und Wissenschaftler en gros massakrieren, nutzen ihre artifiziellen Riecher freilich nicht nur zum fahndungsleitenden Abhören der chemischen Kommunikation lebendig miteinander interagierender Organismen - einer Sorte ständiger Nachrichtenproduktion also, die selbst sprachunfähige Geschöpfe, ja, sogar Pflanzen unablässig leisten (der Schriftsteller Ken MacLeod hat das, was dabei an die Umwelt abgegeben wird, in griffiger Analogie zur Datenverkehrswirtschaft der Gegenwart "c-mail" getauft). Die eigentlich revolutionäre - und gegenwärtig noch spekulative - Anwendung jener hochentwickelten chemorezeptiven Sensorik, die "Kill Decision" schildert, ist nicht die besagte Spürhundfunktion, sondern eine neuartige Sorte des Informationsaustauschs der autonomen Drohnen untereinander. Wie Ameisen ihr kollektiv paralleles Handeln per Pheromonsignalnetzwerk abstimmen, so verständigen sich die Mechamonster bei Suarez auf Duftbasis, weshalb sich ihre Choreographien auch nicht mehr so leicht, wie bei ihren älteren, radiogelenkten Cousinen, die zum Beispiel Libyens Gaddafi den Garaus gemacht haben, mit Störsendern durcheinanderbringen lassen. Etwa die Hälfte der in Kampfeinsätze geschickten Drohnen geht, so erfahren wir nebenbei, im Augenblick per Abschuss oder Absturz verloren. Das sind Verlustraten, die man sich mit Menschen schon der Mediensituation wegen lieber nicht leistet.
Zum Glück ist die gejagte Heldin Myrmekologin; sie modelliert am Computer gewohnheitsmäßig die Schwarmkooperation der nach dem Menschen kriegerischsten Spezies auf dem Planeten. Ihre Ameisensoftware, geklaut von namenlosen Kriegsgewinnlern, die mittels Terror die gesetzliche und völkerrechtliche Deregulierung der Drohnenkriegsführung erzwingen wollen, lenkt den Tod aus der Luft. Aus diesem Grund eignet sie sich als Köder, mit dem der Held die Strippenzieher des ganzen Terrors aus ihren Nestern locken kann, weil sie die Mitwisserin zum Schweigen bringen müssen. Schließlich inspiriert ihre Expertise sogar einigermaßen spektakuläre Gegenmaßnahmen; Sachschäden in Milliardenhöhe steckt das Buch weg wie Chinakracher.
Die Zusammenarbeit der Naturforscherin Linda McKinney und des Geheimagenten "Odin" findet mit den Mitteln der schlauen Frau, aber auf dem Terrain des zähen Mannes statt. Man kennt den Typus, den er verkörpert, aus Film und Fernsehen, aus "24" und "Mission: Impossible". Der Befehl, dem er folgt, lautet, nicht von der Suche nach den Schuldigen abzulassen, und zwar (hier enthält ein derartiger Befehl seit den Anschlägen vom 11. September 2001 im Krimi stets eine selbstermächtigende Logikschlaufe) sogar dann, wenn irgendwann der Konterbefehl gegeben werden sollte, die Waffen niederzulegen.
Im blutigen Gewirr der Zuständigkeiten zwischen Auslandsgeheimdiensten, Homeland Security, Air Force und klassischer Politik, über das man aus diesem Buch fast so viel lernen darf wie über emergente Intelligenz bei schwarmförmigen Superorganismen und die Verlegung der titelgebenden Tötungsentscheidung aus menschlichem in maschinelles Ermessen, kann einer wie Odin niemandem rechenschaftspflichtig sein, weil er sonst operativ gelähmt wäre. Die Heroisierung dieser partisanenhaften Asozialität des letzten Beschützers einer zerrissenen Weltsozietät hat nicht nur ihr politisch Hochbedenkliches. Sie spiegelt auch das Klassenbewusstsein (ein Wort, das im Buch selbst vorkommt, recht überraschend für einen amerikanischen ActionReißer) einer neuen Sorte von formal unabhängigen Vertragsrevolverhelden im Info-Business, zu denen nicht zuletzt der Verfasser des Romans selbst gehört, der als Berater mächtiger Firmen gearbeitet hat, bevor er seine schriftstellerische Ader entdeckte, und diesen alten Beruf sporadisch weiter ausübt. Nunmehr ist er erst recht gefragt als einer, der Technologiefolgen und Tiefenprobleme der Wissenswirtschaft nicht nur erklären und bewerten, sondern auch erzählen kann. Warum aber schreibt solch ein Mensch etwas so Altmodisches wie einen Roman? Ist konventionelle, an Genrespielregeln gekettete Literatur überhaupt noch in der Lage, die nichtlineare Dynamik politischer, militärischer, wirtschaftlicher Krisenszenarien, die ihr die zeitgemäßen Spielplätze schenken, angemessen abzubilden? Warum lesen Leute - und weiß Gott nicht wenige - die einschlägigen Bücher von Tom Clancy, als dessen Thronerbe Suarez gehandelt wird? Was leistet die Gattung, in der zwischen Michael Crichton und Walter Jon Williams ("Deep State", "This is not a Game") weit auseinanderstrebende politische Absichten und Perspektiven zu haarsträubenden Plots sowie mal kurzatmigen (bei den Explosionen), mal weitschweifigen (bei den Expositionen) Sätzen gerinnen?
Die gewissermaßen volkspädagogische - und bei einem Riesengeschäft wie diesem zweifellos naive - Antwort wäre, dass der Markt sich hier Mühe gibt, an einer Front Abhilfe zu schaffen, die Karl Kraus beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Erster erblickte, als er erklärte, Gasgranaten, Panzerwagen und Bomben aus der Luft seien nur deshalb möglich, weil die Menschen sich vor lauter altertümelnder Zeitungs-Phraseologie - "das Schwert ziehen", "Enthauptung" - moderne Materialschlachten nicht vorstellen könnten. Sonst würden sie ja das ganze "technoromantische Abenteuer" (Kraus) unterlassen.
An die Stelle der alten Phrasen treten im Technothriller freilich oft bloß neue, modische - bei Suarez wird von einem Soldaten am Bildschirm etwa gesagt, er "glanced up occasionally to gauge the mood of the world", er "eiche" also, ganz Technogeschöpf, die Stimmung, statt sie bloß "einzuschätzen" oder dergleichen -, und mit unbewaffnetem Auge wird nicht einfach hingeschaut, sondern "gescannt".
Näher an der Wahrheit als die Vermutung, hier werde Literatur genuin sprachschöpferisch auf die Fährte des Allerneuesten geschickt, liegt wohl der Subtext einer Szene in "Kill Decision", in der ein Wissenschaftler erläutert, dass Automaten, die alles sehen, nutzlos sind, wenn sie es nicht auch verstehen. Sie brauchen, um uns helfen zu können, die Fähigkeit, das Wahrgenommene in eine Erzählung einzufügen, sie müssen konstruieren können, welche künftigen und alternativen Szenarien einer Beobachtung implizit sind. Die Software, die ihnen im Buch dazu verhelfen soll, heißt "Raconteur", also Erzähler. Ohne dichterischen Anspruch im althergebrachten Sinn sieht sich Suarez wohl als Designer solcher Software und ihrer Unterhaltungsapplikationen für die weichen Rechner in unseren Köpfen.
Mit Science-Fiction darf man derlei nicht verwechseln: Die interessiert sich fürs Technische nur, um begriffliche und phantasmatische Blickwechsel zu erzeugen. Das Machbare ist ihr ein Transformationswerkzeug fürs ständige gierige Wissenwollen. Wissen aber interessiert den Technothriller umgekehrt nur als Fingerzeigressource, die dem Thrillerautor sagt, was heute so alles irre, aber machbar ist.
Der Technothriller formatiert damit Reaktionsweisen von Öffentlichkeiten, die ihre Entmachtung als bürgerliche Souveräne genießen lernen sollen. Die Apparate, die uns besiegt haben, blinken, glitzern und sind so böse, wie erfundene Schurken es nie waren, als sie noch wie Menschen aussehen mussten. Den nächsten Technothriller schreibt vielleicht schon ein Automat von Amazon - ameisenfleißig, effektiv und billig wie eine indonesische Näherin.
DIETMAR DATH
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Mit diesem perfekten Mix aus nervenzerfetzender Spannung und verständlicher Wissenschaftlichkeit etabliert sich Daniel Suarez in diesem spannenden Thriller als der legitime Erbe von Michael Crichton. Publishers Weekly