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  • Format: ePub

Womit beginnen? Am Anfang ist Dunkelheit. Aus der Dunkelheit wächst die Legende. Wir bewahren unsere ersten Erinnerungen, so wie die Menschheit sich die frühen Abenteuer merkt: als Mythos. Ohne Frage ist es nicht nur Geistesträgheit, sondern auch fromme Scheu, wenn wir dazu neigen, dieses Dunkel unberührt lassen zu wollen, anstatt es zu lichten und aufzuheben, mit allen Mitteln, über die wir verfügen. Den Mythos zu analysieren ist nicht immer eine schöne Aufgabe; auch wenn es nur der Mythos unserer eigenen Kindheit ist. Ein anderes ist es, ihm ehrfurchtsvoll nachzuspüren; ihn erhellen, ohne…mehr

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Produktbeschreibung
Womit beginnen? Am Anfang ist Dunkelheit. Aus der Dunkelheit wächst die Legende. Wir bewahren unsere ersten Erinnerungen, so wie die Menschheit sich die frühen Abenteuer merkt: als Mythos. Ohne Frage ist es nicht nur Geistesträgheit, sondern auch fromme Scheu, wenn wir dazu neigen, dieses Dunkel unberührt lassen zu wollen, anstatt es zu lichten und aufzuheben, mit allen Mitteln, über die wir verfügen. Den Mythos zu analysieren ist nicht immer eine schöne Aufgabe; auch wenn es nur der Mythos unserer eigenen Kindheit ist. Ein anderes ist es, ihm ehrfurchtsvoll nachzuspüren; ihn erhellen, ohne ihn zu zerstören. Der Kindheitsmythos ist empfindlichste Materie. Ach, hätte man doch so zarte und genaue Sinne wie Proust, der allen Zauber der Erinnerung bewahrt, indem er ihn aufs exakteste untersucht. Er heißt die Erinnerungen das einzig Reale. Und wie er aus einem Löffel Tee, dessen Geschmack eine Unendlichkeit von Assoziationen in ihm erweckt, den ersten Band seiner "Verlorenen Zeit" steigen läßt - den Band über Combray in seiner ganzen magischen Dichtigkeit - so bemühe ich mich nun, meinen Erinnerungen nachzuspüren bis in jene mystische Tiefe, wo sie beginnen - und bediene mich dabei, wie Proust, der Geschmacks- und Geruchseindrücke, die sich mir bieten, als Senkblei, das ich in die Dunkelheit jenes Abgrundes schicke, den wir unser Gedächtnis nennen. So genau ich hinuntertaste, ich finde den Grund nicht. Das Dunkel ist zu tief, ich kann nichts erkennen. Erst mit meinem fünften oder sechsten Jahre wird es heller. Was ich vorher zu sehen glaube, bleibt so unklar, daß ich nicht unterscheiden könnte, wieweit es seine Existenz Erzähltem, gesehenen Bildern (Photographien und so weiter) verdankt oder real - das heißt: reale Erinnerung ist. Ich weiß, daß ich als Kind lange, goldblonde Locken bis zu den Schultern trug, aber ich spüre diese Locken nicht mehr, sondern erst den Pagenkopf, den man mir doch erst wesentlich später stutzte. Ich sehe auch meine Schwester Erika nicht als kleines Kind, sondern nur als Schulmädchen, schon recht aufgeschossen, ernsthaft schauend, mit verwildertem schwarzem Haar und zerkratzten Knien. Und doch, sind da nicht Ahnungen? Gibt es da nicht etwas, was wie eine allererste, sehr entfernte und wunderbare Erinnerung ist? Der Eindruck von Gummi - ganz deutlich kommt mir jetzt vor, aber vielleicht täusche ich mich - ein Kinderwagen, die Allee an der Isar (Widenmayerstraße) - wie halte ich das? Es ist dunkel und ...

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Autorenporträt
Klaus Mann lebte von 1906 bis 1949 und war ein deutscher Schriftsteller.