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Carolin und Christoph Butterwegge erörtern die Ungleichheit bei Kindern
In Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, leben etwa 2,8 Millionen Kinder in Armut. Trotz aller sozialpolitischer Maßnahmen werde die Armut regelrecht vererbt, sagt die Soziologin Carolin Butterwegge, die mit einer Dissertation über die Armut von Kindern mit Migrationshintergrund promoviert wurde und von 2010 bis 2012 Abgeordnete der Linksfraktion im nordrhein-westfälischen Landtag war.
In dem gemeinsam mit ihrem Mann verfassten Buch "Kinder der Ungleichheit" prangern die beiden an, dass "die reichsten Kinder im Land mit Steuergeschenken in Milliardenhöhe überhäuft" wurden, während die wirklich Bedürftigen nicht mit Bildungs- und Teilhabe-Paketen erreicht werden. Es gebe inzwischen "Kinder erster Klasse und Kinder zweiter Klasse".
Die ungleiche Verteilung der Einkommen bremst das Wachstum und entsolidarisiert in den Augen des Armutsforschers Butterwegge, der von 1998 bis 2016 an der Universität Köln Politikwissenschaft lehrte und 2017 als Parteiloser für die Linke für das Bundespräsidialamt kandidierte. Er war früher SPD-Mitglied, ist aber aus Protest gegen Hartz IV im Jahr 2005 ausgetreten, weil er in der Reform ein "Disziplinierungsinstrument" sieht.
Wer das Glück habe, in eine Familie hineingeboren zu werden, die sehr vermögend ist, müsse sich nicht groß anstrengen, um mehr zu erreichen als sein der "Unterschicht" entstammender Altersgenosse. Habitus, sozialer Status und bekannter Name der Herkunftsfamilie reichten meist schon aus, um Personalchefs großer Firmen, Beratungsagenturen oder Anwaltskanzleien von der Qualifikation eines Bewerbers zu überzeugen.
Um Kinderarmut zu bekämpfen, muss der Mindestlohn den Autoren zufolge auf mehr als zwölf Euro angehoben werden, es brauche eine solidarische Bürgerversicherung, eine Kindergrundsicherung und deutlich höhere Steuern für Reiche und Hyperreiche. Carolin und Christoph Butterwegge sind der Überzeugung, dass hauptsächlich Geld über die Bildungsmöglichkeiten von Kindern entscheidet.
So richtig es ist, dass die Pandemie sozial Benachteiligte und vor allem Kinder und Jugendliche besonders getroffen hat, und so nachvollziehbar die Warnung erscheint, dass die Generation Corona nicht abgehängt werden darf, so wenig plausibel sind die Lösungsansätze der beiden Autoren. Das gilt für die Wirtschafts- und Steuerpolitik, aber auch für die Bildungspolitik. Die Forderung nach einem Ausbau der frühkindlichen Bildungseinrichtungen und einer verbesserten Betreuung ist vernünftig, doch das Plädoyer für ein inklusives Schulsystem mit einer Einheitsschule widersinnig: "Ziel ist 'eine Schule für alle' von der ersten Klasse bis zur Jahrgangsstufe 10 bzw. 13 nach skandinavischem Vorbild (. . .). Das würde nicht bloß die Umwandlung von Haupt- und Realschulen bedeuten, sondern in letzter Konsequenz auch die Abschaffung des Gymnasiums."
Abgesehen davon, dass in skandinavischen Schulen differenzierter und in kleineren Gruppen unterrichtet wird, als sich die beiden Autoren vorstellen können, hat jeder Leistungsvergleich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass gerade die schwachen Schüler in inklusiven Systemen wie der Gesamtschule noch mehr benachteiligt werden. Kennen die Autoren diese Studien nicht? Und glauben sie wirklich, dass sich Begabungsunterschiede (ganz unabhängig vom sozioökonomischen Status) und verschiedene frühkindliche Prägungen im Bildungssystem wegnivellieren ließen?
Offenbar wissen sie nichts über die Schattenseiten der sechsjährigen Grundschule wie in Berlin und Brandenburg, an deren Ende viele Kinder, deren Förderung den Autoren so wichtig ist, immer noch nicht kulturelle Grundtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen beherrschen. Aus der Zeit gefallen wirkt auch das Bashing der Hauptschule, die es in den meisten Bundesländern nicht mehr gibt. Die Förderschulen, die von Eltern behinderter Kinder geschätzt werden, wollen die Butterwegges gleich mit abschaffen - schließlich gebe es ja die UN-Behindertenkonvention. Darin steht allerdings nichts von einer Abschaffung von Förderschulen oder einer flächendeckenden Einführung von inklusivem Unterricht, sondern von Zugängen zum Bildungssystem für alle Behinderten.
Bildungsdefizite können eine Folge von Armut sein, sind es aber keineswegs immer, dafür stehen viele Gegenbeispiele begabter Kinder aus sozioökonomisch schwachen Familien mit und ohne Migrationshintergrund. Wer dieses Buch liest, wird eine Fülle bekannter Daten finden, aber leider keine originellen Zukunftsvisionen. Gleichmacherei führt ganz gewiss nicht aus der Ungleichheit, sondern verschärft sie. HEIKE SCHMOLL.
Carolin und Christoph Butterwegge: "Kinder der Ungleichheit". Wie sich die Gesellschaft ihrer Zukunft beraubt. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2021. 303 S., geb., 22,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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