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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Mütter, Väter, Kinder: Heide Lutosch sieht heutige Kleinfamilien im fatalen Sog einer immer noch wirksamen Vergangenheit
Was für eine Welt ist das, die Heide Lutosch, Jahrgang 1972, in ihrem Essay "Kinderhaben" beschreibt? Es ist eine Welt, die von den gesellschaftlichen Verhältnissen der alten Bundesrepublik mit ihren Alleinverdienervätern und ihren Hausfrauenmüttern zusammengehalten wird. Soziale Novitäten kommen schwer dagegen an beziehungsweise geraten in den Treibsand unterbewusster Traditionspflege. "Hier, in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen, wird sich der Gegensatz der Sphären immer irgendwie Bahn brechen; als Anerkennungskampf zwischen den Geschlechtern, als Hierarchie zwischen berufstätigen Müttern und migrantischen Sorgearbeiterinnen, als Schulstress, als mütterliches Schuldgefühl, als väterliche Frustration, als permanenter Zeitdruck."
Die meisten in Westdeutschland sozialisierten Mütter wollen und müssen heute arbeiten. Sie sind deswegen aber nicht weniger geprägt vom häuslichen Perfektionismus ihrer Vorbilder. Junge Väter zeigen sich heute gerne als dynamische Alltagsprofis mit Lastenrad. Sie sind deswegen aber nicht weniger geprägt von einer Vätergeneration, die sich von den unangenehmen Seiten des Patriarchats zwar abgekehrt hat (vom autoritären Charakter), mit seinen angenehmen Seiten (Selbstverwirklichung) aber nie brechen musste.
Lutosch erinnert daran, dass Kinder großzuziehen in einer kapitalistischen Männergesellschaft zu den konfliktreichsten Dingen gehört, die man derzeit auf sich nehmen kann: "Die Kleinfamilie ist ein Refugium der Nichtanerkennung von Frauen, der Ort, an dem sich Männer und auch Frauen von ihrer schlechtesten Seite zeigen, an dem sie von ihren Gespenstern gejagt und eingeholt werden, kurz: der Horror."
Wieso scheitern so viele moderne Paarbeziehungen, in denen die Gleichberechtigung als durchgesetzt gilt, sobald Kinder ins Spiel kommen? Heide Lutosch malt sich in ihren "schwärzesten Momenten" aus, wie sie als Patriarchin auftreten würde, wie sie "beim Frühstück, genau dann, wenn das erste Glas Milch umkippt und klar wird, dass es kaum noch möglich ist, pünktlich zum Morgenkreis im Kindergarten zu sein und auf der Arbeit keine neuen Minusstunden anzusammeln - genau in diesem Moment also mit freundlichem Nicken die Küche zu verlassen". Und das wohlgemerkt nicht mit einem schlechten Gewissen, sondern überzeugt von der Bedeutung der Aufgaben, die vor ihr liegen. "Mit der Bewunderung und Dankbarkeit meines Ehemannes im Rücken gehe ich also in die Welt: darf gestalten, mich entfalten, mich messen und entwickeln."
Wer einen solchen Mann zu Hause hat, der werfe den ersten Stein. Alle anderen sollten weiterlesen. Lutosch sieht nämlich Opfer auf allen Seiten. Es ist ein Aneinandervorbeifühlen im Schwange zwischen den Mittelschichtkindern der Bundesrepublik. Meistens ist die Bereitschaft, sich auf allen Ebenen für das gelingende Familienleben einzusetzen, aber nicht gleich verteilt zwischen den Geschlechtern. Und das hat Gründe.
Während westdeutsche Frauen oft nicht so werden wollten wie ihre Mütter, neigen sie dazu, das Erbe der Hausfrau nervös zu verteidigen sobald sie selbst Mütter sind. Den Söhnen der Achtzigerjahre geht es anders. Sie müssen sich heute oft an der Unerreichbarkeit strahlender Vaterfiguren abarbeiten, wo noch so viel Angenehmes miteinander vereinbar schien.
Kann es sein, fragt Lutosch, dass die Jungs gelernt haben, die mütterliche Einflusssphäre in ihrem oft passiv-aggressiven Kontrollzwang abzulehnen und die weltläufige Abwesenheit ihrer Wochenendväter zu idealisieren? Ist so zu erklären, weshalb in so vielen modernen Familien die "Reproduktionsarbeit" noch immer überwiegend von den Müttern erledigt wird? Und zwar zusätzlich zu ihrer Vierzigstundenwoche? Und dass viele jüngere Frauen unversehens die Frustrationserfahrungen ihrer Mütter fortsetzen?
Frauen verwenden Lutosch zufolge einen beachtlichen Teil ihrer Energie darauf, "mit den Schwächen des Partners 'pädagogisch' umzugehen. Sie loben, schonen und bewundern ihn, was das Zeug hält, und tragen damit selbst zu einer Asymmetrie bei, die sie dann regelmäßig so in Rage bringt, dass sie aus heiterem Himmel anfangen rumzuschreien." Die Art wie wir aufwachsen, welchen Ideen von Mutterschaft und Vaterschaft wir ausgesetzt sind, beeinflusst auch die Beziehung zu unseren Kindern. Die "ungute Isolation" der Mutter, die mit ihrem Säugling zu Hause hockt, sei historisch gesehen eine einmalige Konstellation, schreibt Lutosch. Jedenfalls trägt sie zu genau der emotionalen Bedürftigkeit bei, die man an der eigenen Mutter so entsetzt beobachtet hatte. Die "Fixiertheit" auf die Kinder habe viele Hausfrauen früher immer weiter aus der Welt der Erwachsenen hinausgetrieben. Hinein in eine Welt zwischen dem "Weißen Riesen" und weißen Globuli, die den Frauen eine Rationalität eigenen Rechts versprach. Auch bei jungen Müttern ist ein enormes Interesse an "alternativen" Weltzugängen zu verzeichnen. Vor allem bei den Themen Heilung, Ernährung und Erziehung.
Gibt es einen Ausweg? Ja, meint die Autorin. Teufelskreise brauchen einen guten Dämon. Erst wenn die emotionale Familienarbeit (Pflege, Kommunikation, Bindung) nicht mehr automatisch nur Sache der Frauen ist, wird, mit der Psychoanalytikerin Jessica Benjamin gesprochen, "auch die Mutter zu einer Figur der Ablösung und Handlungsfähigkeit". Erst dann könne das von der zweiten Frauenbewegung in vielen Punkten konsequent umgesetzte Emanzipationsprojekt, endlich zu Ende geführt werden. KATHARINA TEUTSCH
Heide Lutosch: "Kinderhaben".
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2023. 103 S., br., 8,99 Euro.
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