»Kleine Auszeiten im Alltag ist eine ebenso kurze wie nützliche Anleitung für das müßige Leben. In 24 Kapiteln erläutert das Buch die verschiedenen Möglichkeiten, nichts zu tun. Diese kleinen Tricks können überall angewendet werden, und das bei geringen bis gar keinen Kosten. Indem Sie den simplen Schritten folgen, wird sich Ihre Anspannung verflüchtigen, Ihr Leben wird vergnüglicher und einfach gut.«
Unterhaltsam und kurzweilig zeigt Tom Hodgkinson, wie Auszeiten zu einem festen Bestandteil im Alltag werden können. Von entschleunigender Lektüre und Tagebuchschreiben über die Wiederentdeckung alter Spiele, besondere Formen der Meditation bis zum Waldbaden und ziellosen Flanieren in der Stadt-- hier ist für alle etwas dabei. Und dass zudem die schönsten Dinge im Leben häufig umsonst sind – das zeigt dieses Buch mit erfrischender Leichtigkeit.
Unterhaltsam und kurzweilig zeigt Tom Hodgkinson, wie Auszeiten zu einem festen Bestandteil im Alltag werden können. Von entschleunigender Lektüre und Tagebuchschreiben über die Wiederentdeckung alter Spiele, besondere Formen der Meditation bis zum Waldbaden und ziellosen Flanieren in der Stadt-- hier ist für alle etwas dabei. Und dass zudem die schönsten Dinge im Leben häufig umsonst sind – das zeigt dieses Buch mit erfrischender Leichtigkeit.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Frage nach dem Sinn des Lebens lässt sich trotz aller Versuche in die Richtung nicht beantworten, schließt Rezensentin Juliane Liebert aus ihren Lektüren von Tom Hodgkinson und Markus Rüther. Während Hodgkinson sie dazu auffordert, einfach mal ein bisschen zu entspannen und sich in allem etwas weniger Druck zu machen - eigentlich nicht verkehrt, aber vielleicht doch etwas zu einfach gedacht - bleibt Rüther trotz durchaus interessanter Ansätze für Liebert sehr theoretisch. Klar, er ist Philosoph, das merkt sie auch seinen Formulierungen an, etwa, wenn von "subjektttranszendenten" Aktivitäten die Rede ist, die bei der Suche nach dem einen großen Sinn helfen könnten - aber so bleibt seine Abhandlung denn auch etwas leblos, "es fließt kein Blut im Ideenhimmel", hält die Kritikerin fest. Statt Bücher über die Sinnsuche zu lesen, schlägt sie abschließend vor, vielleicht einfach zu akzeptieren und zu bewundern, dass das Bedürfnis nach Sinn sich so wacker hält.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2023Was ist der
Sinn des Lebens?
Ein Bestseller nach dem anderen widmet
sich der Frage aller Fragen.
Ein Streifzug durch zersetzende Therapiefloskeln
und Weisheit in Instantsuppenform
Das Leben wäre ein leichteres und der Weltfrieden womöglich längst erreicht, hätte die Menschheit aufgehört, über Dinge zu diskutieren, die es nicht gibt. Einhörner. Unsterbliche Liebe. Sexy Nazis. (Gott lassen wir mal außen vor, mit dem diskutieren wir noch über seine Existenz.) Was es definitiv nicht oder nur nach mindestens einer Flasche anständigem Champagner gibt, ist der Sinn des Lebens. Trotzdem schreiben verirrte Seelen unentwegt Bücher über ihn, weshalb hier nun ein Text fällig ist, der die Frage nach dem Sinn ein für allemal klären wird. Lesen Sie also unbedingt zu Ende! Und machen Sie sich auf etwas gefasst.
Beginnen wir mit der amerikanischen Superbestseller-Autorin Brianna Wiest. „This Is How You Heal“ heißt ihre neueste Essay-Kollektion. Das Motto lautet: „Für den, der vor einer Weggabelung steht ... Es gibt nur einen Pfad: Denjenigen, der dich zu deiner Wahrheit führt.“ Das könnte nun aber auch, sagen wir, ein Reichsbürger unterschreiben. Mein Staat. Mein Bier. Meine Wahrheit. Und sonst so? Verluste sind bei Wiest natürlich nicht etwa niederschmetternd und völlig sinnlos, sondern sie lehren uns auch etwas. Der Leserin wird förmlich angedroht, dass sie erblühen werde, ob sie’s wahrhaben will oder nicht. Banger Blick in den Spiegel – aufatmen. Der Ausschlag ist nicht schlimmer geworden.
All jenen immerhin, denen es hoffnungslos miserabel geht, ist „This Is How You Heal“ dennoch uneingeschränkt zu empfehlen. Nicht weil sie dank Brianna Wiest genesen würden, sondern weil einem das Buch große Lust macht, krank zu sein und auf keinen Fall heilen zu wollen. Wenn die Lage schon hoffnungslos ist, sollte sie wenigstens ausgekostet werden. Wieder wandert der Blick auf das bislang nur auf Englisch erschienene Buch, woraufhin einen tiefe Resignation überkommt. Wenigstens, denkt man, ist nun der emotionale Tiefpunkt erreicht. Allerdings falsch gedacht. Brianna, hämisch: „Just for today, let yourself feel how you feel.“ Wir fühlen. Es sind große Gefühle, die wir fühlen. In einem heroischen Akt der Selbstbeherrschung behalten wir sie für uns.
Wiest gilt als Booktok-Hype, also der viralen Vermarktung von Lesestoff via Tiktok. Wir möchten hier keinesfalls Verschwörungserzählungen das Wort reden, können uns aber des Verdachts nicht erwehren, dass es sich um eine besonders gewiefte Geheimdienstoperation Chinas handeln könnte. Das Kalkül ist denkbar simpel: Zersetzung durch Therapiefloskeln. Wenn sich die Westler erst einmal das Selbst aus den unendlichen Weiten zwischen den beiden Ohren optimiert haben, werden sie auch begeistert 27 Stunden lange Reden von Xi Jingping auswendig lernen.
„Kleine Auszeiten im Alltag“ von Tom Hodgkinson klingt dagegen zumindest vielversprechend. Wer würde sich nach dem Zwang zum Heilen nicht nach einer Auszeit sehnen? Und seine Tipps, oder vielmehr Reiseempfehlungen für die kleinen Auszeiten, sind wohltuend konkret betitelt, „Meiden Sie Reisen“ etwa. Warum? Weil sie anstrengend sind und nerven. Ach, wirklich? Probieren wir’s mit „Starren Sie auf eine Wand“. Erkenntnis: Niemand braucht eine kostspielige Achtsamkeitsausbildung, um nichts zu tun und seine Gedanken schweifen zu lassen. Raufasertapete tut’s auch. Seufz.
Zeit für eine Rede an Herrn Hodgkinson: Mister Hodgkinson, Sie machen das eigentlich grundsympathisch. Alles eine Nummer kleiner denken, den Alltag schätzen lernen, sich ein bisschen Humor zulegen. Nur leider, leider schulden wir unseren Leserinnen und Lesern aber eine etwas letztgültigere Antwort auf die Frage nach dem Lebenssinn. Mit „Bleiben Sie im Bett“ wird sich unser anspruchsvolles Publikum nicht zufriedengeben. Obwohl ja völlig richtig ist, was Sie schreiben: „Bett bedeutet Ideen. Bett bedeutet kreatives Denken.“
Man kann diese Sätze nur mit Ausrufezeichen versehen. Aber werden sie auch Brianna aufhalten? Bleibt bloß die Wissenschaft. Das heißt, genau genommen, ein Ort, erhaben selbst über die Wissenschaft: die akademische Philosophie. Lehrstühle über den Wolken, wo die Freiheit grenzenlos ist. Und vielleicht ist ja dünne Luft das Medium des Sinns? Markus Rüther, Privatdozent am philosophischen Seminar der Uni Bonn, verspricht jedenfalls in seinem neuen Buch den „Sinn des Lebens“ in Form einer „ethischen Theorie“.
Aber was heißt das? Eine erste Definition steht bereits auf Seite 22, „dass ein Leben genau dadurch sinnvoll wird, dass der Handelnde intrinsisch sinnvolle Tätigkeiten ausübt, die auf verschiedene subjekttranszendente Gegenstände ausgerichtet sind, nämlich auf solche, die in den axiologischen Dimensionen des Schönen, Wahren, Guten und Moralischen liegen“. Nun, das ist ein nicht allzu geglückter Satz. Inhaltlich ist das Prinzip bestens bekannt vom gen Italien gereisten Goethe: „Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand / Ihr auf dem Rücken gezählt.“ Wo Dichtung und Fingern synchron laufen, ist das Leben bei sich.
Rüther arbeitet das Thema systematisch durch. Zum Heilen gezwungen wird hier niemand, was in Zeiten der Selbstverbesserung fast schon intrinsisch wertvoll ist. Allerdings wird’s schon ziemlich unerbittlich systematisch. Wie schrieb Heine in „Ideen. Das Buch Le Grand“? „Madame, ich spreche demnach: Von den Ideen. Von den Ideen im allgemeinen. Von vernünftigen Ideen. Von unvernünftigen Ideen. a. Von den gewöhnlichen Ideen. b. Von den Ideen, die mit grünem Leder überzogen sind. Diese werden wieder eingeteilt in – doch das wird sich alles schon finden.“ Ja, irgendwie findet es sich immer, durch wie viele Uni-Hausarbeiten hat einen diese Zuversicht schon getragen?
Rüther macht es einem nicht leicht, allerdings muss man auch kein Ethik-Experte sein, um ihm folgen zu können. Und lässt man sich auf die Differenzierung von Sinnvarianten ein, entwickelt das Spiel durchaus einen Reiz. Eine durchaus hilfreiche Einsicht: Sein eigenes Tun und Sein an so etwas wie „kosmischer Harmonie“ zu orientieren, kann zum Sinn im Leben beitragen – muss aber nicht. Seine eigene Theorie nennt Rüther „deontologischer Objektivismus“. Den Handlungen selbst wohnt für ihn also eine Sinnhaftigkeit inne, sie lässt sich nicht erst aus den Folgen ermitteln.
Zugleich habe Sinn nicht bloß eine Erlebnisqualität, er lasse sich (bis zu einem gewissen Grad) durchaus objektiv beschreiben. Höhepunkt dieser Überlegung ist im Buch eine Tabelle, die auflistet, welche Minimalkriterien für ein sinnvolles Leben erfüllt sein müssen und was für „herausragend sinnvolle Leben – der Superlativ“ nötig ist. Kleiner Spoiler: Ein egozentrisches Leben kann eher kein sinnerfülltes Leben sein, auch wenn es beispielsweise auf Schönheit ausgerichtet ist. Damit tut sich aber auch ein Problem des rütherschen Ansatzes auf: Seine Theorie ist so sorgfältig abgesichert gegen jede Art von Amoralität und subjektiver Beliebigkeit, dass sie doch sehr theoretisch wird. Es fließt kein Blut im Ideenhimmel, selbst dort, wo in ihm die handfesten sinnstiftenden Tätigkeiten aufbewahrt werden. Das macht ihn zu einem gewaltfreien und sauberen, aber auch sterilen Ort.
Bliebe die Frage: Warum gieren eigentlich – zumindest in den eher säkularen, westlichen Gesellschaften – so viele Menschen nach Sinn? Zur Not in seiner Instantsuppenform. Haben sie zu viel Zeit? Oder zu wenig? Ist der Kapitalismus schuld? Wir fragen so grundsätzlich, weil eines bei den Lektüren unübersehbar war: Ob nun auf der dunklen Seite der Popkultur (Wiest), als launiges Vademecum (Hodgkinson) oder gelehrte Abhandlung – der Sinn scheint immer schon über alle Berge, wenn von ihm die Rede ist.
Anders gesagt: Vielleicht ist das Sinnvollste, was man tun kann, zu bestaunen, wie die Menschen tagtäglich neuen Sinn für sich zu finden versuchen. Und dann darüber zu staunen, wie sinnloser einem selbst dieser Sinn erscheint. Imagine, all the people würden es tun. Es gäbe keine Kriege mehr. Und Gott würde, nach seiner Existenz befragt, höchstens kichernd erwidern: Woher weißt du, dass ich ein Mann bin?
JULIANE LIEBERT
Niemand braucht
eine Achtsamkeitsausbildung,
Raufasertapete tut’s auch
Kleiner Spoiler:
Ein egozentrisches Leben kann
kein sinnerfülltes Leben sein
Kommt Ihnen das als Bebilderung für den Sinn des Lebens auch einen Hauch zu bekannt vor?
Foto: Imago
Superstar der
Lebenshilfe-Literatur:
Brianna Wiest.
Foto: Janelle Putrich
Brianna Wiest:
This Is How You Heal, Thought Catalog Books, New York 2021,
280 Seiten, 16 Euro.
Tom Hodgkinson:
Kleine Auszeiten im Alltag. Eine Anleitung.
Insel Verlag, Berlin 2023, 127 Seiten, 16 Euro.
Markus Rüther:
Sinn des Lebens. Eine ethische Theorie. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Berlin 2023,
256 Seiten, 22 Euro.
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Sinn des Lebens?
Ein Bestseller nach dem anderen widmet
sich der Frage aller Fragen.
Ein Streifzug durch zersetzende Therapiefloskeln
und Weisheit in Instantsuppenform
Das Leben wäre ein leichteres und der Weltfrieden womöglich längst erreicht, hätte die Menschheit aufgehört, über Dinge zu diskutieren, die es nicht gibt. Einhörner. Unsterbliche Liebe. Sexy Nazis. (Gott lassen wir mal außen vor, mit dem diskutieren wir noch über seine Existenz.) Was es definitiv nicht oder nur nach mindestens einer Flasche anständigem Champagner gibt, ist der Sinn des Lebens. Trotzdem schreiben verirrte Seelen unentwegt Bücher über ihn, weshalb hier nun ein Text fällig ist, der die Frage nach dem Sinn ein für allemal klären wird. Lesen Sie also unbedingt zu Ende! Und machen Sie sich auf etwas gefasst.
Beginnen wir mit der amerikanischen Superbestseller-Autorin Brianna Wiest. „This Is How You Heal“ heißt ihre neueste Essay-Kollektion. Das Motto lautet: „Für den, der vor einer Weggabelung steht ... Es gibt nur einen Pfad: Denjenigen, der dich zu deiner Wahrheit führt.“ Das könnte nun aber auch, sagen wir, ein Reichsbürger unterschreiben. Mein Staat. Mein Bier. Meine Wahrheit. Und sonst so? Verluste sind bei Wiest natürlich nicht etwa niederschmetternd und völlig sinnlos, sondern sie lehren uns auch etwas. Der Leserin wird förmlich angedroht, dass sie erblühen werde, ob sie’s wahrhaben will oder nicht. Banger Blick in den Spiegel – aufatmen. Der Ausschlag ist nicht schlimmer geworden.
All jenen immerhin, denen es hoffnungslos miserabel geht, ist „This Is How You Heal“ dennoch uneingeschränkt zu empfehlen. Nicht weil sie dank Brianna Wiest genesen würden, sondern weil einem das Buch große Lust macht, krank zu sein und auf keinen Fall heilen zu wollen. Wenn die Lage schon hoffnungslos ist, sollte sie wenigstens ausgekostet werden. Wieder wandert der Blick auf das bislang nur auf Englisch erschienene Buch, woraufhin einen tiefe Resignation überkommt. Wenigstens, denkt man, ist nun der emotionale Tiefpunkt erreicht. Allerdings falsch gedacht. Brianna, hämisch: „Just for today, let yourself feel how you feel.“ Wir fühlen. Es sind große Gefühle, die wir fühlen. In einem heroischen Akt der Selbstbeherrschung behalten wir sie für uns.
Wiest gilt als Booktok-Hype, also der viralen Vermarktung von Lesestoff via Tiktok. Wir möchten hier keinesfalls Verschwörungserzählungen das Wort reden, können uns aber des Verdachts nicht erwehren, dass es sich um eine besonders gewiefte Geheimdienstoperation Chinas handeln könnte. Das Kalkül ist denkbar simpel: Zersetzung durch Therapiefloskeln. Wenn sich die Westler erst einmal das Selbst aus den unendlichen Weiten zwischen den beiden Ohren optimiert haben, werden sie auch begeistert 27 Stunden lange Reden von Xi Jingping auswendig lernen.
„Kleine Auszeiten im Alltag“ von Tom Hodgkinson klingt dagegen zumindest vielversprechend. Wer würde sich nach dem Zwang zum Heilen nicht nach einer Auszeit sehnen? Und seine Tipps, oder vielmehr Reiseempfehlungen für die kleinen Auszeiten, sind wohltuend konkret betitelt, „Meiden Sie Reisen“ etwa. Warum? Weil sie anstrengend sind und nerven. Ach, wirklich? Probieren wir’s mit „Starren Sie auf eine Wand“. Erkenntnis: Niemand braucht eine kostspielige Achtsamkeitsausbildung, um nichts zu tun und seine Gedanken schweifen zu lassen. Raufasertapete tut’s auch. Seufz.
Zeit für eine Rede an Herrn Hodgkinson: Mister Hodgkinson, Sie machen das eigentlich grundsympathisch. Alles eine Nummer kleiner denken, den Alltag schätzen lernen, sich ein bisschen Humor zulegen. Nur leider, leider schulden wir unseren Leserinnen und Lesern aber eine etwas letztgültigere Antwort auf die Frage nach dem Lebenssinn. Mit „Bleiben Sie im Bett“ wird sich unser anspruchsvolles Publikum nicht zufriedengeben. Obwohl ja völlig richtig ist, was Sie schreiben: „Bett bedeutet Ideen. Bett bedeutet kreatives Denken.“
Man kann diese Sätze nur mit Ausrufezeichen versehen. Aber werden sie auch Brianna aufhalten? Bleibt bloß die Wissenschaft. Das heißt, genau genommen, ein Ort, erhaben selbst über die Wissenschaft: die akademische Philosophie. Lehrstühle über den Wolken, wo die Freiheit grenzenlos ist. Und vielleicht ist ja dünne Luft das Medium des Sinns? Markus Rüther, Privatdozent am philosophischen Seminar der Uni Bonn, verspricht jedenfalls in seinem neuen Buch den „Sinn des Lebens“ in Form einer „ethischen Theorie“.
Aber was heißt das? Eine erste Definition steht bereits auf Seite 22, „dass ein Leben genau dadurch sinnvoll wird, dass der Handelnde intrinsisch sinnvolle Tätigkeiten ausübt, die auf verschiedene subjekttranszendente Gegenstände ausgerichtet sind, nämlich auf solche, die in den axiologischen Dimensionen des Schönen, Wahren, Guten und Moralischen liegen“. Nun, das ist ein nicht allzu geglückter Satz. Inhaltlich ist das Prinzip bestens bekannt vom gen Italien gereisten Goethe: „Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand / Ihr auf dem Rücken gezählt.“ Wo Dichtung und Fingern synchron laufen, ist das Leben bei sich.
Rüther arbeitet das Thema systematisch durch. Zum Heilen gezwungen wird hier niemand, was in Zeiten der Selbstverbesserung fast schon intrinsisch wertvoll ist. Allerdings wird’s schon ziemlich unerbittlich systematisch. Wie schrieb Heine in „Ideen. Das Buch Le Grand“? „Madame, ich spreche demnach: Von den Ideen. Von den Ideen im allgemeinen. Von vernünftigen Ideen. Von unvernünftigen Ideen. a. Von den gewöhnlichen Ideen. b. Von den Ideen, die mit grünem Leder überzogen sind. Diese werden wieder eingeteilt in – doch das wird sich alles schon finden.“ Ja, irgendwie findet es sich immer, durch wie viele Uni-Hausarbeiten hat einen diese Zuversicht schon getragen?
Rüther macht es einem nicht leicht, allerdings muss man auch kein Ethik-Experte sein, um ihm folgen zu können. Und lässt man sich auf die Differenzierung von Sinnvarianten ein, entwickelt das Spiel durchaus einen Reiz. Eine durchaus hilfreiche Einsicht: Sein eigenes Tun und Sein an so etwas wie „kosmischer Harmonie“ zu orientieren, kann zum Sinn im Leben beitragen – muss aber nicht. Seine eigene Theorie nennt Rüther „deontologischer Objektivismus“. Den Handlungen selbst wohnt für ihn also eine Sinnhaftigkeit inne, sie lässt sich nicht erst aus den Folgen ermitteln.
Zugleich habe Sinn nicht bloß eine Erlebnisqualität, er lasse sich (bis zu einem gewissen Grad) durchaus objektiv beschreiben. Höhepunkt dieser Überlegung ist im Buch eine Tabelle, die auflistet, welche Minimalkriterien für ein sinnvolles Leben erfüllt sein müssen und was für „herausragend sinnvolle Leben – der Superlativ“ nötig ist. Kleiner Spoiler: Ein egozentrisches Leben kann eher kein sinnerfülltes Leben sein, auch wenn es beispielsweise auf Schönheit ausgerichtet ist. Damit tut sich aber auch ein Problem des rütherschen Ansatzes auf: Seine Theorie ist so sorgfältig abgesichert gegen jede Art von Amoralität und subjektiver Beliebigkeit, dass sie doch sehr theoretisch wird. Es fließt kein Blut im Ideenhimmel, selbst dort, wo in ihm die handfesten sinnstiftenden Tätigkeiten aufbewahrt werden. Das macht ihn zu einem gewaltfreien und sauberen, aber auch sterilen Ort.
Bliebe die Frage: Warum gieren eigentlich – zumindest in den eher säkularen, westlichen Gesellschaften – so viele Menschen nach Sinn? Zur Not in seiner Instantsuppenform. Haben sie zu viel Zeit? Oder zu wenig? Ist der Kapitalismus schuld? Wir fragen so grundsätzlich, weil eines bei den Lektüren unübersehbar war: Ob nun auf der dunklen Seite der Popkultur (Wiest), als launiges Vademecum (Hodgkinson) oder gelehrte Abhandlung – der Sinn scheint immer schon über alle Berge, wenn von ihm die Rede ist.
Anders gesagt: Vielleicht ist das Sinnvollste, was man tun kann, zu bestaunen, wie die Menschen tagtäglich neuen Sinn für sich zu finden versuchen. Und dann darüber zu staunen, wie sinnloser einem selbst dieser Sinn erscheint. Imagine, all the people würden es tun. Es gäbe keine Kriege mehr. Und Gott würde, nach seiner Existenz befragt, höchstens kichernd erwidern: Woher weißt du, dass ich ein Mann bin?
JULIANE LIEBERT
Niemand braucht
eine Achtsamkeitsausbildung,
Raufasertapete tut’s auch
Kleiner Spoiler:
Ein egozentrisches Leben kann
kein sinnerfülltes Leben sein
Kommt Ihnen das als Bebilderung für den Sinn des Lebens auch einen Hauch zu bekannt vor?
Foto: Imago
Superstar der
Lebenshilfe-Literatur:
Brianna Wiest.
Foto: Janelle Putrich
Brianna Wiest:
This Is How You Heal, Thought Catalog Books, New York 2021,
280 Seiten, 16 Euro.
Tom Hodgkinson:
Kleine Auszeiten im Alltag. Eine Anleitung.
Insel Verlag, Berlin 2023, 127 Seiten, 16 Euro.
Markus Rüther:
Sinn des Lebens. Eine ethische Theorie. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Berlin 2023,
256 Seiten, 22 Euro.
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»Die ideale Urlaubslektüre.« Barbara Rohrhofer Oberöstrreichische Nachrichten 20230624