Schwaben, das Land zwischen Iller und Lech, vom Ries bis zum Allgäu, ging über Jahrhunderte ganz andere Wege als Bayern: Als Teil des Herzogtums Schwaben war es geprägt von seiner politischen und kulturellen Vielfalt. Adel, Klöster, Städte, Bauern und Juden standen unter dem Schutz von Kaiser und Reich und erhielten eine Existenzgarantie. Gerade deshalb aber entwickelte es sich seit dem hohen Mittelalter zu einer der modernsten Wirtschaftsregionen Europas. Auch war es stets eine Landschaft des gesellschaftlichen Aufbruchs: der Reformation und des Bauernkrieges, der Revolutionen von 1848 und 1919, aber auch der Gelehrsamkeit und der Künste. Von all dem erzählt dieses Buch unterhaltsam und anschaulich.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.02.2010Vom Flachs zum Käse
Historiker Kießling beleuchtet die Geschichte Schwabens
Es ist ja nach wie vor nicht einfach mit den Schwaben. Nicht wenige Norddeutsche verorten „Schwaben” irgendwo zwischen Stuttgart, Schwäbisch Hall und Schwäbisch Gmünd, in jedem Fall aber in Baden-Württemberg – und keineswegs in Bayern. Diese Verwirrung kommt nicht von ungefähr: Denn wer „die Schwaben” sind und wo „das Schwaben” liegt, darüber streiten sich die Gelehrten bis heute. Der Historiker Rolf Kießling hat nun die „Kleine Geschichte Schwabens” zusammengestellt, sein Taschenbuch gibt Antworten über jenen bayerischen „Stamm”, der durchaus als „bunt” bezeichnet werden kann: Im Süden von „Bayerisch-Schwaben” leben die katholischen Allgäuer, im Norden die evangelischen Rieser, und dazwischen liegt die Stadt Augsburg, in der mehr als 30 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund haben.
Es gab Zeiten, da erstreckte sich Schwaben im Westen bis zum Schwarzwald und im Süden bis nach Zürich. Erst um 1500 fand eine deutliche Abgrenzung zu den Schweizern statt – dies kam aus tiefstem Herzen, wie die damaligen wenig liebevollen Kosenamen „Sauschwaben” und „Kuhschweizer” belegen.
Der Regensburger Pustet-Verlag hat bereits vier Bände der „Kleinen Geschichte” aufgelegt. Nach Franken, Oberbayern, Niederbayern und Schwaben soll 2011 die Oberpfalz folgen. Kießling erzählt auf 200 Seiten fundiert, wie man es von einem Emeritus des Lehrstuhls für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte an der Uni Augsburg erwartet. An mancher Stelle wünscht man sich als Leser freilich weniger Wissenschaftlichkeit und mehr Anekdoten oder Porträts.
Die letzte Änderung des schwäbischen „Territoriums” fand erst 1972 statt, die Gebietsreform machte den Regierungsbezirk zum Willkürkonstrukt: Der Landkreis Neuburg wurde nach Oberbayern verlegt, dafür wurden die Altbayern aus dem Landkreis Aichach den Schwaben zugeschlagen – obwohl sie jenseits des Lechs leben, einer durchaus klaren Sprach- und Mentalitätsgrenze. Noch schlimmer zerschnitten wurde Schwaben durch den Pariser Vertrag von 1810. Unter Napoleons Ägide wurden das Allgäu, das Ries und die Stadt Ulm zwischen Bayern und Württemberg aufgeteilt.
Damals hatte das Allgäu noch ein komplett anderes Gesicht als heute: Im 18. Jahrhundert sprach man vom „blauen Allgäu”, weil dort vor allem der blau blühende Flachs für die Leinenweberei angebaut wurde. Die großflächige Milchwirtschaft gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert. 1821 wurde im Allgäu der erste Emmentaler hergestellt, und es dauerte bis ins 20. Jahrhundert, ehe sich Kempten zum Zentrum der Milchindustrie entwickelt hatte. Der Alpentourismus begann 1852, als auf dem Grünten die erste Berggaststätte eröffnet wurde. Es entwickelte sich ein neuer Wirtschaftszweig, von dem vor allem Füssen wegen Schloss Neuschwanstein profitierte. Dieses wurde 1886 bereits sechs Wochen nach dem Tod des Königs Ludwig II. zur Besichtigung freigegeben. Nach der Revolution 1918 forderten einige Schwaben die „Befreiung von Bayern” und ein eigenes Schwabenreich vom Lech bis an den Rhein. Es blieb beim Traum. Stefan Mayr
Rolf Kießling: Kleine Geschichte Schwabens. Regensburg, Verlag Pustet, 2009. 215 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3791722313.
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Historiker Kießling beleuchtet die Geschichte Schwabens
Es ist ja nach wie vor nicht einfach mit den Schwaben. Nicht wenige Norddeutsche verorten „Schwaben” irgendwo zwischen Stuttgart, Schwäbisch Hall und Schwäbisch Gmünd, in jedem Fall aber in Baden-Württemberg – und keineswegs in Bayern. Diese Verwirrung kommt nicht von ungefähr: Denn wer „die Schwaben” sind und wo „das Schwaben” liegt, darüber streiten sich die Gelehrten bis heute. Der Historiker Rolf Kießling hat nun die „Kleine Geschichte Schwabens” zusammengestellt, sein Taschenbuch gibt Antworten über jenen bayerischen „Stamm”, der durchaus als „bunt” bezeichnet werden kann: Im Süden von „Bayerisch-Schwaben” leben die katholischen Allgäuer, im Norden die evangelischen Rieser, und dazwischen liegt die Stadt Augsburg, in der mehr als 30 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund haben.
Es gab Zeiten, da erstreckte sich Schwaben im Westen bis zum Schwarzwald und im Süden bis nach Zürich. Erst um 1500 fand eine deutliche Abgrenzung zu den Schweizern statt – dies kam aus tiefstem Herzen, wie die damaligen wenig liebevollen Kosenamen „Sauschwaben” und „Kuhschweizer” belegen.
Der Regensburger Pustet-Verlag hat bereits vier Bände der „Kleinen Geschichte” aufgelegt. Nach Franken, Oberbayern, Niederbayern und Schwaben soll 2011 die Oberpfalz folgen. Kießling erzählt auf 200 Seiten fundiert, wie man es von einem Emeritus des Lehrstuhls für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte an der Uni Augsburg erwartet. An mancher Stelle wünscht man sich als Leser freilich weniger Wissenschaftlichkeit und mehr Anekdoten oder Porträts.
Die letzte Änderung des schwäbischen „Territoriums” fand erst 1972 statt, die Gebietsreform machte den Regierungsbezirk zum Willkürkonstrukt: Der Landkreis Neuburg wurde nach Oberbayern verlegt, dafür wurden die Altbayern aus dem Landkreis Aichach den Schwaben zugeschlagen – obwohl sie jenseits des Lechs leben, einer durchaus klaren Sprach- und Mentalitätsgrenze. Noch schlimmer zerschnitten wurde Schwaben durch den Pariser Vertrag von 1810. Unter Napoleons Ägide wurden das Allgäu, das Ries und die Stadt Ulm zwischen Bayern und Württemberg aufgeteilt.
Damals hatte das Allgäu noch ein komplett anderes Gesicht als heute: Im 18. Jahrhundert sprach man vom „blauen Allgäu”, weil dort vor allem der blau blühende Flachs für die Leinenweberei angebaut wurde. Die großflächige Milchwirtschaft gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert. 1821 wurde im Allgäu der erste Emmentaler hergestellt, und es dauerte bis ins 20. Jahrhundert, ehe sich Kempten zum Zentrum der Milchindustrie entwickelt hatte. Der Alpentourismus begann 1852, als auf dem Grünten die erste Berggaststätte eröffnet wurde. Es entwickelte sich ein neuer Wirtschaftszweig, von dem vor allem Füssen wegen Schloss Neuschwanstein profitierte. Dieses wurde 1886 bereits sechs Wochen nach dem Tod des Königs Ludwig II. zur Besichtigung freigegeben. Nach der Revolution 1918 forderten einige Schwaben die „Befreiung von Bayern” und ein eigenes Schwabenreich vom Lech bis an den Rhein. Es blieb beim Traum. Stefan Mayr
Rolf Kießling: Kleine Geschichte Schwabens. Regensburg, Verlag Pustet, 2009. 215 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3791722313.
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