»Mich macht dieses Buch glücklich«, sagt Elke Heidenreich. Es geht darin um 13 Heldinnen, die sich nicht aussortieren und enteignen lassen, nur weil sie »alt« sind und ihre Familien keine Verwendung mehr für sie haben. 13 Heldinnen – voller Hoffnungen und Sehnsüchte, voller Leben – die ihre ganz eigenen, überraschenden Wege finden, wie sie bekommen, was sie wollen. Mit abgründigem Humor entlarvt Jane Campbell unsere bigotten Vorstellungen vom Alter und stellt ihnen ehrliche Erzählungen von später Intimität und Liebe und existenzieller Verlorenheit gegenüber.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in D, A, L ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Hellauf begeistert ist Kritikerin Carola Ebeling vom Debüt einer bereits über achtzigjährigen Autorin, Jane Campbell, eigentlich Psychoanalytikerin: Ihre Protagonistinnen sind in einem ähnlichen Alter und bewegen sich weg von den Klischees der schrulligen alten Frauen, freut sich Ebeling. Die 13 verschiedenen Erzählerinnen sprechen alle mit ihrer ganz eigenen, feinsinnigen Stimme, das hat Bettina Abarbanell geschickt ins Deutsche übertragen, erfahren wir. Schonungslos richtet Campbell den Blick auf die verschiedensten, auch tabuisierten Themen, die alte Frauen beschäftigen, so die Rezensentin - Sexualität, Erinnerung, Verlust, Einsamkeit. Sie schafft damit in der Literatur so dringend benötigte feinfühlige Frauenfiguren, resümiert die überzeugte Kritikerin.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2023Alte Fregatten im Anmarsch?
Von wegen: Jane Campbell, spätberufene Schriftstellerin, brilliert mit ihren Kurzgeschichten über ältere Frauen
Sollten alte Frauen über alte Frauen schreiben? Warum denn nicht, scheint sich Jane Campbell gesagt zu haben, vor allem, wenn es kaum sonst jemand tut, und legte los. Herausgekommen sind dabei dreizehn Kurzgeschichten, die es in sich haben. Gnadenlos einige. Sarkastisch andere, manchmal mehr, manchmal weniger zum Lachen. Geschichten nicht über Kranke, Demente, Großmütter am Rand des Geschehens oder solche mit einer unglaublichen Geschichte, die ans Licht drängt, sondern über Frauen, die sich abseits des ihnen zugedachten Platzes stellen, manche krank, manche Großmütter, manche am Sterben. Aber alle mit größeren, interessanteren Leben, als ihnen gemeinhin gönnerhaft zugetraut wird, teilweise in inneren Welten unterwegs, aber nie in nostalgischer Rückwärtsgewandtheit.
Präzise beobachtet, handeln diese Geschichten einerseits vom Erwartbaren: von Verlust, vom Alter, vom Tod. Vom Unerwarteten andererseits: von Rache und Mord, Selbstmord und Begehren, von manipulativen Frauen, von verliebten Frauen, von fürsorglichen oder missbrauchten, von ruhigen oder resoluten Frauen, und fast immer von solchen, die bestimmen, wie es im Leben oder auch im Sterben mit ihnen weitergeht. Keine der dreizehn sehr unterschiedlichen Alten in diesen Geschichten ergibt sich passiv in ein Schicksal, dem sie ihr Einverständnis verweigert hätte. Und je länger die Lektüre dauert, desto klarer wird: Dies sind literarische Figuren, wie sie kaum anderswo zu finden sind. Mrs. Dalloway, die berühmteste Alte der Literaturgeschichte, ist zweiundfünfzig. Virginia Woolf, die sie erschaffen hatte, war bei Erscheinen des gleichnamigen Romans in ihren frühen Vierzigern.
Die Frauen in "Kleine Kratzer" sind jenseits der siebzig. Jane Campbell, deren Geschöpfe sie sind, ist achtzig und hat früher als psychoanalytische Gruppentherapeutin gearbeitet. Sie lebt in England und auf den Bermudas, und dies ist ihr Debüt. Debüt bedeutet nicht, sie hätte vorher nicht geschrieben. Gesprächen mit ihr ist zu entnehmen, dass sie ihr Leben lang Aufzeichnungen gemacht hat und also auf eine umfangreiche Sammlung von Notizbüchern zurückgreifen konnte. Ihr früherer Beruf brachte es mit sich, so darf vermutet werden, im formlosen Fluss von erzählter Lebenszeit jene Punkte, Wendungen oder Aktionen zu erkennen, die eine literarische Erzählung braucht. Als sie 2017 ihre erste Geschichte schrieb und an die "London Review of Books" schickte (die diese Kurzgeschichte nicht nur veröffentlichte, sondern ihr darüber hinaus vorschlug, weitere zu schreiben), kannte Jane Campbell sich schon lange damit aus, wie eine Story funktioniert. Und auch damit, ob sie sich besser in der ersten oder der dritten Person erzählen lässt.
Da ist zum Beispiel die Ich-Erzählerin der Geschichte "Edelmut", an deren Ende ein Mann und sein Hund tot sein werden. Der Mann heißt Leo: "Fast jeden Morgen sehe ich Leo, einen unfair großgewachsenen, gutaussehenden Achtundsiebzigjährigen, ehemals Chirurg, der seine reizlose Promenadenmischung hinter sich herzieht, einen Rettungshund aus Rumänien mit dem völlig ironiefreien Namen Brutus. Ich sage unfair, denn als seine guten Feen ihn mit Verstand, Schönheit, Gesundheit und auch noch Reichtum beschenkten, machten sie ihn überdies zu einem absoluten Scheißkerl. Seine Frau Mattie ist klein, dick und dumm." Das ist der Ton. Trocken. Später heißt es: "Mattie ist nun wirklich manipulativ. Aber dass sie mit Leo verheiratet und dick und dumm ist, macht sie verwundbar, also hat sie keine Wahl." Sich selbst beschreibt die Erzählerin so: "Ich bin kein Blickfang, aber ich weiß, wie man mit Männern redet. Da ich ungefähr so alt bin wie Leo, gehöre ich zur Kategorie abgetakelte Fregatte, aber ich habe keine Angst vor Männern, und wenn diese alten Säcke das merken, nehmen sie es als Herausforderung." Es gibt auch nettere Männer in diesem Buch, und manche kommen mit dem Leben davon.
Die Geschichte, die der Originalausgabe ihren Titel gibt ("Cat Brushing") und in der geschmeidigen Übersetzung von Bettina Abarbanell "Katzenbuckel" heißt, macht auf den ersten Blick den Eindruck einer autobiographischen Erzählung von einer Frau, die bei ihrem Sohn in Bermuda zu Besuch ist, der Katze das Fell bürstet, im Sessel sitzt und strickt, weil es gut für die Finger sein soll, und dabei bemerkt, wie ihr das Alter in die Glieder fährt. In den Augen des Sohns erkennt sie Wohlgefallen, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt und sie und die Katze im Sessel sitzen sieht, ein Bild der Unschuld, so ist sie überzeugt, das alle Welt teilt. Irgendwann wird ein Baby kommen und die Katze verschwinden, und sie wird den Mund halten und versuchen, pflegeleicht zu sein und ruhig. Es ist eine der melancholischsten Geschichten in diesem Buch, und die Ich-Erzählerin die genügsamste.
Der Eindruck, es handele sich um eine autobiographische Geschichte, die den Ton setzt für weitere Storys, abgeleitet aus dem eigenen Leben, täuscht allerdings. Alles sei erfunden, betont die Autorin, nur dass sie die Umstände, die Orte, die Art und Weise, wie Menschen miteinander sprechen, sich anschauen oder nicht, so beschreibe, wie sie sie irgendwann einmal wahrgenommen hat - die Victoriafälle etwa, zu denen Linda in der Geschichte "Lamia" aufbricht, um ihren alten Liebhaber Malik wiederzusehen, und an deren Ufer sie spürt, wie sich ein Frieden in ihr ausbreitet, erzeugt einzig davon, was sie losgelassen hatte. Malik, attraktiv und eitel, macht keine eindrucksvolle Figur in dieser Geschichte, aber das ist nicht der Punkt. Was hier zählt, sind die an diesem besonderen Ort einer gemeinsamen Vergangenheit ineinanderstürzenden Gefühle, in denen Linda ihr ganzes Leben erkennt und Malik - nichts.
Sollten dieses Buch einer alten Frau über alte Frauen nur alte Frauen lesen? Keinesfalls. Der Literatur haben diese Figuren gefehlt, die so scharfzüngig, scharfsinnig und ohne zu blinzeln auf die Welt schauen, in denen über kurz oder lang alle alt werden, wenn sie Glück haben. Beim nächsten Buch, so ist zu hoffen, wird das Alter der Autorin dann höchstens noch eine Fußnote sein. VERENA LUEKEN
Jane Campbell: "Kleine Kratzer". Storys.
Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Kjona Verlag, München 2023. 192 S., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von wegen: Jane Campbell, spätberufene Schriftstellerin, brilliert mit ihren Kurzgeschichten über ältere Frauen
Sollten alte Frauen über alte Frauen schreiben? Warum denn nicht, scheint sich Jane Campbell gesagt zu haben, vor allem, wenn es kaum sonst jemand tut, und legte los. Herausgekommen sind dabei dreizehn Kurzgeschichten, die es in sich haben. Gnadenlos einige. Sarkastisch andere, manchmal mehr, manchmal weniger zum Lachen. Geschichten nicht über Kranke, Demente, Großmütter am Rand des Geschehens oder solche mit einer unglaublichen Geschichte, die ans Licht drängt, sondern über Frauen, die sich abseits des ihnen zugedachten Platzes stellen, manche krank, manche Großmütter, manche am Sterben. Aber alle mit größeren, interessanteren Leben, als ihnen gemeinhin gönnerhaft zugetraut wird, teilweise in inneren Welten unterwegs, aber nie in nostalgischer Rückwärtsgewandtheit.
Präzise beobachtet, handeln diese Geschichten einerseits vom Erwartbaren: von Verlust, vom Alter, vom Tod. Vom Unerwarteten andererseits: von Rache und Mord, Selbstmord und Begehren, von manipulativen Frauen, von verliebten Frauen, von fürsorglichen oder missbrauchten, von ruhigen oder resoluten Frauen, und fast immer von solchen, die bestimmen, wie es im Leben oder auch im Sterben mit ihnen weitergeht. Keine der dreizehn sehr unterschiedlichen Alten in diesen Geschichten ergibt sich passiv in ein Schicksal, dem sie ihr Einverständnis verweigert hätte. Und je länger die Lektüre dauert, desto klarer wird: Dies sind literarische Figuren, wie sie kaum anderswo zu finden sind. Mrs. Dalloway, die berühmteste Alte der Literaturgeschichte, ist zweiundfünfzig. Virginia Woolf, die sie erschaffen hatte, war bei Erscheinen des gleichnamigen Romans in ihren frühen Vierzigern.
Die Frauen in "Kleine Kratzer" sind jenseits der siebzig. Jane Campbell, deren Geschöpfe sie sind, ist achtzig und hat früher als psychoanalytische Gruppentherapeutin gearbeitet. Sie lebt in England und auf den Bermudas, und dies ist ihr Debüt. Debüt bedeutet nicht, sie hätte vorher nicht geschrieben. Gesprächen mit ihr ist zu entnehmen, dass sie ihr Leben lang Aufzeichnungen gemacht hat und also auf eine umfangreiche Sammlung von Notizbüchern zurückgreifen konnte. Ihr früherer Beruf brachte es mit sich, so darf vermutet werden, im formlosen Fluss von erzählter Lebenszeit jene Punkte, Wendungen oder Aktionen zu erkennen, die eine literarische Erzählung braucht. Als sie 2017 ihre erste Geschichte schrieb und an die "London Review of Books" schickte (die diese Kurzgeschichte nicht nur veröffentlichte, sondern ihr darüber hinaus vorschlug, weitere zu schreiben), kannte Jane Campbell sich schon lange damit aus, wie eine Story funktioniert. Und auch damit, ob sie sich besser in der ersten oder der dritten Person erzählen lässt.
Da ist zum Beispiel die Ich-Erzählerin der Geschichte "Edelmut", an deren Ende ein Mann und sein Hund tot sein werden. Der Mann heißt Leo: "Fast jeden Morgen sehe ich Leo, einen unfair großgewachsenen, gutaussehenden Achtundsiebzigjährigen, ehemals Chirurg, der seine reizlose Promenadenmischung hinter sich herzieht, einen Rettungshund aus Rumänien mit dem völlig ironiefreien Namen Brutus. Ich sage unfair, denn als seine guten Feen ihn mit Verstand, Schönheit, Gesundheit und auch noch Reichtum beschenkten, machten sie ihn überdies zu einem absoluten Scheißkerl. Seine Frau Mattie ist klein, dick und dumm." Das ist der Ton. Trocken. Später heißt es: "Mattie ist nun wirklich manipulativ. Aber dass sie mit Leo verheiratet und dick und dumm ist, macht sie verwundbar, also hat sie keine Wahl." Sich selbst beschreibt die Erzählerin so: "Ich bin kein Blickfang, aber ich weiß, wie man mit Männern redet. Da ich ungefähr so alt bin wie Leo, gehöre ich zur Kategorie abgetakelte Fregatte, aber ich habe keine Angst vor Männern, und wenn diese alten Säcke das merken, nehmen sie es als Herausforderung." Es gibt auch nettere Männer in diesem Buch, und manche kommen mit dem Leben davon.
Die Geschichte, die der Originalausgabe ihren Titel gibt ("Cat Brushing") und in der geschmeidigen Übersetzung von Bettina Abarbanell "Katzenbuckel" heißt, macht auf den ersten Blick den Eindruck einer autobiographischen Erzählung von einer Frau, die bei ihrem Sohn in Bermuda zu Besuch ist, der Katze das Fell bürstet, im Sessel sitzt und strickt, weil es gut für die Finger sein soll, und dabei bemerkt, wie ihr das Alter in die Glieder fährt. In den Augen des Sohns erkennt sie Wohlgefallen, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt und sie und die Katze im Sessel sitzen sieht, ein Bild der Unschuld, so ist sie überzeugt, das alle Welt teilt. Irgendwann wird ein Baby kommen und die Katze verschwinden, und sie wird den Mund halten und versuchen, pflegeleicht zu sein und ruhig. Es ist eine der melancholischsten Geschichten in diesem Buch, und die Ich-Erzählerin die genügsamste.
Der Eindruck, es handele sich um eine autobiographische Geschichte, die den Ton setzt für weitere Storys, abgeleitet aus dem eigenen Leben, täuscht allerdings. Alles sei erfunden, betont die Autorin, nur dass sie die Umstände, die Orte, die Art und Weise, wie Menschen miteinander sprechen, sich anschauen oder nicht, so beschreibe, wie sie sie irgendwann einmal wahrgenommen hat - die Victoriafälle etwa, zu denen Linda in der Geschichte "Lamia" aufbricht, um ihren alten Liebhaber Malik wiederzusehen, und an deren Ufer sie spürt, wie sich ein Frieden in ihr ausbreitet, erzeugt einzig davon, was sie losgelassen hatte. Malik, attraktiv und eitel, macht keine eindrucksvolle Figur in dieser Geschichte, aber das ist nicht der Punkt. Was hier zählt, sind die an diesem besonderen Ort einer gemeinsamen Vergangenheit ineinanderstürzenden Gefühle, in denen Linda ihr ganzes Leben erkennt und Malik - nichts.
Sollten dieses Buch einer alten Frau über alte Frauen nur alte Frauen lesen? Keinesfalls. Der Literatur haben diese Figuren gefehlt, die so scharfzüngig, scharfsinnig und ohne zu blinzeln auf die Welt schauen, in denen über kurz oder lang alle alt werden, wenn sie Glück haben. Beim nächsten Buch, so ist zu hoffen, wird das Alter der Autorin dann höchstens noch eine Fußnote sein. VERENA LUEKEN
Jane Campbell: "Kleine Kratzer". Storys.
Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Kjona Verlag, München 2023. 192 S., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Mich macht dieses Buch glücklich! Alter, lehrt es uns, ist keine Anhäufung von Verlusten, kein Zustand einfach nur des Noch-nicht-tot-seins, sondern ein volles Leben, genau wie die Jahrzehnte davor, bis das Licht ausgeht. Und bis dahin wird gelebt wie immer.« Elke Heidenreich auf Spiegel online
»Der Literatur haben diese Figuren gefehlt, die so scharfzüngig, scharfsinnig und ohne zu blinzeln auf die Welt schauen, in denen über kurz oder lang alle alt werden, wenn sie Glück haben.« Verena Lueken in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung