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Perlentaucher-Notiz zur 9punkt-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Die "Wut" der Autorin führt zu Pauschalurteilen. Wichtige Fragen zu den Folgen des Klimawandels. Antworten sucht man besser woanders.
Zu den Tücken des Klimawandels gehört es, dass er auch dort zuschlägt, wo Menschen leben, die kaum zu ihm beigetragen haben. Naturgewalten treffen dann auf schwache Staaten, die schlecht aufgestellt sind, ihre eigenen Bürger zu schützen. Zwar kann man von der Natur sinnvollerweise keine Gerechtigkeit erwarten. Der Blick auf die Umstände aber, in denen diese Menschen leben, ist erhellend. Die Klimawissenschaftlerin Friederike Otto hat sich vorgenommen, solche Verhältnisse auszuleuchten und "Klimaungerechtigkeit" als solche zu entlarven.
In den vergangenen Jahren hat Otto sich als innovative Forscherin einen Namen gemacht, sie hat einen ganzen Forschungszweig mitbegründet. Diese Zuordnungsforschung machte es möglich, den Einfluss des Klimawandels auf Wetterphänomene wie Überschwemmungen, Hitzewellen und Dürren nicht nur zu belegen, sondern sogar auszurechnen, um wie viel wahrscheinlicher solche Ereignisse durch die steigenden Temperaturen wurden. Mit "Wütendes Wetter" hat sie 2019 ein Buch vorgelegt, dass diese faszinierende Disziplin vorstellt und weiterhin die Lektüre wert ist.
Nun aber hat Otto ein neues Buch vorgelegt, in dem sie wütend erklärt, was aus ihrer Sicht "die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat". Folgerichtig nennt sie den Klimawandel "eine Gerechtigkeitskrise", in der diejenigen besonders leiden, die besonders arm sind. In einem Kapitel beschreibt die Autorin, wie die lokalen Behörden in Kapstadt nach jahrelanger Dürre das Wasser rationieren mussten. Wer auf die öffentliche Wasserversorgung angewiesen war, hatte ein Problem, während sich reiche Südafrikaner eben Wasser mit Tankwagen liefern oder gleich einen eigenen Brunnen bohren ließen. Das ist so ungerecht, wie es immer ungerecht ist, wenn einer mehr Geld und damit mehr Möglichkeiten hat. Klimaungerechtigkeit wird in Fällen wie in Südafrika aber erst daraus, dass die Behörden so taten, als sei die Knappheit schlicht naturgegeben und nicht zumindest auch Folge des eigenen schwachen Wassermanagements. Der Klimawandel ist schuld - das kann auch eine bequeme Ausrede sein. "Wer Katastrophen der Natur zuschreibt, ebnet einen subtilen Ausweg für all jene, die dafür verantwortlich sind", kommentiert Otto.
Aber es gibt, erklärt Otto, auch Gründe dafür, dass Staaten unterschiedlich leistungsfähig sind. Nach wie vor beute der "Globale Norden" den "Globalen Süden" aus - eine Fortsetzung des Kolonialismus mit Mitteln des Kapitalismus. Sie will zeigen, "wie sehr das koloniale Denken noch die Politik bestimmt". Aber wirklich konkret wird Otto nicht. Es ist symptomatisch für ihr Buch, dass der erste aufgeführte Beleg für anhaltendes koloniales Denken nicht aus dem Bereich des Klimas stammt, sondern an die Corona-Pandemie erinnert: "Impfstoffe für den Globalen Süden? Gab es nicht." Man ahnt, was Otto sagen will. Aber was sie schreibt, ist falsch: Es gab Impfstoffe auch in Ländern der Südhalbkugel (freilich nicht in allen und nicht in allen gleich viele pro Kopf wie in den Industriestaaten).
Auch solche Pauschalisierungen sind symptomatisch für das Buch. Wer wollte bestreiten, dass es international ungerecht zugeht? Aber wenn Otto immer wieder den Süden dem Norden entgegensetzt, verstellt sie damit den Blick darauf, dass die klimapolitische Landschaft längst nicht so eindeutig in Schuldige und Unschuldige eingeteilt werden kann - China zum Beispiel trägt nicht nur gegenwärtig mehr als jedes andere Land zum Klimawandel bei, sondern ist auch im historischen Vergleich bereits der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen.
Eine Stärke von Ottos Buch sind die Stimmen von Betroffenen, die sie ihren Kapiteln voranstellt und deren Schicksale sie dann im Zusammenhang mit extremen Wetterbedingungen in den an sich technisch-spröden Zusammenhang steigender Temperaturen rückt: Feuerwehrleute, die von ihrer Angst sprechen, beim Kampf gegen Waldbrände zu sterben. Frauen, die berichten, wie schwer ihnen die Feldarbeit fällt in der immer sengenderen Sonne - erst recht während und unmittelbar nach einer Schwangerschaft. So geht es Ottos Schilderung zufolge Frauen in Gambia, gegen die der Klimawandel gleich dreifach zuschlage, weil patriarchale Strukturen ihnen die Feldarbeit zuwiesen und damit den Nachteil schwächerer Ernten, die in größerer Hitze dem Boden abzuringen sind. Und dann seien sie auch noch dafür zuständig, die Ernteausfälle anderweitig zu kompensieren.
Klimaungerechtigkeit ist in diesem Sinn schlicht Ungerechtigkeit unter Bedingungen eines menschenunfreundlicheren Klimas. Aber gerade weil Otto ankündigt, ihr Buch sei der Versuch, "sich dem Klimawandel als Philosophin zu nähern", wartet der Leser vergeblich auf einen präziseren Begriff der Klimaungerechtigkeit.
Friederike Otto, die auch Physikerin ist, hat mit ihrer Zuordnungsforschung enorme Verdienste daran, dass Wetterereignisse in einen ursächlichen Zusammenhang mit Klimawandel gebracht werden können. Wissenschaftlich redlich macht Otto transparent, wenn diese Ursachenkette mit Unsicherheiten behaftet ist. Da erstaunt es umso mehr, dass die Ursachenketten, die vom Kolonialismus, Patriarchat und Kapitalismus zum Klimawandel führen sollen, allenfalls grob geschnitzt erkennbar sind. Das ist bitter; denn viele der Geschichten, die Otto von den Leidtragenden des Klimawandels erzählt, eignen sich bestens, um Gerechtigkeitsfragen zu stellen. Doch Antworten sollte man lieber anderswo suchen. LUKAS FUHR
Friederike Otto: Klimaungerechtigkeit. Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat.
Ullstein Verlag, Berlin 2023. 336 S., 22,99 Euro.
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