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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Kai Kauffmann widmet Friedrich Gottlieb Klopstock zum dreihundertsten Geburtstag eine Biographie
Nach der Apokalypse, die in Arno Schmidts Roman "Schwarze Spiegel" von 1951 den größten Teil Europas atomar verheerte, kommt der unerklärlicherweise überlebende Erzähler in ein verlassenes Postamt. Für den Fall, dass vielleicht irgendwo doch noch ein anderer Mensch lebendig ist und irgendwann ebenfalls hierher kommen wird, nimmt er sich eine frankierte Postkarte und schreibt: "An Herrn Klopstock", die Adresse ist "Schulpforta bei Naumburg", die Postleitzahl jenseits des Eisernen Vorhangs weiß er nicht. Und die eigentliche Nachricht ist kurz: "Anbei den Messias zurück."
Was Schmidts autobiographisch grundierter Erzähler da unternimmt, soll einem Übel abhelfen, das ihn offenbar derart quält, dass er dafür gut zweihundert Jahre überbrückt, um den Lauf der Literaturgeschichte zu ändern. Er schlüpft in die Rolle eines Verlegers, der den Druck von Friedrich Gottlieb Klopstocks bekanntestem Werk ablehnt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als der Dichter noch in Schulpforta ist, seine berühmte Abschiedsrede dort noch nicht gehalten und also auch seinen daraus ablesbaren Anspruch noch nicht formuliert hat, den Deutschen das Heldengedicht zu schenken, das ihnen noch fehlt, eben den "Messias". Wie weit der bei seinem Abschied Einundzwanzigjährige in Schulpforta mit der Konzeption dieses Werks gekommen war, ist unklar, einen Text zum Zurückschicken wird es damals nicht gegeben haben. Aus der Rückschau aber ist die 1745 gehaltene und erst 1780 publizierte Rede häufig im Zusammenhang mit dem "Messias" gesehen worden. Als sie im Druck erschien, sieben Jahre nach dem letzten Teil des Versepos, "konnten und sollten die Leser sehen: Klopstock hatte seine jugendliche Prophezeiung wahrgemacht, seine erhabene Mission triumphal erfüllt".
So steht es in Kai Kauffmanns zum heutigen dreihundertsten Geburtstag des Dichters erschienen Klopstock-Biographie. Anders aber als Schmidt, der Klopstock 1958 einen seiner berühmten Radio-Essays widmete und in der Rede des Schülers und der folgenden innerlichen Festlegung Klopstocks auf die selbstgewählte "Messias"-Aufgabe ein großes Verhängnis sieht, das den Dichter jahrzehntelang von demjenigen abzog, was er nach Schmidts doch auch hätte leisten können und sollen, nimmt Kauffmann, Germanist in Bielefeld, eine sehr viel breitere Perspektive ein.
Seine im Wesentlichen chronologisch gehaltene Biographie ist in drei Teile gegliedert: Der erste schildert Klopstocks Kindheit, Jugend, Studium und die Anstellung als Hauslehrer, der zweite seine Zeit am dänischen Hof in Kopenhagen, der dritte das Alter in Hamburg. Innerhalb dieser Großkapitel sind Exkurse der Genese und Einordnung einzelner Werke oder Werkgruppen vorbehalten. Kauffmann verfügt souverän über sein Material, er unterfordert seine Leser nicht, geht aber mit großem Geschick vom leicht zu Erfassenden zum Komplizierteren, und weil dabei naturgemäß die großen Epochenfragen angeschnitten werden, erweist sich das Buch auch als hervorragende Einführung in die deutsche Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, eben weil sich in der Person Klopstocks eine Brücke schlagen lässt von Opitz und Gottsched bis zu Sturm und Drang, dem Hainbund und, wie es Kauffmann in einem erhellenden essayistischen Exkurs unternimmt, zum "Faust".
Zugleich beweist Kauffmann ein gutes Gespür für das Publikum, das er mit seiner biographischen Darstellung erreichen will: Er hält sich mit der Darstellung heutiger wissenschaftlicher Diskurse sichtlich zurück, weist aber hier und da auf Ansichten hin, die seiner entgegenstehen. Mitunter bittet er seine Leser unnötigerweise um Nachsicht, etwa wenn er das hochinteressante Verhältnis nachzeichnet, das Klopstock auf dem Weg zum vermeintlichen Erneuerer des "Bardengesangs" zu den altnordischen Texten der "Edda" einnimmt - und natürlich zu den pseudokeltischen Liedern des "Ossian". Dass und wie sich der "Messias"-Dichter dem altsächsischen "Heliand" zuwendet, einem Werk also im inhaltlichen und formalen Spannungsverhältnis zu seinem eigenen Projekt, läse man gern ausführlicher.
Was Klopstocks Biographie angeht, legt Kauffmann einen Schwerpunkt auf Klopstocks Liebesgeschichten zu der erfolglos verehrten Cousine Maria Sophia Schmidt und der lange, aber am Ende glücklich umworbenen Meta Moller, die beide auf unterschiedliche Weise zum Gegenstand von Klopstocks Dichtungen wurden, Moller allerdings darüber hinaus zur literarischen Partnerin ihres Mannes, der nach der kurzen Ehe ihre Texte herausgab.
Kauffmann, der Arno Schmidts Klopstock-Texte sicher kennt und in seinem abschließenden Kapitel zur Rezeption nicht explizit erwähnt, gibt mit seinem Buch eine ausgeruhte Antwort auf Schmidts Klage. Zum einen, indem er den "Messias" zwar als fraglos bekanntestes Werk Klopstocks behandelt, die Arbeit daran aber als höchst lückenhaft ansieht und kaum hinderlich für den Autor, wenn er sich anderen Themen zuwandte. Schwerer aber wiegt, wie Kauffmann Klopstocks Beschäftigung mit dem Stoff gerade als dynamischen Prozess analysiert, in dessen Verlauf immer neue Einflüsse und Überlegungen eingingen, abzulesen etwa an der metrischen Gestalt.
Der Biograph betont, wie unermüdlich Klopstock überall und in jeder Lebensphase nach körperlicher Bewegung suchte, wie er als Kind die Freiheit einiger kurzer Jahre auf dem Dorf nutzte oder als begeisterter "Schrittschuhläufer", wie Klopstock den Sport nannte, trotz eines beinahe tödlichen Unfalls immer wieder aufs Eis ging. Den Schluss, dass man auch seelische Empfindung, für die Klopstocks Texte rasch gefeiert wurden, als "Bewegung" bezeichnen kann, überlässt er seinen Lesern. TILMAN SPRECKELSEN
Kai Kauffmann:
"Klopstock!".
Eine Biographie.
Wallstein Verlag,
Göttingen 2024.
420 S., Abb.,
geb., 36,- Euro.
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