Der Schriftsteller Gerbrand Bakker leidet an Depressionen und wegen der verschriebenen Antidepressiva an Libidoverlust. Eine Sexologin rät ihm, eine love map zu erstellen. Er folgt ihrem Rat und verzeichnet in Knecht, allein, seiner persönlichen Liebeskarte, alle im weitesten Sinne zur Geschichte seines Liebens gehörenden Erinnerungen. Er schreibt von einem Roadtrip nach Griechenland, einer Wanderung in Wales, von Gesprächen mit Freunden und den Nachbarn in der Eifel - und sucht in diesen Erinnerungen nach einem möglichen Auslöser seines depressiven Weltverlusts.
Knecht, allein liefert psychologische Einsichten in das Leben und Lieben eines Depressiven, wie man sie in dieser Ehrlichkeit und Klarheit selten liest. Der »Sprachhandwerker« Gerbrand Bakker umkreist sein Selbstverhältnis zu seiner Krankheit, sucht fast fiebrig nach den geeigneten Worten, um die Leere zu greifen, und begegnet ihr zugleich mit einer besonderen Lakonie, mit Humor und Freimut.
Knecht, allein liefert psychologische Einsichten in das Leben und Lieben eines Depressiven, wie man sie in dieser Ehrlichkeit und Klarheit selten liest. Der »Sprachhandwerker« Gerbrand Bakker umkreist sein Selbstverhältnis zu seiner Krankheit, sucht fast fiebrig nach den geeigneten Worten, um die Leere zu greifen, und begegnet ihr zugleich mit einer besonderen Lakonie, mit Humor und Freimut.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Pascal Fischer möchte gar nicht bestreiten, dass Depressionsmemoirs wie das des Schriftstellers Gerbrand Bakker für Betroffenen eine Ermutigung darstellen. Er selbst sieht in Brakkers nüchterner Chronologie einer Depression weder Fisch noch Fleisch. Weder bietet Brakker einen humorvollen Zugang zur Erkrankung wie Krömer, noch liefert er ein Sachbuch voller Ratschläge oder eine echte Anamnese, meint Fischer. Auf den Rezensenten wirkt das Buch letztlich "konturlos", wenn es sich im Alltäglichen verzettelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2022Literatur als Kontaktanzeige
Gerbrand Bakker lotet in dem autobiographischen Band "Knecht, allein" die Untiefen seiner Seele aus
Auf dem Umschlag seines Buchs "Knecht, allein" ist Gerbrand Bakker zu sehen, wie er nackt ins Meer geht. Ein muskulöser Mann, der die Arme hebt, um das Gleichgewicht zu halten, beim Laufen auf steinigem Boden. "Knecht, allein" spielt auf den Band "Jasper und sein Knecht" an, Bakkers Tagebuch aus der Zeit von 2014 bis 2016, in dem er unter anderem über sein Haus in der Eifel und das Zusammenleben mit seinem Hund Jasper schreibt. Der Ausdruck "allein" bezieht sich nicht nur auf den Tod seines Tieres. Es geht auch um Bakkers Verhältnis zu Mitmenschen, um seine Homosexualität, die Suche nach einer festen Beziehung. "Knecht" ist ebenfalls ein Hinweis auf die passive Rolle bei Homosexuellen.
Bakker hat ein Buch geschrieben, in dem er sich in seinem sozialen Umfeld untersucht. Konflikte mit Freunden, mit den Eltern, mit anderen Schriftstellern, mit Verlagsmitarbeitern, mit Kritikern, Gespräche mit Therapeuten, aber auch Situationen voller Sympathie und Zuneigung zu Menschen werden geschildert. Bakker hat damit den Roman seiner Seele geschrieben; der unter Depressionen leidende Autor beschreibt den Bürgerkrieg in seinem Inneren. Wenn hier von "Roman" die Rede ist, geht es nicht um erfundene Figuren, Ereignisse oder Konstellationen, sondern eher um die Tatsache, dass der holländische Schriftsteller einen erzählerischen Zusammenhang geschaffen hat, der eine eigene Realität darstellt.
Der Band wirkt wie ein Sachbuch, aber sind Autor und Erzähler in "Knecht, allein" identisch? An einer Stelle heißt es: "Es ist nicht verwunderlich, dass das Interesse für meine Bücher und ihr Erfolg mir guttaten. Mir das Gefühl gaben, verstanden zu werden. Doch das war ein falsches Verstehen. Ich bin nicht meine Bücher. Ich bin nicht meine Romane." Bakker zeigt in "Knecht, allein", wie Depressionen das Zusammenleben mit Menschen verändern, wie der Depressive sich unfair verhält gegenüber seiner Umwelt, wie aber gleichzeitig die Mitmenschen die Situation des psychisch Kranken durch Unverständnis verschlimmern können. Ein Teil des Buchs ist dem Einsatz von Medikamenten gegen die depressiven Symptome gewidmet. Häufiger taucht die "rosa Pille" auf, die bei Bakker kurzzeitig den Zustand verbessert, gemeint ist Alprazolam.
Das Buch beginnt mit einem Termin bei einer Sexologin, das verschriebene Antidepressivum hat bei Bakker zu einem Verlust der Libido geführt. Ein Phänomen, das der Icherzähler nicht kennt, der sein Leben lang Lust auf Sex hatte. In "Knecht, allein" tauchen eine Vielzahl von Personen auf: der Gartenkumpel Han, der Dachdecker Rudi, Pauline und Henk, Eltern, Geschwister, die Verlegerin Eva Cossée. Manchmal verliert der Leser den Überblick, ob die Handlung gerade in der Eifel oder in Amsterdam spielt. Der rote Faden des Buchs ist weniger die Geschichte der Depression, sondern eher Bakkers Versuch der Orientierung im eigenen Leben.
Sein Ehrgeiz ist sprachlicher Natur, um seine emotionale Situation zu schildern, möchte er auf Metaphern verzichten. "Knecht, allein" ist ein literarisches Buch, in dem der Autor dokumentarische Strategien anwendet, den Rohstoff der Wirklichkeit in einen poetischen Zusammenhang umwandelt. Im Zentrum steht der Icherzähler, Gerbrand Bakker, der von seinem Leben mit Depressionen berichtet, davon ausgehend werden die Verbindungen beschrieben, welche sich ergeben zum eigenen Schreiben, zur Lebensgeschichte, zum privaten und öffentlichen Umfeld.
Der Reiz des Buchs liegt in der mäandrierenden Struktur, Bakker schreibt keine Abhandlung, sondern verknüpft Episoden aus seinem Leben locker miteinander, schildert Begegnungen, Reisen, Lektüreerfahrungen, auch körperliche Krankheiten wie einen Darmverschluss, der im Krankenhaus operiert werden muss. Einmontiert in den Band sind Kolumnen, die der Autor für holländische Zeitschriften geschrieben hat, die sich organisch in den Erzählfluss einfügen. Schnell fasst der Leser Vertrauen zum Icherzähler, der wie ein Conférencier über sein Leben berichtet. Diese Chronik der Gefühle wird anschaulich gemacht am empirisch Wahrnehmbaren, an der konkreten Erfahrung. Der Verzicht auf Metaphern bedeutet auch, dass Bakker die Pflanzen in seinem Garten oder die Arbeit eines Fensterputzers in Amsterdam mit wenigen Worten so beschreibt, dass der Lesende einen Eindruck von der Situation bekommen kann.
Die Sogwirkung von "Knecht, allein" liegt in der fortschreitenden Selbstentblößung. Wie durch ein Schlüsselloch schaut man auf das Leben des Protagonisten, ist gespannt, welche Facetten man noch zu sehen bekommt. Welche Details gibt der Icherzähler preis über seine Homosexualität, über Beziehungsversuche, seine Krankheit, seine Konflikte mit den Lesern seiner Bücher? Zu diesen Themen tritt die Frage nach der Form des Dargestellten, nach der ästhetischen Methode des Buches. Der Hinweis auf die holländische Privé-domein-Reihe, in welcher der Band erschienen ist, macht deutlich, dass Bakker sich in der Tradition literarischer Selbstdarstellungen sieht. Es zeigen sich Verwandtschaften zu "Bevor es Nacht wird" von Reinaldo Arenas, zu den Büchern von Jean Genet oder Gerard Reve. Die literarische Verarbeitung von Depressionen findet sich ebenfalls im Werk von Ernst Jandl, in Form der Melancholie auch bei W. G. Sebald. Bei "Knecht, allein" liegt die Kunst des Autors in der Auswahl und Zusammenstellung der Ereignisse, im Gefühl für die Balance von Ausdruck und Erfahrung. Bakker hat ein Gespür für die unerhörten Begebenheiten seines Lebens.
Im Gespräch mit seinem Therapeuten kommt der Icherzähler auf die Situation des Alleinseins zu sprechen, die Thema seiner Literatur ist. "Wird es eine einzige große Kontaktanzeige?", fragt ihn der Therapeut. "Vielleicht schon", ist die Antwort. THOMAS COMBRINK
Gerbrand Bakker: "Knecht, allein".
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 318 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gerbrand Bakker lotet in dem autobiographischen Band "Knecht, allein" die Untiefen seiner Seele aus
Auf dem Umschlag seines Buchs "Knecht, allein" ist Gerbrand Bakker zu sehen, wie er nackt ins Meer geht. Ein muskulöser Mann, der die Arme hebt, um das Gleichgewicht zu halten, beim Laufen auf steinigem Boden. "Knecht, allein" spielt auf den Band "Jasper und sein Knecht" an, Bakkers Tagebuch aus der Zeit von 2014 bis 2016, in dem er unter anderem über sein Haus in der Eifel und das Zusammenleben mit seinem Hund Jasper schreibt. Der Ausdruck "allein" bezieht sich nicht nur auf den Tod seines Tieres. Es geht auch um Bakkers Verhältnis zu Mitmenschen, um seine Homosexualität, die Suche nach einer festen Beziehung. "Knecht" ist ebenfalls ein Hinweis auf die passive Rolle bei Homosexuellen.
Bakker hat ein Buch geschrieben, in dem er sich in seinem sozialen Umfeld untersucht. Konflikte mit Freunden, mit den Eltern, mit anderen Schriftstellern, mit Verlagsmitarbeitern, mit Kritikern, Gespräche mit Therapeuten, aber auch Situationen voller Sympathie und Zuneigung zu Menschen werden geschildert. Bakker hat damit den Roman seiner Seele geschrieben; der unter Depressionen leidende Autor beschreibt den Bürgerkrieg in seinem Inneren. Wenn hier von "Roman" die Rede ist, geht es nicht um erfundene Figuren, Ereignisse oder Konstellationen, sondern eher um die Tatsache, dass der holländische Schriftsteller einen erzählerischen Zusammenhang geschaffen hat, der eine eigene Realität darstellt.
Der Band wirkt wie ein Sachbuch, aber sind Autor und Erzähler in "Knecht, allein" identisch? An einer Stelle heißt es: "Es ist nicht verwunderlich, dass das Interesse für meine Bücher und ihr Erfolg mir guttaten. Mir das Gefühl gaben, verstanden zu werden. Doch das war ein falsches Verstehen. Ich bin nicht meine Bücher. Ich bin nicht meine Romane." Bakker zeigt in "Knecht, allein", wie Depressionen das Zusammenleben mit Menschen verändern, wie der Depressive sich unfair verhält gegenüber seiner Umwelt, wie aber gleichzeitig die Mitmenschen die Situation des psychisch Kranken durch Unverständnis verschlimmern können. Ein Teil des Buchs ist dem Einsatz von Medikamenten gegen die depressiven Symptome gewidmet. Häufiger taucht die "rosa Pille" auf, die bei Bakker kurzzeitig den Zustand verbessert, gemeint ist Alprazolam.
Das Buch beginnt mit einem Termin bei einer Sexologin, das verschriebene Antidepressivum hat bei Bakker zu einem Verlust der Libido geführt. Ein Phänomen, das der Icherzähler nicht kennt, der sein Leben lang Lust auf Sex hatte. In "Knecht, allein" tauchen eine Vielzahl von Personen auf: der Gartenkumpel Han, der Dachdecker Rudi, Pauline und Henk, Eltern, Geschwister, die Verlegerin Eva Cossée. Manchmal verliert der Leser den Überblick, ob die Handlung gerade in der Eifel oder in Amsterdam spielt. Der rote Faden des Buchs ist weniger die Geschichte der Depression, sondern eher Bakkers Versuch der Orientierung im eigenen Leben.
Sein Ehrgeiz ist sprachlicher Natur, um seine emotionale Situation zu schildern, möchte er auf Metaphern verzichten. "Knecht, allein" ist ein literarisches Buch, in dem der Autor dokumentarische Strategien anwendet, den Rohstoff der Wirklichkeit in einen poetischen Zusammenhang umwandelt. Im Zentrum steht der Icherzähler, Gerbrand Bakker, der von seinem Leben mit Depressionen berichtet, davon ausgehend werden die Verbindungen beschrieben, welche sich ergeben zum eigenen Schreiben, zur Lebensgeschichte, zum privaten und öffentlichen Umfeld.
Der Reiz des Buchs liegt in der mäandrierenden Struktur, Bakker schreibt keine Abhandlung, sondern verknüpft Episoden aus seinem Leben locker miteinander, schildert Begegnungen, Reisen, Lektüreerfahrungen, auch körperliche Krankheiten wie einen Darmverschluss, der im Krankenhaus operiert werden muss. Einmontiert in den Band sind Kolumnen, die der Autor für holländische Zeitschriften geschrieben hat, die sich organisch in den Erzählfluss einfügen. Schnell fasst der Leser Vertrauen zum Icherzähler, der wie ein Conférencier über sein Leben berichtet. Diese Chronik der Gefühle wird anschaulich gemacht am empirisch Wahrnehmbaren, an der konkreten Erfahrung. Der Verzicht auf Metaphern bedeutet auch, dass Bakker die Pflanzen in seinem Garten oder die Arbeit eines Fensterputzers in Amsterdam mit wenigen Worten so beschreibt, dass der Lesende einen Eindruck von der Situation bekommen kann.
Die Sogwirkung von "Knecht, allein" liegt in der fortschreitenden Selbstentblößung. Wie durch ein Schlüsselloch schaut man auf das Leben des Protagonisten, ist gespannt, welche Facetten man noch zu sehen bekommt. Welche Details gibt der Icherzähler preis über seine Homosexualität, über Beziehungsversuche, seine Krankheit, seine Konflikte mit den Lesern seiner Bücher? Zu diesen Themen tritt die Frage nach der Form des Dargestellten, nach der ästhetischen Methode des Buches. Der Hinweis auf die holländische Privé-domein-Reihe, in welcher der Band erschienen ist, macht deutlich, dass Bakker sich in der Tradition literarischer Selbstdarstellungen sieht. Es zeigen sich Verwandtschaften zu "Bevor es Nacht wird" von Reinaldo Arenas, zu den Büchern von Jean Genet oder Gerard Reve. Die literarische Verarbeitung von Depressionen findet sich ebenfalls im Werk von Ernst Jandl, in Form der Melancholie auch bei W. G. Sebald. Bei "Knecht, allein" liegt die Kunst des Autors in der Auswahl und Zusammenstellung der Ereignisse, im Gefühl für die Balance von Ausdruck und Erfahrung. Bakker hat ein Gespür für die unerhörten Begebenheiten seines Lebens.
Im Gespräch mit seinem Therapeuten kommt der Icherzähler auf die Situation des Alleinseins zu sprechen, die Thema seiner Literatur ist. "Wird es eine einzige große Kontaktanzeige?", fragt ihn der Therapeut. "Vielleicht schon", ist die Antwort. THOMAS COMBRINK
Gerbrand Bakker: "Knecht, allein".
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 318 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Knecht, allein ist ein literarisches Buch, in dem der Autor dokumentarische Strategien anwendet, den Rohstoff der Wirklichkeit in einen poetischen Zusammenhang umwandelt. ... Der Reiz des Buchs liegt in der mäandierenden Struktur, Bakker schreibt keine Abhandlung, sondern verknüpft Episoden aus seinem Leben locker miteinander ...« Thomas Combrink Frankfurter Allgemeine Zeitung 20220511