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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Hier ist sie, die perfekte amerikanische Kurzgeschichte: Donald Ray Pollocks Erzählzyklus "Knockemstiff" haut einen glatt aus den Schuhen
Einmal ein Buch schreiben, auf dessen amerikanischer Ausgabe als Werbeslogan "A Whiskey-Stained Classic" steht: Das wäre schon was. Donald Ray Pollock ist dies gleich mit seinem Debüt gelungen, bei dem schon der Titel wie ein ziemlich harter Cocktail klingt: "Knockemstiff". Es handelt sich dabei allerdings nicht um ein Getränk, sondern um ein Kaff im Land der unmöglichen Ortsnamen, genauer gesagt im Bundesstaat Ohio. Der Autor stammt selbst aus diesem Kaff - aber die schatzinselhafte Kartenzeichnung, die sein Werk begleitet, hebt den Ort sogleich ins Reich der Fiktion: Zwischen Whitey Fords Hütte und dem Black Run River, zwischen Harry Freys Obstgarten und dem alten Highway 23 entpinnen sich Geschichten aus dem amerikanischen Herzland, die einen schon mit den ersten zwei Sätzen aus den Schuhen hauen und so schnell nicht wieder hochkommen lassen: "Als ich sieben war, zeigte mir mein Vater in einer Augustnacht beim Torch-Drive-in, wie man einem Mann so richtig weh tut. Das war das Einzige, was er wirklich beherrschte."
Damit ist der Ton für das ganze Buch gesetzt, und Pollock hält diesen No-Nonsense-Stil wirklich meisterlich bis zur letzten Seite durch. Jeder Schlag sitzt, und das will schon etwas heißen bei der Vielzahl von Schwingern und Haken, die der Autor seinen Figuren in ihrem jeweiligen hard-knock-life austeilt. Gleich in der ersten Geschichte wird in der Popcornbude des besagten Autokinos ein Mann derart vermöbelt, dass einem Hören und Sehen vergehen kann. Und als traurige Spiegelung dieser Erwachsenengewalt wird der erst siebenjährige Sohn des Schlägers, der die Geschichte später aus der Erinnerung erzählt, bei der Rauferei mit dem Sohn des Gegners seines Vaters in die Kunst des Nasenbeinbruchs eingeführt.
Das Label der Whiskeyliteratur ist für dieses Buch aber sogar noch zu schwach, denn hier geht es auch noch um ganz andere Drogen: vor allem um schlechtes Speed und Crystal Meth, die heute den Lebensrhythmus des depravierten Amerika bestimmen; wenn es der ganz billige Rausch sein soll, auch mal Lösungmittel oder ein Anästhetikum, das aus der Tüte geschnüffelt wird. Diejenigen, die noch "Disziplin" haben (so der Titel einer Erzählung), sind in der Figurenwelt Donald Ray Pollocks allenfalls die Bodybuilder, aber der einzige Unterschied zu all den andern Abhängigen in diesen Storys ist, dass sie sich etwas teureres Zeug leisten können: "Wir fuhren runter nach Parkersburg, um an noch mehr Steroide zu kommen - 50 cc mexikanisches Deca-Durabolin für 425 Dollar -, und ich verpasste meinem Sohn Sammy gleich auf dem Parkplatz vor dem Gold's eine Dosis in die Hüfte."
Blut spuckt man in diesem Buch nicht nur bei Prügeleien, sondern auch wegen aufgerahuter Gaumen und Schleimhäute. Aber in Drastik und Gewaltdarstellung erschöpfen sich die Geschichten dann doch nicht, ihre größte Härte liegt vielmehr in dem verbindenden Motiv, das man mit Bruce Springsteen sehr einfach als "town full of losers" bezeichnen könnte. Sehr selten nur macht jemand einen Ausbruchsversuch aus dieser Stadt, um doch noch zu gewinnen - und wenn es einer probiert, so wie der verpickelte Teenager Daniel, der vor seinem gewalttätigen Vater davonrennt zur Route 50 und dort den Daumen raushält, dann endet es an einem noch mieseren Ort, mit einer Frauenperücke und einem schwitzenden Fernfahrer.
Noch trauriger geht die Erzählung über Todd Russell aus, dem seine Oma einen alten Ford Fairlane und zweitausend Dollar in der Kaffeedose vermacht - eigentlich genug, um abzuhauen und irgendwo ein besseres Leben anzufangen. Doch aus der Wunschvorstellung der alten Dame, dass ihr Enkel "eines Tages im burgunderroten Anzug und mit lederner Aktentasche nach Knockemstiff zurückkehren könnte", wird nichts, denn auch er kommt natürlich gar nicht erst weg, sondern investiert das Geld in Drogen und wird am Ende übel zugerichtet und betrogen.
Amerikanische Rezensenten haben in "Knockemstiff" Anklänge an Sherwood Andersons 1919 veröffentlichten Erzählzyklus "Winesburg, Ohio" ausgemacht, in dem ebenfalls das große Panorama einer Stadt in miteinander verknüpften Episoden erstellt wird. Eine Ähnlichkeit scheint schon durch das Setting in Ohio auf der Hand zu liegen, doch es gibt noch weitere Indizien: Auch bei Anderson stand eine gezeichnete Karte des Ortes am Beginn des Textes, dazu kommen Themen wie die emotionale oder auch physische Verkrüppelung der Figuren und vor allem deren Sprechen in der sogenannten vernacular tongue, also so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.
Was zu Andersons Zeit als naturalistische Prosa empfunden wurde, steht allerdings in keinem Vergleich mehr zu den Dampfhammersätzen Donald Ray Pollocks, in denen auch die weitere Entwicklung der amerikanischen Literatur bis hin zu den Beatniks und Bukowski aufgehoben scheint - aber selbst diesen stellt Pollock, selbst übrigens Jahrgang 1954, an lakonischer Härte manchmal noch in den Schatten.
Wie viel Humor trotz dieser Härte in Pollocks Stil steckt, erschließt sich insbesondere durch seine Meisterschaft der vielsagenden Andeutung - etwa in einer großartig beiläufigen Formulierung wie "als unsere Familie noch kein Aufenthaltsverbot für die State Parks hatte", deren Hintergrund der Leser natürlich nie erfährt, sich aber im Kontext dieser Storys lebhaft ausmalen kann. Während man bei der fünften oder sechsten Drogenerzählung gelegentlich ermüdet ob so viel Hoffnungslosigkeit und schlechten Trips, bleibt der stärkste Eindruck dieses Buches seine Eintrittskarte: "Das wahre Leben" könnte wohl die perfekte amerikanische Kurzgeschichte sein.
JAN WIELE
Donald Ray
Pollock: "Knockemstiff".
Aus dem Englischen von Peter Torberg. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2013. 256 S., geb., 18,90 [Euro].
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