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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Porträt eines Herrschers, dessen Namen und Schloss alle kennen: Philip Mansel beschreibt das Leben Ludwigs XIV.
Welcher Potentat möchte nicht gerne als "der Große" in die Geschichte eingehen? Doch historische "Größe", sosehr sie Herrscher auch zu erzwingen versuchen, ist dem Griff der Handelnden selbst entzogen. Sie wird von der Nachwelt attestiert, und das oft nach zweifelhaften Maßstäbe und aufgrund merkwürdiger Vorstellungen. Warum wurde Friedrich II. von Preußen "der Große", nicht aber Ludwig XIV. von Frankreich, der Sonnenkönig, der Schöpfer von Versailles? An lobhudelnden Zeitgenossen, die ihn regelmäßig zu "Ludwig dem Großen" verklären wollten, hat es jedenfalls nicht gemangelt. Bis heute prägen Versailles und die damit verbundenen Vorstellungen vom barocken Hofleben die Populärkultur wie den wissenschaftlichen Diskurs.
Wer sich ein nüchternes Bild von der "Größe" dieses französischen Monarchen machen möchte, kann zur neuen Biographie von Philip Mansel greifen, die jetzt auch auf Deutsch erschienen ist. Diese Übersetzung ist umso willkommener, als keine der jüngeren maßstabsetzenden französischen Lebensbeschreibungen je auf Deutsch erschien, und das, obwohl Ludwig XIV., der 1643 als Fünfjähriger auf den Thron kam und über siebzig Jahre bis zu seinem Tod 1715 herrschte, gewiss eine der bekanntesten Herrschergestalten der Vormoderne ist.
Dass nun gerade Mansels Buch übersetzt wurde, ist ebenso berechtigt wie verständlich. Der Autor bringt sein Material in überschaubaren, meist nur wenige Seiten umfassenden Häppchen. Mansel schreibt eingängig und verbindet die historische Darstellung mit zahlreichen Bezugnahmen auf die Gegenwart. Mit genauem Gespür für den Fluss der Darstellung bringt Mansel alle bekannten Anekdoten aus Ludwigs Leben, von der Bedrängnis des Jünglings in den Aufständen der Fronde bis hin zur lebensbedrohlichen Operation der Analfistel. Karin Schuler hat aus dem englischen Original einen exzellenten, gut lesbaren deutschen Text gemacht, dem man den Übersetzungscharakter nicht anmerkt.
Zugleich setzt Mansel eigene Akzente. Vielleicht ist es dem ursprünglichen Zielpublikum des britischen Autors geschuldet, dass die Verquickung von Ludwigs Leben mit der Geschichte Englands um die Glorious Revolution von 1688 herum ganz besonders prominent behandelt wird. Selten jedenfalls hat man zuvor einen dermaßen 'englischen' Ludwig erlebt. Andere internationale Schlüsselakteure treten in Mansels Darstellung in den Hintergrund. Die deutschen Fürsten und der Kaiser tauchen nur episodisch auf, ebenso der Große Nordische Krieg nach 1700. Auffällig ist zudem, dass die Päpste nur Statisten sind. Überhaupt die Religion: Während der antiprotestantische Eifer Ludwigs XIV., der in Zwangskonversion und Flucht nach 1685 kulminierte, breite Erwähnung findet, liest man so gut wie nichts zu den kaum weniger dramatischen innerkatholischen Konflikten um den Gallikanismus und den Jansenismus. Auch über Ludwigs eigene religiöse Befindlichkeiten schweigt Mansel.
Ein Buch mit dem Titel "König der Welt", der direkt aus dem englischen Original übersetzt wurde, suggeriert einen besonders globalen Blick. Einerseits erzählt Mansel in einem eigenen Kapitel zum "Weltenkönig" tatsächlich knapp, aber sehr kompetent, dass Ludwigs Regierungszeit zu einer kolonialen Expansion Frankreichs geführt hat, insbesondere in Nordamerika, der Karibik und in Asien. Andererseits ist dieses isolierte Kapitel nur ein episodischer Einschub, der den ansonsten europäischen Charakter des Buchs nicht durchbricht.
Insgesamt bleibt Mansels Biographie auf den Protagonisten selbst, die internationale Politik Europas, die großen Ereignisse und das Leben bei Hof fixiert. All dies erzählt Mansel mit Gusto und Umsicht. Im Gedächtnis bleiben beispielsweise die Passagen zum Spanischen Erbfolgekrieg, die genützt werden, um zu erklären, weshalb 1708/09 trotz vergleichbar katastrophaler Lage wie 1789 kaum die Gefahr einer Revolution drohte. Bis ins hohe Alter blieb Ludwig entschlossen in seinem Regierungshandel und behielt enge Beziehungen zum Militär. Anders als Jahrzehnte später hatte die Monarchie nicht die Bindung zu den Geschehnissen verloren.
Mit klaren Strichen zeichnet Mansel seinen Protagonisten auch sonst als einen Herrscher, der zumeist die Geschichte durch seine eigene Persönlichkeit prägte, freilich nicht ohne häufig um Rat zu fragen. Das Buch folgt deshalb auch mehr oder weniger chronologisch dem Herrscherleben; zwar gibt es systematische Einschübe, doch der Autor wählt - im Unterschied zu vielen anderen Biographen - keine an Sachfragen orientierte Gliederung. Dadurch treten die persönlichen Eigenschaften Ludwigs pointiert hervor, im Positiven wie im Negativen. Er traf bisweilen die richtigen Personalentscheidungen, bisweilen aber auch katastrophal schlechte. Er konnte verzeihen und nachgiebig sein, war aber auch grausam und nachtragend. Er traute seiner Familie meist nicht und vernarrte sich doch immer wieder in einzelne Getreue. Häufig setzte er nichtsdestotrotz die Dynastie kompromisslos über alle anderen, vernünftigeren Handlungsmotive. Ludwigs kompromissloses Arbeitsethos war vorbildlich, und doch verfolgte er zahlreiche persönliche Vorlieben mit gefährlicher Leidenschaft. Das gilt vor allem für sein größtes Vergnügen überhaupt, das Schloss von Versailles, an dessen Bau er gegen den Rat seines besten Ministers, Jean-Baptiste Colbert, festhielt. Ludwig glaubte unerschütterlich und mit Entschlossenheit an seine eigene Macht und deren Berechtigung. Selten waren die Momente, in denen er Zweifel an sich selbst und seinen Entscheidungen hegte oder zugab.
Mansels abschließende Abwägung fällt angemessen gemischt aus. Obwohl der französische Hof zum Vorbild ganz Europas, Frankreich territorial nicht unerheblich vergrößert und der spanische Thron für seinen Enkel und seine Nachfolger gesichert wurde, hatte Frankreich die unangefochtene machtpolitische Vorrangstellung in Europa, die es in den ersten Jahrzehnten der Regierungszeit Ludwigs XIV. noch innegehabt hatte, am Ende seiner Regierungszeit unübersehbar verloren. Ludwig setzte auf die Verlierer statt auf die Gewinner der Geschichte: nicht auf England und Österreich oder Russland, sondern auf Spanien, Schweden oder Bayern.
Im Rückblick reichte das nicht, um ihn zu "Ludwig dem Großen" zu machen - berechtigterweise, angesichts der Fehler, Ungerechtigkeit, Brutalität und Umschwünge, die lange Regierungszeiten unweigerlich mit sich bringen. Gewiss hatte der Sonnenkönig prägenden Einfluss auf den weiteren Gang der europäischen Geschichte, zum Teil bis heute. Doch beherrschender Einfluss ist nicht dasselbe wie echte historische Größe. Diese ist rar, und über ihr Wesen herrschen bis heute bisweilen merkwürdige Vorstellungen. MARKUS FRIEDRICH
Philip Mansel: "König der Welt". Das Leben von Ludwig XIV.
Aus dem Englischen von Karin Schuler. Propyläen Verlag, Berlin 2022. 944 S., Abb., geb., 59,- Euro.
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