Wer über die Medizin im 21. Jahrhundert nachdenkt, hat ein großes Klagen im Ohr: Patienten fühlen sich unverstanden, Ärzte sehen sich von Zwängen umstellt, während Technologie und immer neue alternative Methoden Heilsversprechen machen. Doch wie werden wir wirklich gesünder? Bernd Hontschik, praktizierender Arzt, nimmt sich die Freiheit, über seine tägliche Arbeit - und über sie hinaus - nachzudenken, und plädiert für ein Umdenken in der Medizin. Im ersten Band der neuen Reihe medizinHuman geht es um die Irrwege der hochgerüsteten Medizin und die Wichtigkeit ärztlicher Kreativität. Warum heilen Wunden entgegen aller Logik nicht zu? Warum wirken Medikamente manchmal und manchmal nicht? Seine Antwort: Der Mensch ist weit mehr als eine »triviale Maschine«, und die Kunst des Heilens besteht darin, ihn auch so zu behandeln: als Einheit von Körper und Seele. Körper, Seele, Mensch ist ein Band aus der Reihe medizinHuman im suhrkamp taschenbuch. Bernd Hontschik, geboren 1952, ist Chirurg und Herausgeber der Reihe medizinHuman. Er hat zahlreiche Artikel in Büchern und Zeitschriften veröffentlicht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2008Tadel für die Schulmedizin
Die gegenwärtig üblichen Methoden der Schulmedizin seien ein Trauerspiel. Denn die Schulmedizin denke zu mechanistisch, sei einem dualistischen Menschenbild verhaftet und unterstütze damit den Wandel des Gesundheitswesens zu einer großen Profitmaschine. So lautet in knappen Worten die nicht gerade positive Bestandsaufnahme des Chirurgen Bernd Hontschik ("Körper, Seele, Mensch". Versuch über die Kunst des Heilens. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 143 S., geb., 6,50 [Euro]). Der Autor sucht dem auf den Grund zu gehen, was in der heutigen medizinischen Praxis schiefläuft.
Hontschik nutzt vor allem seine eigene Ärzte-Biographie, um in die Materie einzuführen, und das gelingt ihm äußerst plastisch, ohne den Leser zu sehr mit medizinischem Fachvokabular zu verschrecken. Idealistisch ist dieser Arzt, wenn auch zu Beginn seiner Karriere mehr aus bloßer Gefallsucht. Er will nämlich bei allen beliebt sein, bei den Patienten, dem Pflegepersonal und den Kollegen. Schnell stellt er allerdings fest: Das geht gar nicht. Er bemerkt auch recht schnell, warum: Jede dieser mehr oder weniger freiwillig im medizinischen Zusammenhang handelnden Personengruppen hat unterschiedliche Absichten, die von den anderen als störend empfunden werden. Das Paradox liegt darin, dass eigentlich alle dasselbe wollen: Der Patient soll geheilt werden. Seltsamerweise stehen sich dabei alle gegenseitig im Weg.
Für Hontschik liegt die Schuld dabei im Konzept der Schulmedizin begründet, sie mache den Arzt zum bloßen Techniker am Patienten, der die gesamte Lebenswelt des Menschen dahinter ausblendet. Gleichzeitig ist aber auch der Arzt eine entpersonalisierte Größe im System Schulmedizin, ausgebildet, um möglichst schnell und genau Reparaturen am Kranken durchzuführen.
Erschreckend ist dabei der Einblick, den Hontschik dem Leser in die Ärzteausbildung gewährt. Beispielhaft zitiert er die Lehrbücher seiner Generation, in denen ein "stillschweigender Ideologietransport" zu den Menschenversuchen von Nazi-Ärzten zurückführt. Als schockierendes Beispiel nennt Hontschik hier die "Einführung in die Physiologie des Menschen" von Hermann Rein und Max Schneider, erschienen 1964, und zitiert einen Absatz zum Thema Energie- und Wärmehaushalt im menschlichen Körper, der ohne jeden Literatur- oder Quellennachweis - geschweige denn kritischer Einschätzung des Verfahrens - Messwerte angibt, bei denen Menschen Unterdruck und Unterkühlung ausgesetzt wurden.
Als Assistenzarzt in der Klinik angekommen, geht die Enttäuschung weiter. Als quälend empfindet der junge Arzt vor allem die Frage, warum eine technisch einwandfrei durchgeführte Behandlung in einem Fall funktioniert und im nächsten wieder nicht. Das lineare Ursache-Wirkungs-Prinzip, das er während seiner Ausbildung verinnerlicht hatte, scheint irgendwo einen Haken zu haben. So beginnt nach und nach die Suche nach anderen Kriterien, um die eigene Arbeit besser zu verstehen. Hontschik schildert diese Suche und lässt den Leser an ihr teilhaben. Immer wieder wertet er auf seinem beruflichen Weg seine Erfahrungen und Fehlschläge aus, um Verbesserungen für das Arzt-Patienten-Verhältnis zu finden. Überzeugend und anschaulich wechseln seine Erläuterungen zwischen Fallbeispielen und Kapiteln, die in medizinische Theoriebildung einführen, ohne sich dabei in fachsprachlichem Kauderwelsch zu verselbständigen.
Analytisch gehaltvoll stellt der Autor das schulmedizinische Modell vom Menschen als einer trivialen Maschine dem humanmedizinischen Entwurf einer ganzheitlichen Behandlung gegenüber, die sich Anleihen aus anderen Disziplinen holt. Im Spannungsfeld von Konstruktivismus, Biosemiotik und Systemtheorie lässt Hontschik die Körper-Seele-Aufteilung der Schulmedizin hinter sich und entwickelt im Laufe des Buches anschaulich das Modell einer "Integrierten Medizin".
Entscheidend für eine veränderte Medizin ist die Frage, wie die Bedeutungen verteilt werden. Mit anderen Worten: Jeder Patient muss in seiner jeweiligen Lebenswelt gesehen werden. Folglich können Ursache und Wirkung nicht schematisch miteinander verknüpft sein, wie es eine evidenzbasierte Schulmedizin nahelegt. "Mit diesem Modell verlässt man die Weltanschauung des Objektiven, des Rationalismus und kommt zum sogenannten Konstruktivismus, zum Subjektiven, in dem Objektivität als unmöglich erkannt wird und jeder Organismus sich seine Realität ,konstruieren' muß", so Hontschik. Der Arzt müsse vor allem lernen, die Zeichen zu lesen, die der Patient aussendet, um zu einer gemeinsamen Wirklichkeitssicht zu finden.
Im Grunde deckt Hontschik hier nichts auf, was nicht schon durch den gesunden Menschenverstand zu ermitteln wäre. Dessen ist sich der Autor auch bewusst. Umso bedenklicher, dass davon in der medizinischen Praxis noch nicht sehr viel angekommen zu sein scheint.
GESINE HINDEMITH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die gegenwärtig üblichen Methoden der Schulmedizin seien ein Trauerspiel. Denn die Schulmedizin denke zu mechanistisch, sei einem dualistischen Menschenbild verhaftet und unterstütze damit den Wandel des Gesundheitswesens zu einer großen Profitmaschine. So lautet in knappen Worten die nicht gerade positive Bestandsaufnahme des Chirurgen Bernd Hontschik ("Körper, Seele, Mensch". Versuch über die Kunst des Heilens. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 143 S., geb., 6,50 [Euro]). Der Autor sucht dem auf den Grund zu gehen, was in der heutigen medizinischen Praxis schiefläuft.
Hontschik nutzt vor allem seine eigene Ärzte-Biographie, um in die Materie einzuführen, und das gelingt ihm äußerst plastisch, ohne den Leser zu sehr mit medizinischem Fachvokabular zu verschrecken. Idealistisch ist dieser Arzt, wenn auch zu Beginn seiner Karriere mehr aus bloßer Gefallsucht. Er will nämlich bei allen beliebt sein, bei den Patienten, dem Pflegepersonal und den Kollegen. Schnell stellt er allerdings fest: Das geht gar nicht. Er bemerkt auch recht schnell, warum: Jede dieser mehr oder weniger freiwillig im medizinischen Zusammenhang handelnden Personengruppen hat unterschiedliche Absichten, die von den anderen als störend empfunden werden. Das Paradox liegt darin, dass eigentlich alle dasselbe wollen: Der Patient soll geheilt werden. Seltsamerweise stehen sich dabei alle gegenseitig im Weg.
Für Hontschik liegt die Schuld dabei im Konzept der Schulmedizin begründet, sie mache den Arzt zum bloßen Techniker am Patienten, der die gesamte Lebenswelt des Menschen dahinter ausblendet. Gleichzeitig ist aber auch der Arzt eine entpersonalisierte Größe im System Schulmedizin, ausgebildet, um möglichst schnell und genau Reparaturen am Kranken durchzuführen.
Erschreckend ist dabei der Einblick, den Hontschik dem Leser in die Ärzteausbildung gewährt. Beispielhaft zitiert er die Lehrbücher seiner Generation, in denen ein "stillschweigender Ideologietransport" zu den Menschenversuchen von Nazi-Ärzten zurückführt. Als schockierendes Beispiel nennt Hontschik hier die "Einführung in die Physiologie des Menschen" von Hermann Rein und Max Schneider, erschienen 1964, und zitiert einen Absatz zum Thema Energie- und Wärmehaushalt im menschlichen Körper, der ohne jeden Literatur- oder Quellennachweis - geschweige denn kritischer Einschätzung des Verfahrens - Messwerte angibt, bei denen Menschen Unterdruck und Unterkühlung ausgesetzt wurden.
Als Assistenzarzt in der Klinik angekommen, geht die Enttäuschung weiter. Als quälend empfindet der junge Arzt vor allem die Frage, warum eine technisch einwandfrei durchgeführte Behandlung in einem Fall funktioniert und im nächsten wieder nicht. Das lineare Ursache-Wirkungs-Prinzip, das er während seiner Ausbildung verinnerlicht hatte, scheint irgendwo einen Haken zu haben. So beginnt nach und nach die Suche nach anderen Kriterien, um die eigene Arbeit besser zu verstehen. Hontschik schildert diese Suche und lässt den Leser an ihr teilhaben. Immer wieder wertet er auf seinem beruflichen Weg seine Erfahrungen und Fehlschläge aus, um Verbesserungen für das Arzt-Patienten-Verhältnis zu finden. Überzeugend und anschaulich wechseln seine Erläuterungen zwischen Fallbeispielen und Kapiteln, die in medizinische Theoriebildung einführen, ohne sich dabei in fachsprachlichem Kauderwelsch zu verselbständigen.
Analytisch gehaltvoll stellt der Autor das schulmedizinische Modell vom Menschen als einer trivialen Maschine dem humanmedizinischen Entwurf einer ganzheitlichen Behandlung gegenüber, die sich Anleihen aus anderen Disziplinen holt. Im Spannungsfeld von Konstruktivismus, Biosemiotik und Systemtheorie lässt Hontschik die Körper-Seele-Aufteilung der Schulmedizin hinter sich und entwickelt im Laufe des Buches anschaulich das Modell einer "Integrierten Medizin".
Entscheidend für eine veränderte Medizin ist die Frage, wie die Bedeutungen verteilt werden. Mit anderen Worten: Jeder Patient muss in seiner jeweiligen Lebenswelt gesehen werden. Folglich können Ursache und Wirkung nicht schematisch miteinander verknüpft sein, wie es eine evidenzbasierte Schulmedizin nahelegt. "Mit diesem Modell verlässt man die Weltanschauung des Objektiven, des Rationalismus und kommt zum sogenannten Konstruktivismus, zum Subjektiven, in dem Objektivität als unmöglich erkannt wird und jeder Organismus sich seine Realität ,konstruieren' muß", so Hontschik. Der Arzt müsse vor allem lernen, die Zeichen zu lesen, die der Patient aussendet, um zu einer gemeinsamen Wirklichkeitssicht zu finden.
Im Grunde deckt Hontschik hier nichts auf, was nicht schon durch den gesunden Menschenverstand zu ermitteln wäre. Dessen ist sich der Autor auch bewusst. Umso bedenklicher, dass davon in der medizinischen Praxis noch nicht sehr viel angekommen zu sein scheint.
GESINE HINDEMITH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Begeisterung hat dieses Buch des Chirurgen Bernd Hontschik bei Werner Bartens ausgelöst. Er würdigt es als "großartiges Plädoyer" für eine Medizin, die sich wirklich auf den Patienten als hilfesuchendes, leidendes Individuum einlässt. Im Mittelpunkt des schmalen Buchs findet er nicht Stammzellen, Organtransplantation oder Gentechnik, sondern das Verhältnis von Arzt und Patient, die Verständigungsschwierigkeiten zwischen ihnen, und nicht zuletzt die psychische und soziale Seite des Leidens - Themen, die in individuellen Fallbeispielen veranschaulicht werden. Den Stil des Buchs lobt Bartens als "einfach, klar, eindringlich, manchmal berührend". Die Intention des Autors, den psychosomatischen Ansatz in der Medizin wieder zu beleben und für integrierte Medizin zu werben, kann Bartens nur begrüßen, zumal es Hontschik zu seiner Freude hervorragend gelingt, das Schlagwort von der ganzheitlichen Medizin "mit Leben zu füllen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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